Serie "Mein Freund im Todestrakt" - Teil 5

Der letzte Plan

05:29 Minuten
Ein Wächter steht mit Gewehr im Anschlag im Todestrakt des US-Gefängnisses in San Quentin
40 Jahre Haft. Ein neuer Prozess könnte Reno die Freiheit bringen. Selbst einen Platz unter einer Brücke würde er dem täglichen Anblick von bewaffneten Wächtern vorziehen. © picture alliance/AP Images/Eric Risberg
Von Arndt Peltner · 03.04.2020
Audio herunterladen
2019 will Kalifornien Todeskandidaten in andere Gefängnisse verlegen. Reno will aber nicht weg aus San Quentin. Er regelt stattdessen mit Arndt sein Erbe. Und hofft nach 40 Jahren Haft doch noch auf ein Ende in Freiheit.
Am Morgen des 14. März 2019 verkündet der neue Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, ein Moratorium für die Todesstrafe.
"Es ist seit rund 40 Jahren mehr als bekannt, dass ich gegen die Todesstrafe bin. Ich glaube nicht, dass das eine große Überraschung für jemanden ist."
Die Todesstrafe sei "moralisch und ethisch" nicht verantwortbar, das hatte Newsom mehrmals in der Vergangenheit erklärt. Mit dieser Entscheidung ist die Todesstrafe zwar noch nicht abgeschafft, aber der Weg dahin ist frei.

Das Recht, hingerichtet zu werden

Eine großartige Nachricht für Reno und alle anderen Insassen des Todestraktes von San Quentin! So denke ich, aber als ich mit Reno, der seit 40 Jahren einsitzt, telefoniere, reagiert er verhalten.
"Ich habe mich da gar nicht groß mit beschäftigt, denn solche Ankündigungen hat es hier schon oft gegeben. Seitdem ich hier bin, wurde schon mehrmals versucht die Todesstrafe abzuschaffen und geklappt hat es nie. Und wenn es nur für die Amtszeit eines Gouverneurs ist, hilft es uns auch nicht wirklich."
Im Todestrakt von San Quentin gibt es keinen Jubel, keine Freudentänze - im Gegenteil. Einige der Todeskandidaten kündigen sogar an, den Staat Kalifornien verklagen zu wollen - auf ihr Recht hingerichtet zu werden.

Reno will nicht weg aus San Quentin

San Quentin ist überbelegt, gerade der East Block, die Death Row. 650 der 728 Todeskandidaten in Kalifornien sind dort untergebracht. Seit 2006 gibt es keine Hinrichtungen mehr, weil sich keine Ärzte dafür finden lassen, die der Bundesrichter aber vorschreibt.
Was genau das neue Moratorium für die zum Tode Verurteilten bedeutet, ist unklar. Gerne würde der Staat einige von ihnen in andere Gefängnisse verlegen, dafür werden nun Freiwillige gesucht.
Für Reno steht fest, dass er nicht aus San Quentin weg will: "Die meisten hier haben daran kein Interesse. Viele unserer Anwälte sind hier in der Bay Area. Wenn sie uns in andere Gefängnisse verlegen würden, dann würden sich auch unsere Lebensumstände verschlechtern, denn dann kämen wir in Doppelzellen. Wir hätten keine Programme, wie das Kunstprogramm mehr. Wahrscheinlich auch keinen Hofgang. Wir würden dann wohl in den normalen Strafvollzug kommen, was deutlich gefährlicher sein würde."

40 Jahre auf vier Quadratmetern

Reno wird bald 75 Jahre alt. 40 Jahre davon hat er auf vier Quadratmetern im Todestrakt von San Quentin verbracht. Aber die Hoffnung, doch noch einmal San Quentin verlassen zu können, die beflügelt ihn. Sein Anwalt hat ihm mitgeteilt, dass die Chancen für einen neuen Prozess gut seien und, dass er diesen gewinne könne.
"Wenn es dazu käme, dann würde ich hier durch das Haupttor rausmarschieren. Ich bin fast 75 Jahre alt, ich würde keinen Job oder sonst was kriegen. Wahrscheinlich würde ich einen Platz unter einer Brücke finden. Aber auch das wäre besser als hier, denn könnte ich zumindest dahin gehen, wohin ich will. Tun was ich will."

Ein Leben in Freiheit?

Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Reno sitzt inzwischen im Rollstuhl, vielleicht wird er eines Tages tatsächlich entlassen. Ich würde dann sicherlich draußen vor dem Tor stehen.
Was dann kommt? Ich weiß es nicht. Wie erkläre ich ihm eine Welt, die er 1978 mit seiner Verhaftung verlassen hat? Als Jimmy Carter US-Präsident war und der Liter Benzin in den USA noch 18 Cent kostete. Ich weiß nur: Ich werde ihm helfen. Wir kennen uns einfach zu lange.

Reno will nichts hinterlassen

Reno hat mich mit allem, was ihm noch wichtig ist, beauftragt: seine Patientenverfügung, seine Bilder, die er in seiner Zelle gemalt hat. Sie lagern in meinem Haus. Ich soll sie verbrennen, wenn er stirbt. Er will nichts hinterlassen.
Am Ende eines Telefongespräches frage ich ihn, was andere über ihn wissen sollten. Das überfordert ihn: "I don’t know how to answer that, in fact I don’t have an answer to that."

"Ich vertraue Dir"

Der Todeskandidat Reno mit der Häftlingsnummer D-63100 hat etwas zu sagen, finde ich. Als ich ihm von der Idee dieser Radioreihe erzähle, reagiert er erst zurückhaltend, ja ablehnend. Ein paar Tage später ruft er mich an und sagt, wir machen das: "I trust you".
Reno und ich, das ist mehr als Popcorn und Cola.