Senat plant Rekommunalisierung

Streit um das Fernwärmenetz in Hamburg

Das Heizkraftwerk Wedel in Hamburg bei Sonnenuntergang
Der rot-grüne Senat in Hamburg will, dass die Fernwärmeeinspeisung aus dem veralteten Kohlekraftwerk in Wedel wegfällt. © picture alliance / Eckart Gienke
Von Axel Schröder · 15.05.2018
Das Strom- und das Gasnetz sind bereits wieder in kommunaler Hand, nun will der Hamburger Senat auch das Fernwärmenetz zurückkaufen. Aber Streit mit dem Eigentümer Vattenfall gibt es nicht nur über die Höhe des Verkaufspreises.
Die Fronten in der Hamburgischen Bürgerschaft sind klar: für einen Rückkauf des Fernwärmenetzes, für einen schnellen Ausstieg aus der Kohle streitet die Regierungskoalition von SPD und Grünen, unterstützt von den Linken. Dagegen wettern FDP, AfD und, für die CDU, der Abgeordnete Stephan Gamm:
"Die kategorische Ausgrenzung von Moorburg wäre eine politische Kapitulation vor der Vernunft, meine Damen und Herren! Und das nur, weil die Grünen ihre Basis bereits vor Monaten auf den vermeintlich klimarettenden Kohleausstieg als einzige Lösung eingeschworen haben."
Diesen "klimarettenden Kohleausstieg" soll das Anfang des Jahres vom grünen Senator für Umwelt und Energie Jens Kerstan vorgestellte Fernwärmekonzept möglich machen. Innerhalb von sieben Jahren sollen die Bewohner mit nahezu klimaneutraler, CO2-freier Fernwärme versorgt werden. Die Pläne des Stromkonzerns Vattenfall, diese Wärme aus dem Kohlekraftwerk Moorburg in die Haushalte der Hansestadt zu leiten, lehnt der rot-grüne Senat ab. Denn dadurch würde mehr CO2 freigesetzt werden als bisher, so der bündnis-grüne Fraktionschef Anjes Tjarks:
"Sie tun hier immer so, obwohl sie das besser wissen, als ob das CO2-neutral wäre, Moorburg an das Fernwärmenetz anzuschließen. Sie wissen ganz genau, dass das nicht so ist. Und das, was sie behauptet haben, das ist wahrheitswidrig."

650 oder 951 Millionen?

Seit 2013, seit dem Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze stand fest: Die Stadt muss die Netze für die Strom-, Gas- und Wärmeversorgung rekommunalisieren. Vor vier Jahren kaufte sie deshalb dem Vattenfall-Konzern das Stromnetz ab. Für 506 Millionen Euro. Für das Gasnetz zahlten die Hamburger Steuerzahler 355 Millionen Euro an den Stromkonzern E.on. Bis Ende des Jahres soll auch das Verteilnetz für Fernwärme wieder in städtischem Besitz sein. Aber die Hürden dafür sind hoch. Ein Streitpunkt ist der Preis für das Netz. Derzeit berechnen Wirtschaftsprüfer den tatsächlichen Wert des Fernwärmenetzes, erklärt Jan Dube, Sprecher der Behörde für Umwelt und Energie:
"Da läuft derzeit noch ein Gutachten, das den Wert der Wärmegesellschaft bewertet. Die Ergebnisse erwarten wir jetzt noch im Mai. Und sobald die da sind, werden wir mit Vattenfall auch in Gespräche treten, wie der Rückkauf und zu welchen Modalitäten der darstellbar ist."
Und eine erste, vorläufige und sehr überraschende Zahl aus dem Gutachten ist schon durchgesickert: Demnach ist das Fernwärmenetz etwa 650 Millionen Euro wert. Und obwohl dieser Preis viel niedriger ist als gedacht, hat die Stadt Hamburg damit ein Problem: Nach dem Volksentscheid zum Netzrückkauf hatten die Stadt und Vattenfall schon einen vertraglich festgeschriebenen Mindestkaufpreis für die Fernwärmeleitungen vereinbart: stolze 951 Millionen Euro.
Am Ende könnten dieser Verkauf und die vollständige Umsetzung des Volksentscheids daran scheitern, dass die Differenz zwischen dem vereinbarten Mindestpreis und dem aktuellen Wert des Fernwärme-Netzes fast 300 Millionen Euro beträgt.
Und weil das Hamburger Haushaltrecht der Hansestadt Käufe zu deutlich überhöhten Preisen verbietet, müsste Vattenfall der Stadt entgegenkommen. Der Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka sieht dafür aber eigentlich keinen Grund:
"Das ist vertraglich geregelt. Wir müssen abwarten, bis dieses Gutachten fertig ist und dann gibt es sicherlich in der Politik einen Entscheidungsprozess. Und wir müssen nicht verkaufen. Die Entscheidung liegt auf der Seite der Stadt."

