Selbstständige mit Zuwanderungsgeschichte

Von der Coronakrise doppelt betroffen

07:34 Minuten
Zusammengeklappte Sonnenschirme sind auf der Außenterrasse einer Rooftop-Bar in Berlin zu sehen. Die Bar ist wegen der Ansteckungsgefahr in der Covid-19-Pandemie geschlossen.
Geschlossene Gastronomie in Berlin: Manche Wirtschaftsbereiche trifft die Pandemie stärker als andere. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Luise Sammann · 09.03.2021
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In Gastronomie, Handel - und auch anderen Bereichen: Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gründen hierzulande überdurchschnittlich häufig ein Unternehmen. Die Pandemie stellt nun aber gerade die sogenannte Migrantenökonomie auf eine harte Probe.
"Das ist ein Schinkel-Denkmal. Karl-Friedrich Schinkel. Der hat so viel in Berlin gebaut. Das ist schon ein super Architekt gewesen", erklärt Gertrudis Salom Bonet. Sie steht im Berliner Viktoria-Park, legt den Kopf in den Nacken. Vor ihr erhebt sich das 200 Jahre alte Nationaldenkmal für die Befreiungskriege. Die Stadtführerin könnte viel darüber erzählen. Doch seit dem ersten Lockdown vor einem Jahr hört ihr niemand mehr zu.
"Wenn ich darüber rede, denke ich, wo bin ich. Weil es ist so lange her, dass ich das mal erzählt habe. Jetzt würde die Saison anfangen. März, April bis September, Oktober. Und die Hotels sind alle zu. Wir dürfen noch nicht einmal führen. Das ist verboten, weil wegen diesem Abstand. Vielleicht mit zwei Personen oder so, aber keine Gruppen", erzählt sie.
Unzähligen Gruppen hat Getrudis Salmon Bonet Berlin gezeigt – vor 15 Jahren machte sie sich als zertifizierte Stadtführerin selbstständig. Die Spanierin ist damit eine von etwa 750.000 Gründerinnen und Gründern mit Zuwanderungsgeschichte, die seit Jahren zur Wirtschaftsdynamik beitragen.

Gründungen auch in wissensintensiven Bereichen

Einer Bertelsmann-Studie zufolge sorgten Migrantenunternehmen im Jahr 2018 für mehr als 2,2 Millionen Beschäftigungsverhältnisse. Hinzu kommen Ausbildungsplätze und neue Produkte für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Neben klassischen Bereichen wie Gastronomie und Handel gründen Zugewanderte immer öfter auch in sogenannten wissensintensiven Branchen, sagt Wirtschaftswissenschaftler René Leicht von der Universität Mannheim.
"Viele von ihnen haben sich selbstständig gemacht, weil sie am Arbeitsmarkt benachteiligt wurden", sagt er. "Das betrifft nicht nur den Zugang zu Jobs, sondern auch die innerbetrieblichen Aufstiegschancen oder das erzielte Einkommen. Das heißt, diese Ungleichheit ist für viele einer der Gründe, weshalb sie ein eigenes Unternehmen gründen um dadurch zu höherer Autonomie und auch zu einem höheren Einkommen zu gelangen."
Viele Gründerinnen und Gründer mit Einwanderungsgeschichte verbinde dabei die Tatsache, dass sie mit wenig Eigenkapital und damit oft am Existenzminimum gründeten. Auch seien sie besonders häufig in Branchen mit viel Kundenkontakt aktiv, so der Wirtschaftswissenschaftler. Die Krise trifft sie damit überdurchschnittlich hart. Und staatliche Coronahilfen zu beantragen, erleben viele als besonders kompliziert.

Schwierigkeiten bei der Beantragung von Hilfen

"Weil, echt, du musst auf jedes Wort achten! Jedes Wort", erinnert sich Stadtführerin Gertrudis Salom Bonet.
"Dann dachte ich, oh Gott, das ist eine Falle, das ist eine Falle. Und dann habe ich immer mehr einen Schreck gekriegt und dann habe ich das nicht rechtzeitig eingereicht. Weil dieses ganze Kleingedruckte, das ist superschwer für einen, der nicht so gut Deutsch spricht, das ist unmöglich ohne Hilfe von außen."
Gertrudis Salom Bonet steht in einem Berliner Park.
"Jetzt würde die Saison anfangen", sagt Stadtführerin Gertrudis Salom Bonet.© Deutschlandradio / Luise Sammann
Solche Hilfe bietet unter anderem die Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten, kurz ASM, in Hamburg. 2007 von Unternehmerinnen und Unternehmern mit Einwanderungsgeschichte gegründet, berät die ASM seine Mitglieder etwa bei Existenzgründungen oder wirbt um migrantische Unternehmen als Ausbildungsbetriebe.

