Serie "Mein Freund im Todestrakt" - Teil 2

Lähmende Routine

05:46 Minuten
Großaufnahme eines schweren Schlüssels, den ein Wärter in das karge Metallschloss eines Käfigs steckt.
Zwischen sieben und acht gibt es Hofgang. Eigentlich täglich, aber manchmal fällt er auch aus. © picture alliance/AP Images/Eric Risberg
Vor Arndt Peltner · 31.03.2020
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Zehn Jahre nach der ersten Begegnung zwischen Arndt und Reno nehmen die Proteste gegen die Todesstrafe zu. Im Februar 2006 soll wieder ein Häftling hingerichtet werden. Arndt wird als Zeuge geladen. Doch alles kommt anders.
Im Jahr 2005 gibt es aufgrund mehrerer Hinrichtungen Proteste gegen die Todesstrafe vor den Toren von San Quentin. Der Gouverneur, Arnold Schwarzenegger, ist dagegen. Die Stimmung in der kalifornischen Bevölkerung gespalten.
Die Insassen des Todestraktes, darunter mein Freund Reno, nehmen die Entwicklung verschwommen wie durch ein Milchglas wahr. Seit Jahrzehnten warten sie auf ihre Hinrichtung, auf eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslängliche Haftstrafe – oder auf eine Begnadigung.
Reno bekommt immer wieder Aufschub. Andere Gefangene nicht.

Vom Gangsterboss zum Kinderbuchautor

Ich lerne bei meinen Besuchen im damals noch offenen Besucherraum drei Männer kennen, die kurze Zeit später nicht mehr da sind. Hingerichtet. Einer davon ist Tookie Williams, Gründer der Crips-Straßengang in Los Angeles. Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal Reno besucht habe, saß er ein paar Meter neben mir.
Seine Geschichte macht weltweit Schlagzeilen. Er beginnt im Gefängnis zu schreiben, Bücher für Kinder und Jugendliche. "Redemption – Wiedergutmachung", wie er selbst sagt. In einem Telefongespräch – das ich im Gegensatz zu den Gesprächen im Gefängnis aufzeichnen darf – spricht er mit mir über das Leben im Angesicht des Todes:
"The ambience is as usual full of death, in my opinion. This is a place, where individuals, eventually, if they’re unfortunate will end up being executed."
Am 13. Dezember 2005 wird Tookie Williams in San Quentin ein Giftcocktail verabreicht. Tookies Hinrichtung ist umstritten, hatte er sich doch in San Quentin vom einstigen Gangsterboss zu einem einflussreichen Autoren, gerade bei jungen Leuten, gewandelt. Umsonst.
Im Januar 2006 stirbt Todeskandidat Clarence Ray Allen in der Todeskammer und kurz darauf soll im Februar Michael Morales hingerichtet werden. Und ich bin unmittelbar beteiligt.

Ohne Arzt - keine Hinrichtung

Über eine Sendung, die ich bei einem lokalen Radiosender in San Francisco moderiere, werde ich als US-Medienvertreter und Zeuge der Hinrichtung ausgewählt. Seit fast zehn Jahren komme ich regelmäßig. Jetzt soll ich einer der fünf Zeugen bei der Exekution sein. Zwei Stunden vor dem Hinrichtungstermin klärt der Gefängnisdirektor auf, was genau passieren wird. Und fragt, ob wir bereit sind.
Eine grausame Frage, die sich glücklicherweise von selbst beantwortet. Es findet sich kein Arzt, der bereit wäre, dabei zu sein. Und: ohne Arzt – keine Hinrichtung.
Hinrichtungen in Kalifornien sind seither ausgesetzt, seit 2006 leuchtet die rote Lampe oberhalb der "Death Chamber" nicht mehr. Todesurteile werden aber dennoch gefällt. Und so füllt sich der Todestrakt in San Quentin und es wird enger und enger.

Der lähmende Alltag im Todestrakt

Reno ruft mich jede Woche an. Die Gespräche sind wichtig für ihn, aber eigentlich hat er nicht viel zu erzählen.
"Es tut sich hier nicht viel. Frühstück bekommen wir zwischen vier, halb fünf und sechs Uhr morgens. Wenn es Hofgang gibt, den es eigentlich täglich geben sollte, machen sie aber nicht immer, dann dürfen wir zwischen sieben und acht Uhr nach draußen. Wenn man das nicht will, bleibt man in seiner Zelle, schaut fern, schreibt Briefe, malt, oder was man in seiner Zelle machen kann."
Reno sitzt seit 1980 in San Quentin und wartet und wartet. Die Nachricht, dass Hinrichtungen ausgesetzt sind, lässt ihn kalt.
"Wir dürfen uns außerhalb der Zelle nicht frei bewegen. Lunch bekommen wir in einer braunen Papiertüte, ein Sandwich und ein Stück Obst. Das Abendessen wird zwischen vier und fünf Uhr nachmittags gebracht. Wir essen in unseren Zellen. Danach schaut man fern, malt, schreibt Briefe, was auch immer, bis man schlafen geht. Am Morgen steht man auf und es beginnt von vorne."

Keine Kurse für die Todeskandidaten

In San Quentin gibt es mehr Abwechslung als in jedem anderen kalifornischen Gefängnis. Nur dürfen Todeskandidaten wie Reno beim Yoga, beim Malen, in der Theatergruppe, in der Abendschule oder an anderen Programmen außerhalb ihrer vier Quadratmeter großen Zelle im Todestrakt nicht teilnehmen.
In Handschellen, die oftmals auch noch an einer Bauchkette befestigt sind, wird Reno von seiner Zelle abgeholt, wenn er auf den Hof, zum Gottesdienst, in die Dusche gebracht wird, und auch zum Besucherraum, wo ich regelmäßig auf ihn warte und für ihn Popcorn, einen Burger und Cola aus dem Automaten ziehe.
Sein kleines Stück Freiheit.