Sexismus-Debatte in Niedersachsen

"Wir brauchen eine paritätische Gesellschaft"

MeToo-Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe am 28.10.2017 in Berlin Neukölln
#MeToo und die Sexismus-Debatte in Niedersachsen - die Meinungen gehen da auseinander. © imago / Bildgehege
Von Ita Niehaus · 08.03.2018
Über Monate hat die #MeToo-Debatte die Schlagzeilen bestimmt. Doch was hat die Diskussion um sexualisierte Gewalt hierzulande bewirkt? Wichtige Anstöße habe sie gegeben, heißt es aus Niedersachsen, doch das Thema sei noch längst nicht entabuisiert.
14. Februar - Valentinstag, der Tag der Liebe. Mehrere hundert Frauen und einige Männer tanzen in der Innenstadt von Hannover. Sie machen mit beim weltweiten Aktionstag "One Billion Rising", auf Deutsch "Eine Milliarde steht auf". Gemeinsam setzen sie ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen.
Die Frage, wie man am besten mit Sexismus und sexualisierter Gewalt umgehen soll, ist nicht neu. Durch die MeToo-Debatte jedoch hat sie an Brisanz gewonnen. Für viele Frauen ist es eine längst überfällige Debatte. Auch für Silke Tödter, Gleichstellungsbeauftragte im Landkreis Peine und seit vielen Jahren überregional frauenpolitisch engagiert.
"Hollywood ist etwas, wo es einfach ist, es in die Welt zu setzen, groß zu machen. Aber das ist heute die Chance, dass man sagt, nein, das gibt es überall. Ich glaube, das ist in Niedersachsen genauso wie in ganz Deutschland. Wir haben zum Beispiel in Niedersachsen den geringsten Frauenanteil im Parlament. Und das zeigt ja auch, wie unsere Männergesellschaft hier aussieht."
#MeToo und die Sexismus-Debatte in Niedersachsen - die Meinungen gehen da auseinander.
"Kommt aus Amerika und dann muss es hier gleich nachgemacht werden. Und dann packt man Sachen aus, die schon 20 Jahre zurückliegen. Ich halte das für nicht angebracht."
"Auf der einen Seite finde ich es wichtig, aber es sollte nicht so hochgepuscht werden, es sollte immer geguckt werden, wie ist der Einzelfall gestrickt."
"Das ist jetzt ein Riesen-Aufschrei, in einem halben Jahr, wenn Herr Wedel vielleicht im Knast sitzt oder wie auch immer, spricht da kein Mensch mehr drüber."

Jeder zweite Mann findet die Debatte übertrieben

Nach einer Umfrage findet jeder zweite Mann die Diskussion um den Hashtag #MeToo übertrieben. Und selbst gut jede dritte Frau sagt, die Debatte gehe ihr zu weit. Manche sprechen von Hysterie oder sogar von einer "Kampagne der Denunzierung". Den ganz alltäglichen Sexismus zu definieren, ist nicht so einfach. Lea Hartwich, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Osnabrück, setzt sich beruflich damit auseinander:
"Vorurteile, Klischees, aber auch Diskriminierungen und die institutionalisierte Benachteiligung in der Regel von Frauen. Da wir in einer Gesellschaft leben, in der es diese Machtungleichheit noch gibt von Männern und Frauen. Und Sexismus fasst sozusagen all diese Einstellungen, Verhaltensweisen, all diese Hindernisse, die Frauen immer noch erfahren in ihrem Leben, in einem Begriff zusammen."
Jede zweite befragte Person in Deutschland hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schon einmal erlebt oder beobachtet, so das Ergebnis einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Oft jedoch werden die Übergriffe verharmlost. Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann kann das nicht nachvollziehen.
"Das ist kein Flirten, das ist strukturelle Machtausübung. Und das ist natürlich etwas, das gehört auf Veranstaltungen, das gehört aber auch in die Frauenpolitik. Wenn Frauen nach wie vor unterrepräsentiert sind in allen Bereichen, wo es wirklich darum geht, mitzubestimmen, dann hat das natürlich auch damit was zu tun."

