Sex, Blut und Hirnphysiologie

Der Psychiater Borwin Bandelow behauptet, dass Gewalttäter nach einem schweren Übergriff quasi mit Glückshormonen belohnt werden und daher immer wieder neuen Drang verspüren, Verbrechen zu verüben. Unsere Rezensentin Susanne Billig hält das für einen allzu reißerischen Ansatz.
Was geht in einem Mann vor sich, der eine junge Frau jahrelang in ein Verlies sperrt und täglich vergewaltigt? Und warum lässt sich die junge Frau wie ein Schaf auf Spaziergänge führen und äußert später sogar Mitgefühl für den Täter?

In seinem neuen Buch "Wer hat Angst vorm bösen Mann?" setzt der Psychiater Borwin Bandelow einmal mehr auf ein Thema, das die Gemüter erhitzt und gute Verkaufszahlen verspricht. Brutale Sex-Serientäter, mordende Terroristen und charmeprotzende Verführer, verstrickt in befremdlichen Allianzen mit ihren Opfern.

Jack Unterweger taucht auf, der smarte österreichische Killer, der in den 1980er-Jahren Dutzende Intellektuelle von seiner Unschuld überzeugte und zu Solidaritätsbekundungen hinriss - kaum freigelassen, brachte er die nächste Frau um. In den USA entführte der vorbestrafte, gut aussehende Phillip Garrido die elfjährige Jaycee Dugard, hielt sie unter schrecklichen Umständen 18 Jahre lang gefangen und zeugte zwei Kinder mit ihr. Jaycee Dugard gab jeden Fluchtversuch auf, der Bewährungshelfer schöpfte keinen Verdacht. Bis hin zu RAF-Terrorist Andreas Baader reicht das Spektrum, dem grobschlächtigen Frauenheld im Untergrund.

Dass Borwin Bandelow der Psychologie mächtig ist, macht er in seinem Buch damit deutlich, dass er psychiatrische Diagnosen von antisozialem Verhalten bis hin zu Borderline-Phänomenen erläutert, genetische und soziale Einflüsse diskutiert und mögliche Therapien bis hin zur Hoden-Amputation vorstellt. Doch all das interessiert ihn nur am Rande, denn er möchte eine spekulative neue Erklärung aus der Hirnforschung ins Rampenlicht rücken: Das evolutionär uralte und mächtige "endogene Opiatsystem" belohne einen auf Gewalt gepolten Täter so stark, dass der Drang zu neuen Verbrechen kaum noch willentlich steuerbar sei. Bei den Opfern schalte das Gehirn auf Notmodus: Ich liebe den Menschen, der mein Überleben sichert - und sei es ein Terrorist oder Vergewaltiger.

Doch während man sich seitenweise durch verbrannte Haut, Brutalsex auf Streckbanken und abgetrennte Kinderköpfe kämpft, die schlimmen Sekten nicht zu vergessen - Sex bei Baghwan, Hirnwäsche bei Hare Krishna, Diskussionsstand 1980er-Jahre - beschleicht einen allmählich der Verdacht, dass dem Autor an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit seinem tieftraurigen Thema wenig liegt. Die hirnbiologische Erklärung entpuppt sich bei näherer Betrachtung als oberflächlicher Zirkelschluss: Warum steht der Täter auf sexuelle Gewalt? Weil das sein Gehirn befriedigt. Warum befriedigt das sein Gehirn? Weil er auf sexuelle Gewalt steht. Dass fast nur Männer zu Sexualstraftätern werden, reflektiert Bandelow in keiner Weise - und interessant wäre doch auch der eine oder andere Gedanke zu der Frage, warum Bücher wie dieses so sicher auf die sensationslüsterne Gier nach echtem sex and crime zählen können.

Wer die Hintergründe solcher Taten aufklären möchte, wird sich auch in Zukunft mit der Kernfrage auseinander setzen müssen: Warum sind die meisten Menschen zufrieden, wenn ihr Gehirn bei einvernehmlichem Kuschelsex, Coldplay-Songs oder Gartenarbeit Opiate ausschüttet, während andere ihre Mitmenschen dazu jahrelang in kleine Kisten stecken und aufschlitzen und vergewaltigen müssen? Das aber lässt sich nicht mit "neuester Hirnforschung" beantworten, sondern nur mit altbewährter Psychologie. Also, um Kindheitsmuster ginge es dann und soziale Umstände, eher selten käme auch ein Hirnschaden in Betracht. Aber damit, soviel ist klar, lassen sich keine reißerischen Buchtitel verkaufen. Das weiß sicherlich auch Borwin Bandelow.

Besprochen von Susanne Billig


Borwin Bandelow: Wer hat Angst vorm bösen Mann? - Warum uns Täter faszinieren
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
352 Seiten, 19,95 Euro