Seligsprechung von Oscar Romero

Mitten in der Predigt erschossen

Verehrer des ermordeten Erzbischofs Romero tragen ein Porträt von ihm durch die Straßen.
Romero war ein schonungsloser Kritiker von sozialer Ungerechtigkeit und Bandenkriminalität in seinem Land © picture-alliance / Oscar Rivera
Anne Nibbenhagen im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 24.05.2015
Vor 35 Jahren wurde Oscar Romero, der Erzbischof von El Salvador, ermordet. Vielen galt er als Märtyrer im damaligen Kampf gegen die herrschende Militärjunta. Seine Seligsprechung durch Papst Franziskus wertet die Sozialwissenschaftlerin Anne Nibbenhagen als wichtigen Akt für die einfachen Menschen des mittelamerikanischen Landes.
Kirsten Dietrich: Am 24. März 1980 wurde Oscar Romero, der Erzbischof von El Salvador, erschossen – während der Predigt, vor dem Altar. Der Mord war Teil erbitterter Kämpfe gegen die herrschende Militärjunta in dem kleinen Land in Mittelamerika. Ihm folgte ein Bürgerkrieg, der geschätzt 75.000 Menschenleben forderte. Oscar Romero wurde schon bald von vielen als Märtyrer und Heiliger verehrt. Im Vatikan tat man sich schwer, dem auch offiziell zu folgen. Denn Oscar Romero stand für die Theologie der Befreiung, und die war vielen im Vatikan zu politisch, zu links, zu radikal.
Mit Papst Franziskus änderte sich das, zumindest was die Person Romero angeht: Gestern wurde Oscar Romero ganz offiziell in San Salvador selig gesprochen. Die Sozialwissenschaftlerin Anne Nibbenhagen widmet sich der kritischen Beschäftigung mit Globalisierung und der Erinnerung an Oscar Romero. Sie ist nämlich die Vorstandsvorsitzende der "Christlichen Initiative Oscar Romero". Ich habe sie gefragt, was die Seligsprechung für sie bedeutet – ein Triumph?
Anne Nibbenhagen: Interessanterweise bin ich gerade in El Salvador gewesen, als die Seligsprechung veröffentlicht wurde. Ich habe da eine Delegation begleitet, und daher war das ... In dem Augenblick habe ich die Freude der einfachen Menschen in El Salvador direkt mitgekriegt und hatte selber für mich dann auch das Gefühl, ja, das ist ein Triumph in dem Sinne, dass der Einsatz für die Belange der einfachen Menschen, der armen Menschen in El Salvador endlich auch offiziell anerkannt wird.
Dietrich: Das heißt, es ist gar nichts Nebensächliches, es ist wirklich ein richtig wichtiger Akt für die Menschen in El Salvador.
Nibbenhagen: Ja, für die Menschen in El Salvador ist es ein sehr wichtiger Akt.
Er galt zuerst als freundlich, aber konservativ
Dietrich: Es ist jetzt 35 Jahre her, dass Oscar Romero am Altar seiner Kirche umgebracht wurde – eine lange Zeit, deswegen sicher nicht ganz unwichtig, überhaupt erst mal daran zu erinnern, wer war dieser Oscar Romero.
Nibbenhagen: Oscar Romero ist Ende der 70er-Jahre in El Salvador zum Erzbischof ernannt worden. Er galt zu dem Zeitpunkt als ein netter, freundlicher, aber eher sehr konservativer Bischof oder Geistlicher. Und das war wohl in dem ganzen Zusammenhang auch der Grund, warum er zu dem Zeitpunkt zum Erzbischof ernannt worden ist. Dann ist aber ziemlich bald nach seiner Ernennung oder Einführung als Erzbischof ... hat es ein Massaker in El Salvador auf einem großen Platz gegeben, wo Landarbeiter für ihre Rechte auf die Straße gegangen sind.
Und Romero hat dann zusammen mit der Bischofskonferenz seines Landes einen Hirtenbrief verfasst, der dann am 5. März 78 vorgelesen wurde, in dem dieses Massaker als Sünde bezeichnet worden ist. Und Romero hat dann veranlasst, dass dieser Hirtenbrief eine Woche später in allen Kirchen vorgelesen wurde. Und just an diesem Sonntag, als dieses Massaker als Sünde erklärt wurde, ist sein guter Freund, der Jesuitenpriester Rutilio Grande, ermordet worden – wegen seines Engagements für die arme Landbevölkerung, weil er der Theologie der Befreiung nahestand. Und da ist Romero so erzürnt gewesen und hat plötzlich gemerkt, in was für einer Wirklichkeit er da Erzbischof geworden ist, und hat dann angekündigt, am drauffolgenden Sonntag nur eine einzige Messe im gesamten Land lesen zu lassen.
