Selbstporträts von Beckmann bis Schiele

Die Seele auf die Leinwand bannen

03:54 Minuten
"Selbstbildnis in braunem Mantel" von Egon Schiele (1910, Gouache, Aquarell und schwarzer Buntstift auf Papier, 45,6 x 32,2 cm. Privatbesitz)
Selbstbildnisse - hier von Egon Schiele - seien so besonders, weil sie nicht im Auftrag entstehen, sondern aus einer inneren Notwendigkeit heraus, sagt Kurator Tobias Nattern. © dpa / picture-alliance / akg
Von Georg Schwarte · 28.02.2019
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Selbstporträts sind das absolute Gegenteil von Selfies: "Das ist der kritische Dialog mit dem eigenen Ich", sagt Kurator Tobias Nattern. In der Neuen Galerie in New York zeigt er Selbstdarstellungen von 30 Künstlern.
Das Finale im Selbstbildnis. Beim jüdischen Maler Felix Nussbaum ist es die Hoffnungslosigkeit, die aus seinem finalen Selbstporträt herausläuft. Kurator Tobias Natter von der Neuen Galerie sagt, es ist vielleicht das hoffnungsloseste Selbstbildnis eines Malers überhaupt:
"Da zeigt er sich völlig verschreckt, in die Ecke gedrängt, den Kragen hoch gestellt, ängstlicher Blick. Es gibt kaum eine Hoffnung in diesem Gemälde. Und er zeigt sich mit jüdischem Ausweis. Ein finales Selbstbildnis, wo die Frage ist: Gibt es noch Hoffnung? Und letztlich zeigt sich, dass er das Rennen verlieren wird. Er wird verhaftet, er kommt nach Auschwitz und wird ermordet."
Das letzte Selbstporträt von Felix Nussbaum (1943, Öl auf Leinwand, 56 × 49 cm. Sammlung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung).
Das letzte Selbstporträt von Felix Nussbaum (1943).© dpa / picture-alliance / akg
1943, Nussbaums letztes, sein finales Selbstbildnis. Eines von übrigens 75 Selbstporträts, die die Neue Galerie in New York zusammengetragen hat. Von Beckmann bis Schiele. Deutsche Maler und ihre besondere Liebe offenbar, die eigene Seele auf die Leinwand zu bannen: Das Selbstporträt als Sujet in der Kunst. Der eigene Körper als Spiegel, Nacktheit, Verletzlichkeit.
"Was das Selbstbildnis so besonders macht: Es entsteht nicht im Auftrag", sagt Tobias Nattern. "Das ist etwas, das aus der inneren Notwendigkeit des Künstlers kommt."
Selbstbildnisse ausgestellt im Zeitalter des Selfies. Kurator Natter aber schüttelt den Kopf und sagt, nichts könnte größer sein als dieser Kontrast:
"Wenn wir durch diese Ausstellung gehen, dann sehen wir vor allem eines: den riesen Unterschied zwischen dem, was ein Selfie ist – wo jeder versucht, sich gut oder interessant oder sonst wie in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Das Selbstbildnis ist etwas komplett anderes. Das ist der kritische Dialog mit dem eigenen Ich. Und das geht in einer breiten Bandbreite von – Wer bin ich? Was bin ich? Was will ich sein? – bis hin zur Selbstinszenierung, das Selbstbildnis als Monument."

Ein Aktbild als Selbstporträt

75 Bilder. Von Beckmann bis Schiele. Ein zentrales Werk: der erste weibliche Akt als Selbstporträt der Kunstgeschichte, Paula Modersohn-Becker. Das Bild ist eine Leihgabe des Bremer Modersohn-Becker-Museums, der Direktor Frank Schmidt persönlich begleitete das zentrale Werk der Malerin nach New York: eine eigene Wand für Modersohn-Becker.
Der Bremer ist auch von den Werken beeindruckt, die hier zu ihren Nachbarn geworden sind:
"Der Kokoschka hing noch nicht. Da kam erst die Kurierin. Das ist natürlich auch fantastisch. Schöne Nachbarschaft! Mit Kirchner, Kokoschka, Käthe Kollwitz, Meidner, Hodler – alle da!"
Paula Modersohn-Becker eben auch. Was die Maler eint: Sie stammen allesamt aus dem deutschen Sprachraum. Kurator Tobias Natter sagt:
"Denn denken Sie an Picasso, dann denken Sie an vieles, an Kubismus, an periode rose oder bleu – aber man denkt nicht an Selbstbildnisse. Denken Sie an Monet, Manet oder Renoir, die haben andere Themen. Das heißt das Selbstbildnis ist auch ganz stark etwas aus diesen deutschsprachigen Ländern."
Noch bis zum 24. Juni sind diese "Spiegel der Seelen", 75 Werke von 33 Künstlerinnen und Künstlern in der Neuen Galerie in New York zu sehen.
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