Selbstverwaltetes Bergdorf
24.06.2009
Bolivien ist ein Land, in dem soziale Unterschiede jahrhundertelang unüberwindbar waren - bis zur Revolte der Einwohner des Bergdorfs El Alto vor rund sechs Jahren. Dort wurde damals die Stadtregierung durch Nachbarschaftsräte ersetzt. Der uruguayische Journalist Raúl Zibechi analysiert in seinem aktuellen Buch die Struktur dieser Gemeinschaften.
Es gibt, allem vorherrschenden Pessimismus zum Trotz, einen fundamentalen Ansatz zur politischen Neuorientierung. Das erklärt der uruguayische Journalist und engagierte Linke Raúl Zibechi. Den Ansatz findet er bei den indigenen Selbstorganisationen in Lateinamerika. Dass sich dort viel verändert hat mit Beginn des Jahrtausends, ist offenkundig: Sogar Peru, ein Land, das noch nie durch besondere Berücksichtigung seiner indigenen Bürger aufgefallen ist, musste der Indiobewegung in Amazonien gerade einen, wenn auch kleinen, Sieg einräumen.
Doch das große - und für viele auch erschreckende - Beispiel ist Bolivien: Ein Land mit einer indigenen Bevölkerungsmehrheit, die jahrhundertelang von politischer Repräsentation weitgehend ausgeschlossen war und nun mit einem Indio-Präsidenten und ehemaligen Koka-Bauern an der Spitze ein gerechteres Staatswesen aufzubauen versucht.
Doch Zibechi interessiert sich in diesem Buch weniger für den Staat selbst, den er prinzipiell nicht für ein "geeignetes Werkzeug zur Erzeugung emanzipatorischer sozialer Beziehungen" hält. Er analysiert vielmehr die Funktionsweise der Organisation der Bewohner von El Alto, der Stadt oberhalb von La Paz, in die innerhalb der letzten 20 Jahre ganze Dörfer, Fabrikbelegschaften und Minenarbeitergemeinschaften gezogen sind. Diese Leute haben die Stadt, die anfangs nicht mehr war als ein sich selbst überlassener Slum, selbst bauen müssen. Sie haben sich Schulen, Wasserversorgung, Infrastruktur erkämpft. Ihre Nachbarschaftsvereine waren es, die 2002 und 2003 erfolgreich gegen die amtierende Regierung revoltiert haben.
Zibechi untersucht die kommunitären Strukturen dieser in Netzwerken zusammengeschlossenen Gemeinschaften mit allen Mitteln der akademischen Soziologie, was das Buch nicht leicht lesbar macht. Dafür ist es äußerst unpathetisch und recht präzise. "Ayllu" ist der Schlüsselbegriff, mit dem er operiert: Das ist das dörfliche System des gemeinsam verwalteten und genutzten Besitzes, wie ihn die andinen Völker der Aymara und der Quechua seit jeher praktiziert haben. Repräsentation ist darin eine Pflicht, keine Auszeichnung, die soziale Kontrolle bestimmend. Der Zusammenhalt ist enorm und der Organisationsgrad extrem hoch.
Dass dem Buch das dümmlich-revolutionsromantische Vorwort des Nordamerikaners John Holloway vorangestellt ist, sollte interessierte Leser nicht abschrecken. Für die deutsche Ausgabe wären allerdings mehr editorische Hilfestellungen nötig gewesen - in Form ausführlicherer Anmerkungen und Erklärungen.
Besprochen von Katharina Döbler
Raúl Zibechi: Bolivien. Die Zersplitterung der Macht
Aus dem Spanischen von Horst Rosenberger
Nautilus Flugschrift, Hamburg 2009
192 Seiten, 15,90 Euro
Doch das große - und für viele auch erschreckende - Beispiel ist Bolivien: Ein Land mit einer indigenen Bevölkerungsmehrheit, die jahrhundertelang von politischer Repräsentation weitgehend ausgeschlossen war und nun mit einem Indio-Präsidenten und ehemaligen Koka-Bauern an der Spitze ein gerechteres Staatswesen aufzubauen versucht.
Doch Zibechi interessiert sich in diesem Buch weniger für den Staat selbst, den er prinzipiell nicht für ein "geeignetes Werkzeug zur Erzeugung emanzipatorischer sozialer Beziehungen" hält. Er analysiert vielmehr die Funktionsweise der Organisation der Bewohner von El Alto, der Stadt oberhalb von La Paz, in die innerhalb der letzten 20 Jahre ganze Dörfer, Fabrikbelegschaften und Minenarbeitergemeinschaften gezogen sind. Diese Leute haben die Stadt, die anfangs nicht mehr war als ein sich selbst überlassener Slum, selbst bauen müssen. Sie haben sich Schulen, Wasserversorgung, Infrastruktur erkämpft. Ihre Nachbarschaftsvereine waren es, die 2002 und 2003 erfolgreich gegen die amtierende Regierung revoltiert haben.
Zibechi untersucht die kommunitären Strukturen dieser in Netzwerken zusammengeschlossenen Gemeinschaften mit allen Mitteln der akademischen Soziologie, was das Buch nicht leicht lesbar macht. Dafür ist es äußerst unpathetisch und recht präzise. "Ayllu" ist der Schlüsselbegriff, mit dem er operiert: Das ist das dörfliche System des gemeinsam verwalteten und genutzten Besitzes, wie ihn die andinen Völker der Aymara und der Quechua seit jeher praktiziert haben. Repräsentation ist darin eine Pflicht, keine Auszeichnung, die soziale Kontrolle bestimmend. Der Zusammenhalt ist enorm und der Organisationsgrad extrem hoch.
Dass dem Buch das dümmlich-revolutionsromantische Vorwort des Nordamerikaners John Holloway vorangestellt ist, sollte interessierte Leser nicht abschrecken. Für die deutsche Ausgabe wären allerdings mehr editorische Hilfestellungen nötig gewesen - in Form ausführlicherer Anmerkungen und Erklärungen.
Besprochen von Katharina Döbler
Raúl Zibechi: Bolivien. Die Zersplitterung der Macht
Aus dem Spanischen von Horst Rosenberger
Nautilus Flugschrift, Hamburg 2009
192 Seiten, 15,90 Euro