Sprachbarriere und Angst vor Fehlern

Seit einem Jahr aber bestimmt die Coronaberatung den Alltag. Projektleiterin Katrzcyna Rogacka-Michels weiß, wie groß die Probleme sind: Neben der Sprachbarriere sei die Angst etwas falsch zu machen bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte besonders groß. Vielen fehle zudem Wissen über deutsche Behörden – also wo etwa ein Antrag zu stellen ist oder was genau Hilfen vom Staat umfassen.
"Natürlich reagiert man ängstlicher, wenn man eben auch bestimmte Sachen auch nicht versteht und sich Sorgen macht, was bedeutet das dann", sagt sie. "Was wird, wenn ich einen Zuschuss beantrage und dann denke, muss ich das bezahlen, wofür darf ich das dann ausgeben, und so weiter. Weil natürlich der Umgang mit Behörden in unterschiedlichen Herkunftsländern ein anderer ist. Die sind nicht immer nett und so. Und da kann man vielleicht das ein oder andere nicht so gut einschätzen als das, was man in seinem Herkunftsland kannte."
Gerade deswegen seien die Beratungen ihres Vereins in diesen Zeiten überlebenswichtig, so Katarzyna Rogacka-Michels. Von den Behörden gebe es vergleichbare Angebote nur in Einzelfällen. ASM selbst verdient an den Beratungen nichts, muss das Angebot also mit anderen Projekten querfinanzieren.

In der Krise alleingelassen

Und so wird die so genannte Migrantenökonomie in Deutschland seit einigen Jahren zwar hoch gelobt – in der Krise aber lasse man sie bisher allein.
"Was wir uns wünschen, ist natürlich eine dauerhafte Unterstützung und Finanzierung", sagt Katarzyna Rogacka-Michels. "Dass man es einsieht, dass es diesen Bedarf gibt in unserer Gesellschaft, in der Wirtschaft. Das brauchen nicht alle Migrantinnen und Migranten. Das will ich nicht sagen. Aber dieser Teil, der für die Nahversorgung steht, die die Dienstleistungen in unserer Gesellschaft erbringen, die jeden Tag für das Funktionieren unserer Gesellschaft auch sorgen und die ihre Steuern zahlen, ihre Mitarbeiter einstellen. Und dass man für diese Unterstützungen im Blick hat."
Wirtschaftswissenschaftler René Leicht fürchtet deshalb, dass die Zahl der Gründungen in Zukunft deutlich zurückgehen könnte. Neben Akutlösungen für die aktuelle Lage plädiert er deswegen für langfristige Strategien.
"Soweit bislang die Arbeitsmarktpolitik mit Maßnahmen der Einwanderungspolitik verknüpft wurde, waren das Initiativen zur Gewinnung von Fachkräften, die von deutschen Unternehmen gesucht wurden. Künftige Maßnahmen sollten sich daher direkt an einwanderungswillige Personen richten, die hierzulande mit neuen Produkten und Ideen selbstständig tätig werden wollen. Dies würde der Wirtschaftssituation in Deutschland sicherlich wohltun und auch für Erneuerung sorgen."
Der Tourismusbranche allerdings dürfte auch das auf absehbare Zeit nicht mehr helfen. Stadtführerin Gertrudis Salom Bonet hat kurz vor den Osterferien wenig Hoffnung für sich und ihre selbstständigen Kolleginnen. Viele hätten bereits aufgegeben, suchten nach Anstellungen in Supermärkten oder Bäckereien.
"Manche haben angefangen, online virtuelle Stadtführungen zu bieten", erzählt sie. "Aber will man das? Es ist so traurig. Ich weiß nicht, wie das Modell sein wird in der Zukunft."
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