Dem Tod ins Auge blicken
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Über den eigenen Tod denkt niemand gern nach. Unsere Autorin Louise Brown stellt in dieser Serie Menschen vor, die sich beruflich und privat mit dem Tod beschäftigen. Sind sie abgebrühter oder souveräner als andere, wenn es um den eigenen Tod geht?
Bestatter in Fernsehserien oder Pathologen in Krimis – mal sind sie Zyniker, mal mürrisch-verschrobene Einzelgänger. Menschen gehen unterschiedlich mit der Endlichkeit des Lebens und dem Tod um. Auch im echten Leben gibt es viele Berufe, die sich professionell mit dem Tod beschäftigen. Wie denken diese Menschen über ihren eigenen Tod nach? Bereiten sie sich gar darauf vor?
Teil 1: Jim Avignon oder der einarmige Bandit
Der Pop-Art-Künstler Jim Avignon aus Berlin erzählt, der Tod tauche immer wieder in seinen bunten, comic-ähnlichen Bildern auf. "Er ist nicht das Schreckliche, Unheimliche, das einen irgendwann holt, sondern mehr so ein Typ, der in der Ecke wartet und einem ab und zu mal zuwinkt und Bescheid gibt, dass er da ist."
Avignon lebt in Berlin gleich neben einem Friedhof. Gelegentlich geht er mit seiner Tochter nebenan spazieren, und sie malen sich aus, wie ihr Grabstein dann aussehen sollte. Avignon stellt sich seinen Grabstein dann scherzhaft als einen einarmigen Banditen vor, erzählt er. Wenn der Besucher seines Grabes dann den Arm betätigt, geht vorne eine Klappe auf, und er kann sich ein kaltes Bier herausnehmen. "Ich versuche, das auch meiner Tochter zu erklären, wenn ich überraschend sterben sollte, dass ich ein wirklich glückliches Leben gehabt habe und fast nur gute Erfahrungen im Leben gemacht habe", sagt Avignon.
Teil 2: Anemones Erinnerungswerkstatt
In Anemones Beruf ist Kreativität gefragt. Zu ihr kommen Menschen, die einen Angehörigen verloren haben. Um den Verlust zu verarbeiten und sich im Alltag an diesen Menschen erinnern zu können, gestaltet Anemone gemeinsam mit den Hinterbliebenen ein Erinnerungsstück, etwas, das im alltäglichen Leben immer präsent sein kann.
Anemone selbst lebt ihr eigenes Leben viel bewusster, weil sie sich täglich mit dem Tod, dem Sterben und der Endlichkeit des Seins beschäftigt. "Es schenkt dem Leben Sinn, dass du nicht weißt, wann es endet, und du musst diese Zeit füllen", sagt Anemone. Wenn sie eines Tages stirbt, möchte sie in ihrem Hochzeitskleid beerdigt werden, erzählt sie. Das sei das schönste und wertvollste Kleidungsstück, das sie besitze. Und in ihrer Playlist hat sie bereits Songs ausgewählt, die bei ihrer Trauerfeier gespielt werden sollen.
Teil 3: Laute Musik soll über den Friedhof hallen
Eric Wrede ist Bestatter. Er stammt aus Berlin und möchte auch in Berlin eines Tages beerdigt werden. Auf dem Domfriedhof in Berlin-Mitte hat er sich bereits ein Familiengrab ausgesucht, das Platz für seine ganze Familie bietet, damit irgendwann alle Wredes wieder zusammen sind. Als Bestatter sieht er viele Beerdigungen und hat sich auch über seine eigene Beisetzung Gedanken gemacht.
Viele Freunde sollen da sein, schwebt Wrede vor, und alle sollen richtig traurig sein. "Und ich möchte, dass meine Freunde meinen Sarg tragen. Ich möchte, dass sie schwitzen wenn sie die 300 Kilo über den Friedhof tragen, weil ich natürlich einen sehr schweren Sarg haben werde", sagt er und lacht. "Aber am Ende soll es bitte ein großes Gelage geben." Und als ehemaliger Musikmanager wünscht er sich, dass laute Musik über den Friedhof hallt.
Teil 4: "Ich möchte, dass die Leute Spaß haben"
Als Schriftstellerin hat Zoë Beck eine blühende Fantasie. Das kann in Bezug auf die Vorstellung, dass der eigene Körper eines Tages unter der Erde liegt, auch von Nachteil sein. Daher wünsche sie sich eine Feuerbestattung, sagt Beck. Ihr Lieblingsfriedhof in Berlin ist der Zehlendorfer Waldfriedhof. Dort genieße sie die Ruhe und den Duft des Waldes und möchte dort eines Tages in einer Urne beigesetzt werden.