"Nein heißt Nein"

Es gibt in Niedersachsen seit vielen Jahren Beratungsstellen für Mädchen und Frauen. Fortbildungen werden angeboten, um über das Thema aufzuklären und dafür zu sensibilisieren. Seit Herbst 2016 gilt bundesweit ein strengeres Sexualstrafrecht - der sogenannte "Grabsch-Paragraph." Darin ist das Prinzip "Nein heißt Nein" festgeschrieben.
"Dass da auch Strafbarkeit ist. Jetzt wird es natürlich darauf ankommen, dass Frauen das anzeigen und diese Frauen gut zu begleiten. Wir haben in Niedersachsen schon früh begonnen mit psychosozialer Begleitung der Prozesse. Da waren wir die ersten bundesweit. Das ist natürlich eine Hilfe und eine Unterstützung, denn es ist ein schwerer Weg, das auch anzuzeigen."
Nur wenige sexuelle Belästigungen werden bisher von Frauen angezeigt. Die 55 Jahre alte Susanne kann das gut verstehen. Sie erinnert sich an ein Erlebnis aus ihrer Zeit als Assistenzärztin. Sie musste damals Operationserfahrungen sammeln und war dabei auf die Zusammenarbeit mit bereits ausgebildeten Ärzten angewiesen.
"Da sagte ein Oberarzt zu mir, es ist eine OP zu machen, die kannst du kriegen, wenn Du mit mir schläfst. Ich war vor Kopf gestoßen, dachte an die Patientin, die auf dem Untersuchungsstuhl war, hoffentlich hat sie diese schreckliche Sache nicht mitgekriegt, dass ihr Körper hier verkauft wird gegen Sex, so etwa. Ich hätte nie gedacht, dass mir so was wiederfährt."
Mehr als 20 Jahre ist das nun her. Seit langem engagiert sich Susanne ehrenamtlich in einem Netzwerk für berufstätige Frauen. Sie findet die #Metoo-Debatte wichtig, daran beteiligt hat sie sich jedoch nicht in den sozialen Medien.
"Ich verfolge das in der Zeitung und spreche mit vielen darüber, aber spreche selbst nicht öffentlich darüber bis jetzt. Für mich ist es so, dass aus diesen früheren Erlebnissen Kraft gezogen werden kann, sich jetzt einzubringen in die Debatte."

Für Betroffene ist das Klima offener geworden

#MeToo kommt nicht aus den Schlagzeilen - und das seit mehr als vier Monaten. Sexismusforscherin Lea Hartwich ist überzeugt: Die Debatte hat schon etwas bewirkt.
"Es hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass wir ein offeneres Klima haben für Betroffene, die sagen, ich habe schon zu lange geschwiegen. Das ist auf jeden Fall sehr befreiend für viele Betroffene."
Doch die Diskussion um den ganz alltäglichen Sexismus und seine Ursachen kommt auch in Niedersachsen nur langsam in Schwung. Das beobachtet auch Silke Tödter. Nur vereinzelt gebe es mal eine Podiumsdiskussion oder ein Theaterstück von Schülern. Die Gleichstellungsbeauftragte aus dem Landkreis Peine hat auch nicht den Eindruck, dass das Thema heute weniger tabuisiert sei.
"Wenn ich in meine Arbeitspraxis gucke, da habe ich vor 25 Jahren viele Fälle gehabt und heute habe ich gar keine Fälle mehr. Obwohl wir ja eine Vereinbarung haben gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Ich glaube eher, dass heute viele Frauen denken, wir dürfen keine Spaßbremse sein, wir dürfen sozusagen die Zicke nicht sein. Und ich glaube, dass sie wissen, dass sie wenig Solidarität bislang hatten, wenn sie so etwas offen gelegt haben. Das Perfide ist ja, dass es teilweise schwieriger ist, sich gegen die in Anführungszeichen etwas harmloseren Vorfälle zu wehren. Denn natürlich, wenn ganz klar sexuelle Gewalt vorliegt, dann ist das eine Straftat. Dann wird man gehört, wenn man etwas sagt, dann gibt es Konsequenzen."
Beispiele für diesen eher subtilen Sexismus finden sich u.a. in der Werbung. Ein Fitnesszentrum in Peine etwa warb 2015 mit einem Plakat für den Besuch des Studios. Darauf zu sehen: das Gesicht einer Frau und der Hinterkopf eines Mannes - in eindeutigen Pose. Dazu der Text: "Wir möchten, dass Du kommst. Und am besten gleich 50 Mal."
"Das ist auf jeden Fall ein klassisches Beispiel für sexistische Werbung und das ist auch ein Symptom des gesamtgesellschaftlichen Sexismus. Weil der sich eben dadurch ausdrückt, dass man Frauen auf ihr Äußeres reduziert, dass man von Frauen verlangt sexy zu sein, sich zu verkaufen darüber, wie sie aussehen."

