Sex, Crime und Geschichtswissen

25.08.2010
Mit "Das Geisterhaus" wurde die chilenische Autorin Isabel Allende 1982 weltberühmt. Seither hat sie 16 Romane verfasst. Auch ihr neuer Roman über den Sklavenaufstand auf Haiti überzeugt durch große historische Detailkenntnis, ohne dabei an Unterhaltungswert zu verlieren.
Von ihrem Welterfolg, dem 1982 erschienenen Roman "Das Geisterhaus", verkaufte die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende 40 Millionen Exemplare. Seitdem ist sie eine der produktivsten und diszipliniertesten Autorinnen des internationalen Buchmarkts.

Im Gartenhaus ihres kalifornischen Anwesens, wo sie seit den späten 80er-Jahren mit ihrem amerikanischen Ehemann lebt, verfasste sie 16 Bücher. Viele davon erzählen Geschichten ihrer chilenischen Familiendynastie, viele Geschichten ihrer heutigen Familie, ihres Sohnes, ihrer Schwiegertochter, ihrer Mutter, ihrer verstorbenen Tochter Paula und sogar ihrer Hausangestellten. Immer wieder kommt es im Hause Allende zu Familienkonferenzen, bei denen sich einzelne Teilnehmer beschweren, vor den Augen der Weltöffentlichkeit so intim dargestellt zu werden.

Aber Isabel Allende hat auch eine Reihe historischer Romane verfasst, "Zorro" aus dem Jahr 2005 über den gleichnamigen Abenteurer, oder den 2006 erschienenen Roman "Ines meines Herzens" über die Chile-Eroberin Ines Suarez. Auch in diesen Büchern stellt Isabel Allende eine intime, gleichsam familiäre Nähe zwischen dem Leser und seinen Figuren her, eine Nähe, die den historischen Abstand fast vergessen lässt.

Wie in fast allen ihren historischen Romanen geht es in ihrem neuesten mit dem deutschen Titel "Die Insel unter dem Meer" um ein Kapitel aus der Befreiungsgeschichte der Menschheit: um den erfolgreichen Sklavenaufstand auf dem heutigen Haiti im Jahr 1793. Und es geht, wie oft bei Isabel Allende, um eine äußerst willensstarke Frau, um die Mulattin Zarite, die als Sklavin geboren und im Alter von neun Jahren an einen Plantagenbesitzer verkauft wird, der in dem Teil Haitis lebt, der im 18. Jahrhundert von der französischen Kolonialmacht beherrscht wurde.

"Die Insel unter dem Meer" erzählt Zarites Leben über vier Jahrzehnte hinweg. Von der Grausamkeit, als ihr ein Neugeborenes für immer weggenommen wird, das sie im Mädchenalter von ihrem Besitzer Toulouse Valmorain bekommt, über den paradoxen Umstand, dass ausgerechnet sie während der Sklavenaufstände zur Retterin Valmorains wird, bis zu ihrer Flucht nach Kuba und weiter nach New Orleans, wo die Biografie der ehemaligen Sklavin in ein Leben als freier Mensch mündet.

"Die Insel unter dem Meer" ist von großer historischer Detailkenntnis, die Kulisse der Geschichte ist hervorragend recherchiert - zugleich bietet Isabel Allende alles, was von einem historischen Schmöker zu erwarten ist: unglückliche Liebesleidenschaften, mitleiderregende Kinderschicksale, hartherzige Patriarchen, packende Kampfszenen, schwere Krankheiten, gestörte Frauenseelen, begehrte Prostituierte, sowohl Sex als auch Crime. Und so ist das Buch karibischer Geschichtsroman, Frauenroman und folkloristische Kolportage in einem. Es balanciert auf der Mittellinie zwischen U und E, zwischen Unterhaltungsliteratur und ernster Literatur und ist damit ein Paradebeispiel für die Gartenhausproduktion der Weltbestseller-Autorin Isabel Allende.

Besprochen von Ursula März

Isabel Allende: Die Insel unter dem Meer
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
553 Seiten, 24,90 Euro
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