Selbstwahrnehmung von Tieren

Wenn der Putzerfisch sich im Spiegel betrachtet

06:17 Minuten
Ein Zweifarben-Putzerfisch im Wasser
Ist sich der Putzerfisch seiner selbst bewusst, fragten Forscher vom Max-Planck-Institut in Konstanz. © picture alliance / dpa / Wildlife
Von Frieder Kümmerer · 11.07.2019
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Haben Tiere ein Selbstbewusstsein, fragen Forscher seit Jahrzehnten. Oft wird dafür getestet, ob Tiere sich selbst im Spiegel als Individuum erkennen. Putzerfische haben nun den Test bestanden. Doch Forscher sehen solche Tests mittlerweile kritisch.
Die Frage, ob Tiere ein Selbstbewusstsein haben, beschäftigt Wissenschaftler seit Jahrzehnten. Oft wird dafür getestet, ob sich Tiere sich selbst im Spiegel quasi als Individuum erkennen können. Putzerfische haben diesen Test bestanden. Doch immer mehr Forscher zweifeln die Aussage eines solchen Tests an.
Aquarien auf den Gängen, Aquarien auch im Pausenraum. Nähert man sich dem Büro von Alex Jordan, ist unübersehbar, mit welchen Objekten hier geforscht wird. Fische, genauer Putzerfische, leicht erkennbar an ihrem markanten schwarzen Streifen, der auf Augenhöhe längs über den ganzen Körper verläuft.

Erkennen Fische sich im Spiegel?

Die Frage, ob Tiere ein Selbstbewusstsein haben, beschäftigt Wissenschaftler seit Jahrzehnten. Inzwischen auch Alex Jordan vom Max-Planck-Institut in Konstanz. Als der Australier vor drei Jahren von Japan nach Konstanz wechselte, war klar: Die Fische müssen mit. Er und seinen Kollegen möchten herausfinden: Erkennen sich Fische im Spiegel?
"Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis ist eine sehr fortgeschrittene kognitive Fähigkeit. Deshalb wollten wir wissen, ob Fische diesen Test bestehen."

Viele Tiere reagieren aggressiv auf ihr Spiegelbild

Um die kognitiven Fähigkeiten zu testen, stieß er schnell auf den sogenannten Spiegel-Selbsterkennungstest.
"Eigentlich ist der Test sehr einfach. Ich glaube, deswegen wird der immer noch viel genutzt. Ein Tier lebt in seiner gewohnten Umgebung und man konfrontiert ihn mit einem Spiegel. Die Reaktion wird beobachtet. Typischerweise werden die Tiere aggressiv. Vermutlich, weil sie nicht verstehen wie der Spiegel funktioniert. Sie sehen ein anderes Individuum derselben Spezies, das löst oft Aggressionen aus."
Bei den Putzerfischen war das zu Beginn auch der Fall. Vierzehn Tage dauert eine Versuchsreihe, denn die Tiere müssen sich erstmal an den Spiegel gewöhnen, diesen ungewohnten Gegenstand in heimischer Umgebung.
"Über die Zeit versteht das Tier vielleicht, dass dort kein anderes Individuum ist, sondern etwas anderes. Es ist nicht mehr aggressiv und beginnt, vor dem Spiegel sich zu bewegen. Es erforscht die eigene Reflektion. Dann gibt man dem Tier eine Markierung auf den Körper, dass es nur im Spiegel sehen kann."

Putzt sich der Putzerfisch?

Die Markierung ist die finale Prüfung des Spiegeltests. Der Test gilt als bestanden, wenn der Fisch die Markierung nach dem Blick in den Spiegel von sich entfernt. Und tatsächlich: Die Putzerfische von Alex Jordan bestehen den Test. Sobald sie die Markierung im Spiegel erkennen, suchen sie sich einen Stein oder einen anderen Gegenstand im Aquarium, um die Markierung abzureiben. Eine kleine Sensation, die zu Diskussionen führt.
"Letztes Jahr gab es eine Studie, die gezeigt hat, dass Ameisen den Spiegeltest bestehen. In dieser Studie sind es jetzt eben die Putzerfische."
Moritz Daum ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich.
"Und so weitet sich das aus, dass man nicht mehr unbedingt sagen kann: Es braucht wirklich ein großes Gehirn, es braucht Hände, die man sehen kann, um diesen Spiegeltest zu bestehen. Sondern es scheint, dass auch andere Tiere diesen Test bestehen können."

Der vermeintliche Lackmustest des Selbstbewusstseins

Daum hat schon selbst den Spiegeltest in seinen Forschungen angewendet. In den Siebzigerjahren entwickelt, sollte damit die Entwicklung des Selbstbewusstseins erforscht werden. Im Alter von etwa 18 Monaten können sich Kinder und Schimpansen im Spiegel selbst erkennen. Doch im Laufe der Zeit wurde der Test immer öfter als Beweis herangeführt, ob Tiere überhaupt ein Selbstbewusstsein haben.
"Seither gilt er so als der Lackmustest des Selbstbewusstseins. Und alle Tiere, die diesen Spiegeltest bestehen, verfügen ebenfalls über ein Selbstbewusstsein. Und diese Wahrnehmung wird mittlerweile kritisch gesehen."

Wenn der Spiegel einfach zu klein ist

Und das nicht erst mit der Putzerfisch-Studie. Elefanten beispielsweise sind keine visuellen Tiere und haben lange den Test nicht bestanden. Bis im Jahr 2006 Wissenschaftler vom Hunter College in New York festgestellt haben, dass der Spiegel für die Elefanten schlicht zu klein war. Mit Blick auf die Putzerfisch-Studie stellt Daum fest, dass die Tests ordentlich und korrekt durchgeführt wurden. Heißt das, dass Putzerfische ein Selbstbewusstsein haben?
"Ich wäre bei Kindern genauso vorsichtig wie bei Putzerfischen, von Selbstbewusstsein zu sprechen, das man über den Spiegeltest misst. Ich glaube, die Autoren beschreiben das sehr gut, dass die Putzerfische den Spiegeltest, nach den Kriterien, die man benutzt, bestehen. Und alles andere ist unsere Interpretation, was wir glauben, dass der Test misst."
Ähnlich sieht das auch Alex Jordan in seinem Versuchslabor in Konstanz.
"Manche Tiere fallen durch, vielleicht weil sie die Markierung einfach nicht stört oder aus anderen Gründen. Und andere bestehen ihn, wie die Fische. Aber ich glaube, sie nutzen dafür verschiedene kognitive oder soziale Prozesse. Und deswegen sollte meiner Meinung nach der Spiegeltest als Vergleichstest der Selbstwahrnehmung verworfen werden."
Putzerfische würden verstehen, wie ein Spiegel funktioniert und dass sie im Spiegelbild ihren eigenen Körper sehen, so der Ornithologe weiter. Das sei ein enormer Kenntnisgewinn, denn das zeige, dass Putzerfische intelligenter sind, als bisher angenommen. Über das Selbstbewusstsein sage das aber nichts aus. Der Spiegeltest als Beweis für Selbstbewusstsein oder Selbstwahrnehmung gerät damit weiter ins Wanken.
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