Selbstverteidigungstechnik Krav Maga

Würgen, werfen, treten

Die Krav-Maga Trainerin Beate Bechmann (r) trainiert am 07.01.2016 in ihrem Studio in Offenbach am Main (Hessen) mit Ayse (l) die Abwehr eines Angriffs. Seit den Übergriffen in Köln verzeichnet die Kampfsport-Ausbilderin einen Ansturm auf Selbstvertidigungskurse für Frauen.
Krav Maga dient der Selbstverteiligung. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Peter Kaiser · 01.12.2017
Beim Karate oder Taekwondo braucht man etliche Jahre, um die Kampfsportart auch zur Selbstverteidigung einsetzen zu können. Anders beim Krav Maga: Weil die von Imrich Lichtenfeld in den 1930er-Jahren entwickelte Kampftechnik schnell zu erlernen ist, wird sie auch hierzulande immer beliebter.
"Thema: Würgen von vorne. Das Gefährliche daran ist, dass einerseits auf den Kehlkopf gedrückt wird, andererseits kann er uns außen die Halsschlagader abdrücken, dass wir kein Blut mehr kriegen, und er kann uns auch durchaus innen die Luft abdrücken."
Dienstagabend in der Kampfkunstschule Neukölln. Es ist Unterricht im Selbstverteidigungssystem Krav Maga. Heute wird die Abwehr bei Würgeangriffen gelehrt. Doch zuvor noch eine Warnung…
"Wenn Ihr jetzt würgt, bitte nicht auf den Kehlkopf, sondern darunter, damit ihr euren Partner nicht verletzt."
Martin Klingner, der Krav-Maga-Lehrer, Instructor genannt, steht vor etwa zehn Frauen und Männern unterschiedlichen Alters. Direkt vor Martin steht jetzt ein Schüler. Dessen muskulöse Hände drücken Martins Hals von vorne. Detailliert erklärt der noch junge Instructor den Schülern die Abwehr gegen den simulierten Angriff.
"Nimm das Kinn runter, Schultern hoch, ich versuche mir hier ein bisschen Raum zu verschaffen, dann geht der Unterarm über die Handgelenke, ich rotiere den Oberkörper, breche seinen Griff, die zweite Hand geht hier unten unter den Daumen, reißt ein bisschen auf, die Hand, die oben drüber greift, nimmt sich jetzt einen Finger oder einen Daumen, dreht sich wieder zurück aus, gleichzeitig kann die andere Hand schlagen. Ihr könnt von hier aus einen Hebel bringen, ihn zu Boden bringen, und dann weg, wenn die Gefahrensituation gebannt ist."

Aus Angst vor antisemitischen Angriffen entwickelt

"Dann in Dreiergruppen. Und zwar greifen immer zwei Leute eine Person an, immer hintereinander weg, eine Minute lang, dann wechseln."
In den 1930er-Jahren wurde Krav Maga - das hebräische Wort "Krav" meint Kontakt, und "Maga" Kampf - vom ungarischen Juden Imrich Lichtenfeld entwickelt. Lichtenfeld, ein erfolgreicher Boxer und Ringer, schuf das System vor allem, um sich und andere vor antisemitischen Angriffen zu schützen. Als Lichtenfeld 1942 nach Palästina emigrierte, wurde er sechs Jahre später Nahkampfausbilder in der der noch jungen israelischen Armee.
Dort schuf er erst das militärische Krav Maga, das die kompromisslose Ausschaltung des Angreifers bis hin zu dessen Tötung beinhaltet. Wenig später variierte Lichtenfeld das militärische Krav Maga zu einem zivilen Selbstverteidigungssystem, bei dem es vor allem um den Selbstschutz geht. Der ehemalige Ministerpräsident des israelischen Staates Itzak Rabin schrieb Lichtenfeld später:
"… meinen Dank an Dich für Deinen Beitrag zur Schaffung eines muskelbewussten Judentums bei den israelischen Streitkräften."

Erfolg schon nach wenigen Monaten

Krav Maga boomt derzeit. Denn während man beim Karate oder dem koreanischen Taekwondo etliche Jahre braucht, um die Techniken im Fall des Falles wirkungsvoll einsetzen zu können, gelänge das beim Krav Maga schon nach wenigen Monaten. Ein regelmäßiges Training vorausgesetzt natürlich, meint Mario Najorka, der Betreiber der Kampfkunstschule Neukölln.
"Grundsätzlich würde ich auch sagen, man sollte schon zwei Mal die Woche kommen, man kann sich bestimmt schon nach einem halben Jahr in einigen Situationen behaupten. Also es geht dann weniger um die körperliche Auseinandersetzung, sondern dadurch, dass man gelernt hat, sich auch körperlich eventuell zur Wehr zu setzen, ändert sich das Auftreten dieser Person, und dadurch kommt man oft nicht mehr in diese Situation einfach."

Das Gefühl, zum Opfer werden zu können

Ein gutes Krav-Maga-Training beinhaltet sowohl den Unterricht in verbaler Deeskalation, wie auch Faust-, Ellbogen-, Tritt- und Knietechniken. Zugleich wird der Einsatz von Alltagsgegenständen zum Selbstschutz trainiert, oder es gibt Stressdrills. Nicht selten ist ein mehr oder weniger vages Opfergefühl der Grund Krav Maga zu erlernen, wie bei der noch jungen Julia.
"Ich mache es einfach, weil ich in der Vergangenheit Situationen hatte, wo ich mich so ein bisschen unsicher gefühlt habe. Und dann bin ich hier vor einem Jahr angefangen, und seitdem mache ich das zwei Mal in der Woche, und merke eine deutliche Verbesserung. man ist fitter geworden, man fühlt sich selbstsicherer, nachts in der U-Bahn, und ja, genau."
"Hast Du es mal gebraucht?"
"Noch nicht, zum Glück, ich hoffe, das bleibt auch so."
Für den arabischstämmigen Ibrahim spielt die Herkunft von Krav Maga keine Rolle.
"Also die Herkunft hat mich eigentlich nicht wirklich interessiert. Ich fand das interessant, weil es aus einer Menge von Sportarten eine neue entwickelt hat, weil es wirklich praktisch ist, und nicht, wie die anderen Sachen, ein jahrelanges Training braucht. Sondern es geht, wenn man es regelmäßig macht, relativ schnell."

"Keep it simple, keep it stupid"

"Ein Grundsatz von Krav Maga ist: Keep it simple, keep it stupid. Das heißt einfache Technik, die wirklich für jedermann klappen kann. Es hat keinen Sinn irgendwelche Zaubertechniken zu trainieren, die vielleicht nach ein, zwei Jahren, und immer wieder trainieren, vielleicht klappen. Sondern es muss einfach und schnell gehen, und es muss effektiv sein. Und es ist keine Kampfsportart, sondern es ist reine Selbstverteidigung."
Sagt der über 50-Jährige Joachim, der in der israelischen Armee mit Krav Maga in Berührung kam.

Sportliche Fairness

Beeindruckend bei allem martialischen Würgen, Werfen, Treten ist die sportliche Fairness, mit der die Schüler der unterschiedlichsten Nationalitäten sich gegenseitig im Training behandeln. In einem Lehrbuch zum Krav Maga schreibt der Gründer Lichtenfeld, der sich später Imi Sde-Or nannte:
"Wir hoffen aufrichtig, dass Sie niemals in eine Situation geraten, die die Anwendung des Krav Maga erforderlich macht, aber auch dass Sie diese Techniken, wenn Sie dennoch in eine solche Lage geraten, ohne zu zögern, mit Selbstvertrauen erfolgreich anwenden."
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