Genaue Vorstellungen von ihrer Beerdigung habe sie noch nicht, erzählt sie, aber Rufus Wainwrights Stück "Poses" solle dort auf jeden Fall gespielt werden. "Ich möchte, dass die Leute Spaß haben", sagt sie, "also bitte nicht dort stehen und weinen." Bei den schönsten Beerdigungen habe man sich anschließend noch zusammengesetzt und irgendwann stand dann doch der Whiskey auf dem Tisch.
Teil 5: Ein Lied für den verstorbenen Bruder
Mit seiner Gitarre auf dem Schoß sitzt der Musiker Ingo Pohlmann in seiner Hamburger Wohnung. Auf seinem neuen Album widmet er seinem verstorbenen Bruder den Song "In deinen Schuhen". Die Schuhe seines Bruders hat Pohlmann bis heute. Vor einigen Jahren trug er sie beim Tanzen und fühlte sich seinem Bruder plötzlich ganz nah.
Wenn er selbst irgendwann verstorben ist, wünscht er sich, dass seine Tochter seine Gitarre aufbewahrt. "Nach 40, 50 Jahren kommt da sicher eine gewisse Schwingung heraus", meint er. Pohlmann möchte in einem Sarg beigesetzt werden und er rechnet damit, dass bei seiner Beerdigung wohl viele Leute dabei sein werden. Sein Garbstein soll dann die Inschrift tragen: "Irgendwas ist immer".
Teil 6: Die Liebe ist der Gegenspieler des Todes
Cornelia Füllkrug-Weitzel ist Präsidentin von Brot für die Welt. Das evangelische Hilfswerk setzt sich für die Leben der ärmsten Menschen der Erde ein. Dabei spielt auch der Tod oft eine Rolle, gibt sie zu. "In meiner Kindheit war der Tod sehr präsent in Form der Toten des Zweiten Weltkriegs", erzählt Füllkrug-Weitzel. Sie erinnert sich auch an die Todesschreie ihres eigenen Vaters.
Loslassen konnte sie das Thema Tod nie. Im Alter von 18 Jahren verstarb ihr Sohn. Ihr Mann und sie hätten zwar unterschiedlich getrauert, erzählt sie, doch im Mittelpunkt habe derselbe Verlust gestanden. "Nach dem Tod unseres Sohnes habe ich mir selber gewünscht, so schnell wie möglich zu sterben", gibt sie zu. Das hätte sie damals als große Erleichterung empfunden. Doch der Gedanke, dass ihr Mann dann hier allein zurückgeblieben wäre, war für sie unerträglich. Die Liebe sei eben der Gegenspieler des Todes.
Teil 7: Über die Inszenierung des Todes
Als Theaterregisseur inszenierte Dominik Günther 2018 das Stück "Sophia, der Tod und ich" nach dem gleichnamigen Roman von Thees Uhlmann. "Das ist ein sehr humoristischer Umgang mit dem Tod", sagt Günther. Der Tod stehe plötzlich buchstäblich vor der Tür und sage: "Du hast noch fünf Minuten." Im Theater erlebe man einen sehr heiteren Abend - der dann aber trotzdem mit dem Tod ende.
Er selbst sei früh mit dem Tod konfrontiert gewesen, erzählt der Regisseur. Seine Schwester starb im Alter von 15 Jahren. Damals war er selbst gerade zwölf. "Das ist natürlich ein sehr einschneidendes Erlebnis." Seine Eltern seien aber sehr gut damit umgegangen, und das habe die familiäre Beziehung bis heute gestärkt.
Teil 8: Mark Benecke fürchtet den Tod nicht
Auf seinem Grabstein könnte "Hello Flies" stehen, sagt Mark Benecke. Das fasse seine Arbeit als Kriminalbiologe ganz gut zusammen. Aber heutzutage stelle sich ja niemand mehr vor einen Grabstein, meint er. "Hello Flies" stehe dann vielleicht irgendwann einmal auf einem Internetgrabstein. Das sei auch für seine Freunde praktischer.
"Ich habe überall auf der Welt ein kleines Leben. In Mexiko, in Peru, in Finnland, in Vietnam und auf den Philippinen." Seine Freunde würden kaum alle zu einem gemeinsamen Essen zusammenkommen, wenn er mal stirbt, meint er. "Wenn überhaupt, passiert irgendwas im Internet."
Wenn jemand stirbt, dächten die Menschen in erster Linie an sich und daran, wie es ihnen mit dem Verlust gehe. Und deshalb sei so eine Seite im Netz ganz gut, meint Benecke, da könne jeder ein paar Zeilen schreiben und dann sein Leben weiterleben.