Sensationen aus Knochen

Rezensiert von Joachim Baumann · 17.01.2006
Die erfolgreiche "Stern"-Serie "Deutschland in der Urzeit - Saurier, Neandertaler und Germanen" ist als Buch herausgekommen. Die Autoren Horst Güntheroth und Peter Pursche haben wichtige Ausgrabungsstätten besucht, bei Paläontologen, Geologen und Archäologen recherchiert und neueste Forschungsergebnisse zusammengetragen. So entstand ein populäres Lesebuch mit spektakulären Fotos und Illustrationen.
Worum es in diesem Buch geht, wird gleich auf den ersten Seiten klar: Abgebildet ist eine Landkarte Deutschlands mit den bedeutendsten archäologischen Fundorten. Dazu passend ein kleiner Infokasten für jede Fundstelle mit den Basisinformationen. Diese Übersicht belegt, dass Deutschland in Sachen urgeschichtlicher Sensationen einiges vorzuweisen hat:

- der Urvogel Archaeopteryx aus dem Bayerischen Eichstätt, 150 Millionen Jahre alt
- der Unterkiefer des Homo Heidelbergensis, 600.000 Jahre
- die ältesten Waffen: Wurfspeere aus Schöningen, Alter 400.000 Jahre
- der Neandertaler von Mettmann bei Düsseldorf, die Himmelsscheibe von Nebra und die Schlacht im Teutoburger Wald

Die ist nur eine kleine Auswahl der "Helden" und Orte, über die die Autoren ihre Geschichten aus unserer Vergangenheit erzählen. Jede Fundstelle und jeder einzelne Knochen hat eine eigene, von Geheimnissen umwobene Vergangenheit.
Die beiden Autoren waren vor Ort und erzählen von der buchstäblichen Knochenarbeit der Archäologen und ihrer Helfer, vom groben Umbaggern der Fundstellen bis zur filigranen Freilegung von Sedimentschichten, der Fundhorizonte, wie der Fachmann sagt.

Man ist als Leser ganz nah dran am Geschehen. Zahlreiche Farbfotos, Computergrafiken, Illustrationen und Tabellen veranschaulichen die archäologischen Zusammenhänge. Dazu fügen die Autoren Zitate von Wissenschaftlern ein und machen damit klar, dass sie ihre Recherchen nicht nur über das Internet betrieben, sondern unmittelbar Informationen aus erster Hand verarbeitet haben. Und das können sie gut, denn beide sind gestandene Wissenschaftsjournalisten.

Sie kennen die Tricks und die Sprache, um komplizierte Dinge so zu beschreiben, dass sie verständlich, logisch und gleichzeitig auch unterhaltsam sind. Das geht teilweise zu Lasten der ausführlichen wissenschaftlichen Darstellung archäologischer Details. Dennoch schaffen es die Autoren, sich auch hier auf das Wesentliche zu beschränken. Beispiel, eine Jagdszene vor 400.000 Jahren:

"Langsam trottete aus der Ferne eine Herde Wildpferde heran. Als die ahnungslosen Rosse auf ihrem Weg zur Tränke endlich bei den Männern ankamen, sprang einer aus der Deckung und schrie. Panik brach aus unter den Vierbeinern. Blitzschnell tauchten die anderen Kerle auf. Die Beute war reichlich."

Dass es sich so abgespielt haben könnte, bestätigt der niedersächsische Archäologe Hartmut Thieme den Autoren. Er hat im Braunkohletagebau Schöningen bei Helmstedt seit dem Jahre 1994 sieben komplette Wurfspeere mit einer Länge von 182 bis 250 Zentimetern ausgegraben. Dazu Tausende Tierknochen und mehrere Feuerstellen.

Das Interessante an den Speeren: Sie waren ballistisch austariert, der Schwerpunkt im oberen Drittel. Für ihre Herstellung aus langsam wachsender Fichte war ein relativ hohes Maß an Handwerklichkeit und zwischenmenschlicher Kommunikation notwendig. Ließen die Urzeitjäger ihre Speere beim erlegten Wild, weil sie bereits bestimmte Jagdrituale hatten? Ein sicheres Anzeichen dafür - wird Thieme im Buch zitiert, dass unsere Vorfahren bereits vor 400.000 Jahren keine "tumben", grobschlächtigen Ungetüme waren. Ein Prädikat, das selbst dem viel später lebenden Neandertaler noch bis vor kurzem angehängt wurde. Auch mit diesem Vorurteil räumen die beiden Journalisten durch viele Fakten aus neuen Forschungsergebnissen auf.

Außer der bloßen Darstellung der archäologischen Sensationen verstehen sie es ebenfalls, die wissenschaftlichen Methoden und die dazu notwendige Akribie dem Leser nahe zu bringen: Altersbestimmung mittels Radiokarbondatierung oder genetischer Analyse. Dadurch wird ein Verständnis für die Komplexität und Kompliziertheit der modernen Archäologie vermittelt.

Hierin liegt auch die Stärke des Buches. "Deutschland in der Urzeit" ist ein populäres, schön illustriertes Lesebuch, dem es in Wort und Bild gelingt aufzuzeigen, wie wir wurden, was wir sind.

Horst Güntheroth, Peter Pursche: Deutschland in der Urzeit – Saurier, Neandertaler Germanen.
Weltbild Buchverlag
168 Seiten; 14,95 Euro