Auch Männer sollten sich zu Wort melden

"Was soll ich dazu sagen. Der Texter wäre bei mir in der Agentur geflogen, aber sofort. Ja, so was geht gar nicht."
Dirk, 62 Jahre alt, hat viele Jahre als Graphik-Designer in der Werbebranche in Hannover gearbeitet. In seinem Umfeld sei Sexismus eigentlich kein Thema, sagt er - weder privat noch beruflich. Sicherlich gäbe es schon mal einen dummen Spruch.
"Viele von den Frauen, die da arbeiten, sind extrem tough und können sich da selber gegen durchsetzen. Ich glaube, grundsätzlich ist das wirklich so, dass Männer das tendenziell nicht so schlimm finden. Und dass Männer einfach nicht bereit sind, das wegzulassen, dieses ‚Ich- bin-der Mann-Gen‘ - das ist einfach da. Und ist alles anerzogen."
Immer mehr Frauen und Männer sind sich aber einig: Es muss sich etwas ändern. Doch noch äußern sich zu wenig Männer in der gegenwärtigen Debatte, kritisiert Rolf Pohl, Sozialpsychologe an der Leibnitz Universität Hannover mit dem Schwerpunkt: Männlichkeitsforschung.
"Wenn es passiert, in einer kleinen Runde, einer Männerrunde, in der Familie, dass man dann deutlich macht auch als Mann, wir ertragen es einfach nicht mehr. Weil eigentlich ist die Debatte doch viel weiter und auch die geschlechterpolitischen Anstrengungen. D.h. stop sagen, bereits im Vorfeld, wenn solche Anspielungen gemacht werden."
Auch für Pohl ist Sexismus Ausdruck einer immer noch existierenden männlichen Vorherrschaft und dem damit verbundenen hierarchischen Geschlechterverhältnis.

Begegnungen auf Augenhöhe

"In der Diskussion gibt es eine Schieflage im Moment. Das ist nicht so, dass ein neuer Puritanismus eingefordert wird, dass man vollkommen auf Erotik, Flirt verzichten soll, sondern auf Augenhöhe. Und sobald diese Augenhöhe verletzt ist, d.h. ein Nein nicht als Nein wahrgenommen wird, dann ist das Spiel aus. Das muss in die Köpfe rein und muss auch gelernt werden. Und das ist auch wichtig, in der Erziehung anzusetzen, dass frühzeitig Jungen lernen, wo diese Grenze liegt."
Silke Tödter und Lea Hartwich sehen das ähnlich. Auch sie setzen auf Prävention, Erziehung und auf mehr Unterstützung - auch von Männern.
"Wir müssen gesellschaftlich etwas daran ändern, wie wir miteinander umgehen, wie wir die Rolle von Frauen im öffentlichen und im Berufsleben definieren, und wir müssen vor allem daran arbeiten, diese Machtstrukturen offen zu legen und dann im nächsten Schritt etwas daran zu verändern. Wir brauchen mehr Frauen in Machtpositionen, wir brauchen eine paritätische Gesellschaft. Ich denke, dass es noch mehr diskutiert werden muss in Niedersachsen, weil es darum geht, auch gute Lösungen zu finden."
Mehr zum Thema