Er hat die katholischen Schulen für drei Tage schließen lassen, und damit stand er mitten in einem innerkirchlichen Konflikt. Und häufig wird diese Ermordung von Rutilio Grande als die Bekehrung Romeros bezeichnet. Ich würde eher sagen, dass er gar nicht bekehrt worden ist, sondern quasi zu seinen eigenen Wurzeln zurückgeführt wurde. Denn Romero kommt auch selber aus einer armen, einfachen Familie, hat dann studiert, hat ein Stipendium gekriegt, ist lange Zeit in Rom gewesen und hat dann später mal von sich selber gesagt: Ich bin in dieser Zeit in Rom, während meines Studiums, entfremdet worden von meinem Hintergrund, von meinem Volk, von den Problemen, die die einfachen Menschen in meinem Land haben. Und ist dann just zu dem Zeitpunkt, wo er dann Erzbischof wurde, wieder ganz krass in diese Wirklichkeit zurückgeführt worden und hat sich dann immer sehr stark auf die Seite der Opfer gestellt.
Eine Frau besucht das Grab von Erzbischof Romero in San Salvador anlässlich seines 33. Todestages. 
Erzbischof Romero wurde in seiner Heimat längst als Heiliger verehrt.© picture alliance / dpa / Roberto Escobar
Dietrich: Durchaus ja wirklich mit allen Konsequenzen, indem er zum Beispiel gesagt hat, dass im Kampf gegen Ungerechtigkeit, dass dort auch alle Mittel erlaubt sind oder viele Mittel erlaubt sind, die vielleicht normalerweise von der Kirche nicht so gutgeheißen werden.
Nibbenhagen: Ja, das hat er nicht von Anfang an gesagt – da hat es dann auch eine weitere Entwicklung in den nächsten zwei Jahren bis zu seinem Tod gegeben –, aber er hat in dem Maße, wo die Oligarchie, die Großgrundbesitzer beispielsweise arme Landbevölkerung von ihrem Land vertrieben haben, weil sie dort große Plantagen anlegen wollten, oder wo er gemerkt hat, dass Gewerkschaften so gut wie keine Chance hatten, sich zu gründen und dann auch von den Paramilitärs verfolgt wurden sind, in dem Maße hat auch Romero sich schärfer geäußert und in gewisser Weise könnte man auch sagen radikalisiert.
Religiöses und Politisches lassen sich nicht trennen
Dietrich: Zum Märtyrer ist er jetzt schon ernannt worden. Wie wichtig ist Ihnen diese Bezeichnung als Märtyrer?
Nibbenhagen: Diese Bezeichnung finde ich sehr wichtig, weil ich sagen würde, dass Papst Franziskus damit deutlich gemacht hat, dass es auch möglich ist, ein politischer Märtyrer zu werden. Also dass jemand nicht nur, weil er ein frommer Mensch, ein betender, ein Kirchenmensch gewesen ist, selig gesprochen werden kann, sondern weil er sich der Nächstenliebe widmet, so wie auch Jesus das getan hat, weil er sein Leben oder mit seinem Leben die Armen verteidigt hat. Und darum finde ich das wichtig, oder das ist für mich die große Bedeutung der Seligsprechung von Romero.
Dietrich: Kann man das denn bei Romero überhaupt trennen, das Politische und das Kirchlich-Religiöse?
Nibbenhagen: Nein, das kann nicht voneinander trennen, Romero ist sicherlich auch ein sehr kirchentreuer Mann gewesen. Ich wollte damit auch nicht sagen, dass Romero nur der politische Märtyrer ist, aber diese Kombination von beidem, beziehungsweise ich denke auch, dass es nicht mal unbedingt notwendig ist, der ganz treue Kirchenmann zu sein plus politischer Märtyrer. Ich glaube, dass wichtig ist die Aussage, dass er eben sein Leben der Nächstenliebe gewidmet hat.
