Museum der deutschen Übergriffigkeit
Das Filmfestival "Außerordentlicher Hofbauer-Kongress" widmet sich sogenannten Exploitationfilmen der 60er- bis 80er-Jahre wie "Hörig bis zur letzten Sünde" oder "Die Spalte". Durch die Übergriffe in Köln hat es eine eigenartige Aktualität.
Vorweg eine Warnung:
"Der Film gleich ist die einzige Kopie, aus unserem eigenen Archiv, die ich nicht mehr prüfen konnte vor dem Kongress, es kann sein, dass er reißt, wir hoffen es nicht."
Aber es kommt vor, dass Filme reißen in Nürnberg, das gehört dazu. Es wird dann geklebt - und weiter geht's. Materialfragen sind beim Hofbauer-Kongress Hauptsachen, wie Andreas Beilharz, einer der Veranstalter erklärt:
"Manchmal gibt's gar nichts außer eben ne alte Filmkopie ... Egal, in welchem Zustand die ist, solang sie noch vorführbar ist, egal ob sie nun Rotstich hat, Braunstich hat, abgenutzt ist, es ist das Einzige, was man zeigen kann."
Der schlechte Zustand der Kopien sagt etwas aus über den Platz, den die bis tief in die Nacht programmierten Filme in der Filmgeschichte haben.
"Auf 'nem Dachboden, in 'ner Scheune, in 'nem alten Filmlager, bei einem Sammler."
Billige Reißer oder handwerkliches Geschick?
Also: außerhalb des Kanons, fern der Kinematheken, im längst vergessenen U der alten deutschen Unglücksunterscheidung E und U. Auf den ersten Blick handelt es sich um billige Reißer mit nichtssagenden Titeln: "Hörig bis zur letzten Sünde", "Perle der Karibik", "Mädchen beim Frauenarzt". Der Kongress ist nun aber dazu da, damit dann:
"sich auf den zweiten Blick sich offenbart, dass da Leute durchaus mit handwerklichem Gespür, mit visuellem Gespür, formalen Ambitionen am Werk waren. Genau das verkörpert Ernst Hofbauer für uns ganz gut."
Der Namensgeber: Hofbauer, Ernst, bekannt geworden als Regisseur der "Schulmädchenreporte". In Wirklichkeit ein Regiehandwerker, der in allen Genres gearbeitet hat, und den es als Autor, als Künstler noch zu entdecken gilt.
"Und so betrete ich also den Tempel der Kunst."
Filmhistorische Klassenfahrt
Entdeckungen werden beim Kongress gemeinsam gemacht, die Stimmung ist familiär, eine Art filmhistorische Klassenfahrt, 40, 50 Besucher, vor allem Männer, selbst forschend und bloggend über die Seitenwege der Filmgeschichte. Gezeigt werden auch Filme, die noch keiner kennt. Die aber vielversprechend klingen.
Andreas Beilharz: "Eine wichtige Quelle ist für uns natürlich der katholische Filmdienst, die haben versucht, jeden Filmstart in Deutschland mit Kritiken abzudecken."
Ein Kompassnadel, die nach Süden zeigt:
"Die haben ja auch gern dieses 'Wir raten ab', grad bei Filmen, die leicht anrührig waren, ganz naserümpfend, eine moralisierende Haltung, die da in den Kritiken durchscheint. Wir destillieren das dann für uns. Über was die sich dann aufregen, das klingt spannend."
Zu den frenetisch gefeierten Highlights bei diesem Kongress gehörte ein Lustspiel von 1955, nach einem Schwank von 1913:
"Deine spanische Fliege, meine spanische Fliege."
DIE spanische Fliege. Der katholische Filmdienst nannte die Adaption von Carl Boese seinerzeit "abgeschmackt" und "albern". Es geht um vier Honoratioren einer kleinen deutschen Stadt, die alle Alimente für ein angebliches Kind mit einer vor 20 Jahren ausgewiesenen Variete-Sängerin zahlen.
Spannend wird es, liest man den Film nicht nur als Sittengeschichte, sondern politisch. Zehn Jahre nach dem Ende der Nazi-Verbrechen gibt es im scheinbar miefigen Adenauerkino durchaus Hinweise auf die fehlende Aufarbeitung der deutschen Schuld:
"Ich hab doch nur, quasi als Stimme des Volkes einen kleinen Zwischenruf gemacht."
"Hab ich Dir nicht verboten, dich jemals wieder politisch wieder zu betätigen?"
Eigenartige Aktualität
In gewisser Weise war der Hofbauer-Kongress dieses Mal selbst politisch. Eine eigenartige Aktualität verschafften dem Filmfestival nämlich die Diskussionen um den Silvesterabend in Köln, die Übergriffe auf Frauen:
"Oh dieses Luder!"
sexuelle Belästigungen:
"Du bist vielleicht heiß!"
Die Idee, dass Frauen dem Willen der Männer unterworfen sind:
"Wir ziehen dich aus!"
Die Filme des Hofbauer-Kongresses funktionieren als eine Art Museum der deutschen Übergriffigkeit, eines Sexismus, eines Du-willst-es-doch-auch, das vom Publikum im Saal mit einem feinen Gespür gerade in dieser Musealität wahrgenommen wird.
Wie fern erscheint doch der völlig unromantische, garstige Held in "Das Spukschloss im Salzkammergut" von 1966, der, von Udo Jürgens gespielt, den zarten beruflichen Ambitionen seiner Freundin mit barschem Unverständnis begegnet:
"Bist du noch normal?"