Die künftige Versorgung soll CO2-neutral sein

Aber nicht nur um den Preis des Fernwärmenetzes wird gestritten, sondern auch darum, wie nachhaltig und CO2-neutral die eingespeiste Energie sein soll. Jan Dube von der Behörde für Umwelt und Energie erklärt das Konzept der Stadt, mit dem auch die Fernwärmeeinspeisung aus dem völlig veralteten Kohlekraftwerk in Wedel wegfallen soll:
"Wir haben als Umweltbehörde zum Jahresende 2017 ein Konzept vorgelegt, das zeigt, wie das Kraftwerk Wedel absehbar mit dezentralen Anlagen vor allem erneuerbarer Energien ersetzt werden kann. Dazu zählen industrielle Abwärme, ein Aquifer-Speicher, das ist ein unterirdischer Warmwasserspeicher, eine Wärmepumpe am Klärwerk Dradenau und vor allem Müllwärme aus Müllverbrennung, die dieses alte Kohlekraftwerk in Wedel ab 2022 ersetzen sollen."
Das Projekt sieht außerdem ein kleines Gaskraftwerk vor, das in besonders kalten Winterperioden als Notfallreserve zur Verfügung stehen soll. In den ersten Betriebsjahren könnten durch die Umstellung auf eine nahezu CO2-freie Fernwärmeversorgung der Millionenstadt die Energiekosten für die Verbraucher um maximal zehn Prozent steigen, so Jan Dube. Pieter Wasmuth, Vattenfalls Generalbevollmächtiger für Norddeutschland, und sein Chef Tuomo Hatakka halten diese Rechnung für allzu optimistisch:
"Wir kommen zu einem anderen Ergebnis, das deutlich darüber liegt."
"Deswegen machen wir uns Sorgen, wenn es um die Bezahlbarkeit der Wärme geht!"
"Irgendjemand muss das am Ende bezahlen. Und das sind die Mieter. Unsere Kunden sind die Hauseigentümer, die Wohnungswirtschaft, die Verwaltungsgesellschaften. Die geben das an ihre Mieter weiter."