Dietrich: Die Wertschätzung der Person Romero ist, glaube ich, unfraglich, da ist die Seligsprechung eigentlich nur so die Bestätigung dessen, was ja durch Christen, nicht nur katholische Christen, überall auf der Welt schon lange geschehen ist. Die Frage ist, ob mit dieser Seligsprechung der Person auch die Befreiungstheologie, für die Romero ja steht, wieder ins Bewusstsein gehoben wird und auch in ihrer Radikalität, in ihren Ansprüchen gewürdigt wird.
Nibbenhagen: Ich glaube, ja. Am Wochenende hat es ein Interview mit Leonardo Boff in der "taz" gegeben, wo der auch nochmal sehr deutlich gesagt hat, für uns ist das auch eine Anerkennung, also für uns als Befreiungstheologen.
Dietrich: Denken Sie auch, dass das wirklich dem gerecht wird, dem politischen Stachel, den die Befreiungstheologie ja in der herrschenden Welt sein wollte?
Nibbenhagen: Ich weiß nicht, ob die Fragestellung so richtig ist. Ich muss vielleicht auch dazusagen, letztendlich ist mir oder ist uns als Christliche Initiative Romero die Seligsprechung nicht wirklich wichtig. Wichtig ist für uns, dass Romero erinnert wird als Vorbild, als jemanden, den man nachahmen, nachfolgen kann in seiner ganz klaren Positionierung auf der Seite der Opfer. Und ob er dann selig ist oder heilig, spielt nicht so eine wichtige Rolle.
In einer Reihe mit Bonhoeffer und Martin Luther King
Dietrich: Welche Rolle spielt denn die Person Romero heute, 35 Jahre nach seinem Tod, für engagierte Christen in Deutschland, also sehr weit weg auf der ganz anderen Seite des Machtspektrums – ja, welche Rolle spielt er noch?
Nibbenhagen: Ich glaube, Romero ist immer noch, obwohl er jetzt schon 35 Jahre tot ist, Symbol ganz konkreter, gelebter Solidarität. Aus vielen seiner Aussagen in Predigten, aber auch das, was über ihn geschrieben worden ist, wird eigentlich deutlich, dass Romero sehr ängstlich war, dass er lange vor der Ermordung immer befürchtet hat, dass man ihm nach dem Leben trachtet, und trotzdem hat er weitergemacht. Und das ist für uns heute die Bedeutung. Und darüber hinaus, das ist ja nicht nur in Deutschland so, sondern an vielen Stellen weltweit findet man eine Anerkennung von Romero.
Also denken Sie daran, dass zum Beispiel im Westportal von Westminster Abbey Figuren stehen. Da steht Romero neben Bonhoeffer, Maximilian Kolbe, Martin Luther King. Also auch da wird er schon gewürdigt als Vorbild, als Beispiel für christliches Verhalten. Aber neben dieser auch kirchlichen oder Anerkennung im christlichen Raum, gibt es ja weitere weltweite Anerkennung von Romero. Also beispielsweise 2010 haben die Vereinten Nationen den 24. März – das ist der Todestag von Romero – zum internationalen Tag für das Recht auf Wahrheit über schwere Menschenrechtsverletzungen und für die Würde der Opfer ernannt.
Dietrich: Das heißt dann weltlicher und ein kirchlicher Seliger sozusagen.
Nibbenhagen: Ja, das würde ich durchaus sagen. Wir haben anlässlich jetzt der Seligsprechung – also von der Romero-Initiative – eine Zeitung herausgegeben, wo wir unter anderem eine Predigt von José-Maria Tojeiro übersetzt haben. Der ist früher, bis vor einigen Jahren, Rektor der Jesuiten-Universität in San Salvador gewesen, und in diesem Artikel weist er sehr deutlich darauf hin, dass Romero sowohl ein Vorbild für christliche Nächstenliebe ist und gleichzeitig aber auch ein Modell für weltweite Solidarität. Und das ist uns wichtig, das zu betonen.
Dietrich: Was ist Ihnen am wichtigsten von Romero? Was möchten Sie gerne bewahren?
Nibbenhagen: Ich glaube, einerseits den Mut und die Hoffnung beziehungsweise das Nichtverlieren der Hoffnung, trotz vieler Widrigkeiten weiterzumachen.
Dietrich: Erinnerung an Oscar Romero – der Erzbischof von El Salvador wurde vor 35 Jahren ermordet und an diesem Wochenende selig gesprochen. Ich sprach mit Anne Nibbenhagen von der Christlichen Initiative Romero.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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