Sexismus in der Ukraine

"Eine Mischung aus Freiwilligkeit und Zwang"

Ein Smartphone mit dem Hashtag "#MeToo"
An dem Protest "#MeToo" beteiligten sich in der Ukraine nur sehr wenige. © dpa-Zentralbild
Von Florian Kellermann · 13.11.2017
Was in Hollywood für Aufsehen sorgt, wird in der Ukraine zur Normalität erklärt. Denn: In der Ukraine haben Männer Sex erfolgreich als Ware etabliert. Proteste gegen sexuelle Belästigung gibt es kaum.
Der Musikclip zeigt eine Frau im Profil. Sie trägt einen knappen Bikini. Hinter ihr, an zwei Ketten, hängt ein überdimensionaler Penis. Während sie ihre Hüften vor und zurückbewegt, schwingt der Penis in die Gegenrichtung - als würde er wieder und wieder in sie eindringen. Ein besonders geschmackloses Beispiel für den vulgären Sexismus, der auch in der ukrainischen Pop-Musik allgegenwärtig ist. Tetjana Mykytenko hat ihn in ihrer Sendung "Rahuli" aufgegriffen, die sie wöchentlich über ihre Seite im Internet ausstrahlt:
"Über solche Videoclips kann man so viel lachen, wie man will. Aber sie formen die Gesellschaft. Das hat der Skandal um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein gezeigt. Diese unmittelbare Sexualisierung unserer Kultur hat dazu geführt, dass wir auf diesen Skandal nicht adäquat reagiert haben."

#MeToo hat sich kaum verfangen

Tatsächlich hat die Kampagne #MeToo - "ich auch" - in der Ukraine kaum verfangen. Viel weniger Frauen als in anderen europäischen Ländern bekannten, dass sie schon einmal sexuell belästigt oder gar genötigt oder vergewaltigt wurden. Und noch weniger Männer legten ein Geständnis ab. Geradezu skandalös fielen die Reaktionen von Männern aus dem ukrainischen Show-Business aus. Musikproduzent Dmytro Kostjuk sagte über Sex mit jungen Musiktalenten:
"Ich habe sehr viele Castings gemacht, auch für Filme. Glaubt mir, viele von denen, die da kommen, legen es zielgerichtet darauf an. Und ein anderer, größerer Teil schließt das als wahrscheinliches Szenario nicht aus."

Mit Sex eine Rolle ergattern?

Die Frauen seien es also, die mit Sex eine Rolle ergattern wollen, meint Kostjuk. Noch brutaler beschreibt Wolodymyr Bebeschko seine Haltung zu Sex beim Casting, er ist ebenfalls ein Musikproduzent:
"Das ist keine Vergewaltigung, Vergewaltigung ist etwas Schmutziges, Verbotenes. Wir sprechen über eine Mischung aus Freiwilligkeit und Zwang. Man sagt den Mädchen: Gott hat dir einen Mund nicht einfach so gegeben, sondern damit du mit ihm etwas anfängst. Kämpf dich nach oben! Oder du kannst auf dem Markt Strumpfhosen verkaufen."

Mit Nacktheit wird alles verkauft

Tetyana Mykytenko hat inzwischen 32 Sendungen produziert, in denen sie das ukrainische Show-Business aufs Korn nimmt und dabei immer wieder auf Sexismus hinweist. Auch in der Werbung taucht er in der Ukraine in erschreckend primitiver Form auf:
"Bei uns wird mit nackten Frauen für buchstäblich alles Reklame gemacht - Strümpfe, Autos, selbst Wohnungen und Traktoren. Das ist dann oft mit vulgären Wortspielen verbunden: Mit mir wird der Beton hart, stand auf einer Werbung für Baustoffe. Oder die Reklame für Christbäume: Kiefer heißt auf Ukrainisch und Russisch ‚sosna‘. Da bietet sich ein Wortspiel mit dem Akkusativ ‚sosnu‘ an. ‚Sosnu‘ bedeutet nämlich auch: ‚Ich blase dir einen.‘"

Alles ist käuflich - auch der weibliche Körper

Der zur Ware degradierte weibliche Körper wird in der Ukraine immer allgegenwärtiger. Eine Entwicklung, die in den 1990er-Jahren begann. Ein Erklärungsansatz: Dem Kommunismus folgte damals der Turbokapitalismus, die Überzeugung, dass grundsätzlich alles käuflich ist. Auch der weibliche Körper.
Zudem wurde es unmöglich, mit ehrlicher Arbeit Geld zu verdienen. Noch heute gilt: Während Lehrerinnen kaum von ihrem Gehalt leben können, veröffentlichen Models, die sich einen Oligarchen geangelt haben, ungeniert ihre Urlaubsfotos aus Monaco.

Nur 13 Prozent Frauen im Parlament

Erst seit kurzem entwickelt sich eine Frauenbewegung, die gegen Sexismus ankämpft. Zu ihr gehört die "Liga für den Schutz von Frauenrechten". Seit einem Monat sammeln rund 50 Aktivistinnen Beispiele für sexistische Reklame, sie haben schon über 100 gefunden. Oleksandra Wenejewa, eine der Gründerinnen:
"In der Zukunft wollen wir auch Gesetzesänderungen erarbeiten und für sie werben. Eine Reihe von Abgeordneten im Parlament haben sich schon bereit erklärt, uns zu unterstützen. Sie wollen auch ihre Kolleginnen und Kollegen von unseren Ideen überzeugen."
Notwendig ist das. Denn anders als in Deutschland gibt es in der Ukraine zum Beispiel noch kein Gesetz, das sexuelle Nötigung verbieten würde. Im Parlament wird es vor allem darauf ankommen, Männer zu überzeugen - denn Frauen machen dort weniger als 13 Prozent aus.
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