Die Kosten für die Versorung mit Wärme werden steigen

Nicht um zehn, sondern um bis zu 40 Prozent könnten die Fernwärmepreise steigen, wenn das Konzept der Stadt umgesetzt werden würde. Viel klüger und günstiger für die Fernwärmekunden wäre es hingegen, das moderne Kohlekraftwerk Moorburg ans Fernwärmenetz anzuschließen. Das sei bei den ursprünglichen und schon vor Jahren auf Druck der Politik gescheiterten Plänen ohnehin geplant gewesen, argumentiert Peter Wasmuth von Vattenfall. Die Wärme sei ohnehin vorhanden. Mehr Kohlendioxid würde dadurch nicht freigesetzt werden:
"Wir reden jetzt ja über ein Szenario, in dem sehr viel weniger Wärme aus Moorburg herausgenommen werden soll. Nämlich sozusagen das, was ohnehin da ist. Da stimmt dieses Argument – ‚Da muss zusätzliche Kohle verbrannt werden!‘ – nicht. Sondern im Wesentlichen ist es sozusagen dann die Wärme, die heute sozusagen ungenutzt verpufft."
Und diese Wärme würde heute über einen Kühlturm oder durch die Einleitung in die Elbe abgegeben. So wie Vattenfall Zweifel an den von der Umweltbehörde herausgegebenen Zahlen zu Preissteigerungen äußert, sowenig hält Behördensprecher Jan Dube von Vattenfalls Zusage, durch eine zusätzliche Auskoppelung der Wärme nicht mehr Kohle zu verbrennen.
"Unsere Vermutung ist, dass hier die erneuerbaren Energien mit Mondpreisen versehen und die Kohle bewusst sehr günstig gerechnet wird. Die Kohle birgt Risiken, der Kohleausstieg ist nur eine Frage der Zeit. Die CO2-Preise werden auch steigen mit den Zertifikaten. Und ganz so einfach, wie Vattenfall es gerne hätte, ist es leider nicht. Wenn Wärme aus dem Kraftwerk ausgekoppelt wird, muss zusätzliche Kohle verfeuert werden oder die verkaufte Strommenge muss reduziert werden."
Wer hat Recht im Streit über einen zusätzlichen Kohlendioxidausstoß des existierenden Kohlekraftwerks in Moorburg? Für Claudia Kemfert, Professorin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Expertin für Energiewirtschaft, steht das außer Frage:
"Die Hamburger Umweltbehörde hat hier Recht. Man muss hier mehr Kohle eingeben. Und dann würden auch die CO2-Emmissionen erhöhen, wenn man gleichzeitig noch genauso viel Strom produzieren will. Die Frage ist eben, ob man im Zuge der Energiewende auch noch diese Strommengen tatsächlich produzieren muss. Denn wir steigen ja auf erneuerbare Energiequellen um und die sind bekanntlich im hohen Norden besonders hoch. Und man will dort mehr Windenergie nutzen. Das heißt, hier wird damit zu rechnen sein, dass weniger Strom produziert werden muss. Aber grundsätzlich ist es so, dass wenn man Strom und Wärme gleichzeitig produziert, der Wirkungsgrad dieses Kraftwerks sich erhöht, aber man auch gleichzeitig mehr CO2 produziert, weil der Input sich erhöht."

Die Kohle ist nicht zwangsläufig günstiger

Aus Vattenfalls Sicht macht die Einspeisung von Fernwärme also durchaus Sinn. Das Kohlekraftwerk Moorburg war einst doppelt so groß gebaut worden als nötig. Und die ursprünglichen Pläne sahen schon die Nutzung der Fernwärme aus dem Kraftwerk vor. Die Grünen hatten diese Pläne aber verhindert und zusätzliche Auflagen durchgesetzt, die einem effizienten Betrieb des Kohlekraftwerks bis heute entgegenstehen. Die Einspeisung von Fernwärme würde diese Effizienz erhöhen, stünde aber den Plänen des Senats für eine fast CO2-Fernwärmeproduktion entgegen, so Claudia Kemfert:
"Beide Konzepte schließen sich gegenseitig aus. Die können nicht koexistieren. Das würde auch energiewirtschaftlich überhaupt gar keinen Sinn machen. Und die Stadt Hamburg hat eben politische Ziele, dass sie auf Klimaschutz setzen will und hier keine so genannten Lock-in-Effekte generieren will. Das heißt, dass man sich auf eine alte Technologie festlegt."
Dass das ambitionierte Fernwärmekonzept dabei mit deutlich höheren Kosten für die Verbraucher verbunden ist, bestätigt die Professorin nicht und merkt an, dass auch die Abwärme aus der Kohleverstromung durchaus teurer werden kann als geplant. Wenn in Zukunft die Zertifikate für Kohlendioxid teurer würden, würde auch Vattenfall diese Teuerung an die Kunden weitergeben.
Jan Dube, Sprecher der Behörde für Umwelt und Energie ist zuversichtlich, dass sich der Streit um den Preis des Fernwärmenetzes und um das richtige Energiekonzept am Ende beilegen lässt.
"Wir denken schon, dass die Erkenntnis auf Seiten des Konzerns gewachsen ist, dass man hier zu einer gemeinsamen Lösung kommen muss, wo möglicherweise beide Seiten aufeinander zugehen müssen. Ein Unternehmen, das langfristig, über Jahrzehnte in dieser Stadt Geschäfte machen möchte, muss sich natürlich überlegen, ob dies im Streit mit der Stadt langfristig gut möglich sein wird. Wir denken, dass diese Erkenntnis da ist und sich auch demnächst in den Verhandlungspositionen abbilden wird."
Mehr zum Thema