Selim Özdogan: "Der die Träume hört"

Riskante Rückkehr ins Prekariat

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Buchcover zu "Der die Träume hört" von Selim Özdogan.
Zwischen Krimi, Gedankenprosa und Diskursroman: Selim Özdogans "Der die Träume hört". © Nautilus
Von Thomas Wörtche · 13.09.2019
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Selim Özdogan schreibt in seinem Krimidebüt "Der die Träume hört" über das prekäre Milieu der dritten Emigranten-Generation. Weniger als um die Aufklärung des Falls geht es ums Überleben auf der Straße. Das gelingt auf intensive Weise.
Nizar Benali ist Privatdetektiv für Cyber-Verbrechen. Davon, meistens geht es um Cybermobbing, kann er recht und schlecht leben, ein fetter Auftrag könnte ihm Luft verschaffen: Er soll einen Darknet-Dealer finden, der eine hochgefährliche Designer-Droge namens Mephedron vertreibt, an dessen Folgen der Sohn des Klienten gestorben ist.
Kompliziert wird es, als Nizar Benali aus heiterem Himmel mit der Tatsache konfrontiert wird, dass er einen siebzehnjährigen Sohn hat, von dessen Existenz er nichts wusste. Dieser Sohn ist auf dem besten Weg in eine kriminelle Karriere als Straßendealer und hat zudem 20.000 Euro Schulden bei einem extrem unangenehmen Gangster.
Ein klassisches Setting für einen klassischen Privatdetektiv-Roman, in dem es weniger um Fall und Aufklärung geht, sondern ums Überleben auf den Straßen der Städte.

Rückhalt gibt es nur bei der Familie

Doch der Kölner Autor Selim Özdogan gräbt tiefer und entwirft anhand von Nizar Benalis Leben eine Biographie von Menschen aus der dritten Immigranten-Generation, die nach oben wollen. Oder besser raus aus den Wohnhöllen der Trabantenstädte, hier aus dem fiktiven "Westmarkt", irgendwo zwischen Rhein und Ruhr.
Kriminalität ist überall, erfolgreiches Dealen eine Möglichkeit nach oben zu kommen – oder in den Knast, wie Benalis Ziehbruder Kamber. So etwas wie Orientierung gibt höchstens die Musik, Rap und Hip-Hop, weshalb auch Nazirs Biographie eine Art musikalische Biographie ist und sozusagen den Soundtrack des Buches vorgibt.
Rückhalt sucht man bei der Familie, in Nizars Fall bei seiner türkischen Pflegemutter. Falls man eine eigene Familie hat. Nizar selbst ist der uneheliche Sohn einer tunesischen Mutter und hatte einfach nur Glück, in Sevgi eine gütige Pflegemutter gefunden zu haben. Deswegen fühlt er sich auch seinem Sohn verpflichtet, wegen dem er riskante Manöver machen muss, die ihn wieder in die Milieus zu ziehen droht, denen er entkommen zu sein glaubt. "Der die Träume hört" ist ein Roman, der mit Genremitteln eine Lebenswirklichkeit erzählt, die anders wohl kaum zu erzählen wäre.

Der Aufstieg ist nicht für alle möglich

Der Roman ist fast eine Art "Anti-4-Blocks", nichts wird überhöht, nichts kommt nachahmenswert rüber, nichts ist cool, schick oder aufregend. Es ist die Geschichte einer Gesellschaft, die von der restlichen Gesellschaft abgehängt ist, ihre eigenen Regeln und Rituale hat, wie fragwürdig die auch sein mögen.
Die Aufstiegsversprechen glitzern verführerisch, aber sie gelten bei weitem nicht für alle. Wenn "Assimilation" als Möglichkeit für ganze Bevölkerungsgruppen systemisch verbaut ist, hat die ganze Gesellschaft ein Problem.
"Der die Träume hört" überschreitet manchmal seine narrativen Grenzen und gerät gefährlich in die Nähe von Gedankenprosa und Diskursroman. Aber die Intensität von Özdogans Prosa, die manchmal kataraktartig daherkommt und ein feines Ohr für gesprochene Sprache hat, bewahrt ihn weitgehend vor dieser Falle.

Selim Özdogan: "Der die Träume hört"
Edition Nautilus, Hamburg 2019
287 Seiten, 18 Euro

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