Selbstporträts als Ortsangabe

Von Jürgen Bräunlein |
Schon mehr als 20 Jahre macht der Künstler Thomas Eller Selbstporträts. Mal sieht man ihn darauf nackt, mal im dunklen Anzug. Verzerrt oder bis zur Zimmerdecke aufgebläht werden seine Selbstbildnisse zu Skulpturen im Raum. Der 41-jährige Berliner erhält in diesem Jahr den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste.
Thomas Eller: " Meine Entscheidung, nur Selbstporträts zu machen, war eigentlich um den Ort zu markieren, von dem aus man wahrnimmt und auch Entscheidungen trifft; das ist der Ort, an dem sich die Welt aktualisiert. Deswegen ist das Selbstportrait, das ich mache, gar kein Portrait, in dem Sinne, dass ich da über mich Auskunft geben will, sondern das ist immer eine Ortsangabe. "

Mehr als zwanzig Jahre schon macht der Künstler Thomas Eller Selbstporträts. Selbstporträts, die es in sich haben. Gleich in vier- oder fünffacher Ausführung sieht man Thomas Eller im Raum: stehen, schweben oder gar an den Wänden hängen. Extrem verkleinert, bis zur Zimmerdecke aufgebläht oder anderweitig verzerrt. Mal nackt, mal im dunklen Anzug, immer aber mit gleichmütigem Blick. Fotografische Selbstporträts, vom Künstler ausgeschnitten und auf stabile Aluminiumständer geheftet. So bevölkern sie dann im Rudel oder als Einzelstücke Museen und Kunsthallen.

" Eine Galeristin von mir hat es einmal vierdimensionale Fotografie genant. Weil das nicht nur auf den zwei Dimensionen in den Raum hinausgeht, sondern auch noch einen Zeitaspekt hat, mit den ganzen Bewegungsspuren, die da drin sind, teilweise tauchen dieselben Elemente mehrere Male hintereinander auf. Man schaut in einem Element aufs nächste, vervollständigt die Bewegung eigentlich im Kopf. Man macht einen Video im eigenen Kopf, während man die anschaut."

Nicht an eitler Selbstbespiegelung ist Thomas Eller interessiert, sondern am Spiel mit Blickwinkeln und Perspektiven. Sein Ansatz fast schon philosophisch: Was bedeutet Fotographie heute? Und was verändert sich für den Betrachter, wenn Fotos zu Skulpturen im Raum werden.

" Man kann von oben auf etwas fotografieren, kann das nach ganz oben auf die Wand hängen, dann hat man als Betrachter nämlich einen Konflikt. Das Auge sagt: Schau von oben drauf, dein Körper sagt, ich muss aber nach oben gucken, um das anzuschauen Und mit diesen unterschiedlichen konfliktbeladenen Raumkonzepten kann ich arbeiten. Und die Frage auch an den Betrachter zurückgeben: Wo stehst du denn eigentlich? "

Thomas Eller steht gerade ziemlich gut da. Nach Ausstellungen in Köln und Düsseldorf, London und New York, und mehreren Stipendien, nun auch noch eine Auszeichnung für sein Gesamtwerk: den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste. Dabei ist der gebürtige Franke erst 41 Jahre jung. Seine Kunst mag auffallen, nicht aber er selbst. Eher klein und unscheinbar angezogen, mit brav gekämmten Haaren und leiser Stimme, so sitzt er da, und könnte auch ein Beamter im mittleren Dienst sein.

" Als ich an die Kunstakademie kam hier in Berlin und ich gemerkt habe, das mir die Professoren einen alten Kunstbegriff verkaufen wollten, der mich nirgendwo hingeführt hat, flog ich ja dann relativ schnell raus und habe Religionswissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie studiert, um mir den Input, den man braucht, um als Künstler die Welt anzuschauen, auch zu holen. Und das würde ich auch jedem Künstler empfehlen, ansonsten befindet man sich auf einem Markt, in dem man künstlerische Produkte verkauft. Das hat mich nicht so interessiert. "

Das Jahr 1996 wird zum großen Einschnitt im Leben von Thomas Eller. Der Umzug nach New York. Geplant war das nicht, sondern eine Verkettung glücklicher Umstände:

" Als erstes hatte ich die Greencard gewonnen, und das auch nur, weil ich davon geträumt hatte nachts, ich würde mal nach New York fahren, und dann hatte ich am nächsten Morgen von einer Greencardlotterie gelesen und mitgespielt, dann prompt gewonnen und dann habe ich ein Stipendium bekommen, Karl Schmidt-Rottluff-Stipendium, also es war nicht dieser schreckliche Kampf, den andere haben, die illegal hingehen, irgendeinen Job suchen müssen, bei dem sie nicht angemeldet sind."

Jahrelang pendelte der Künstler zwischen New York und Deutschland, machte Ausstellungen hier wie dort, und brütete über neue Projekte:

" In den Ateliers, die ich vorher hatte, die alle relativ ähnlich aussahen, hatte ich so eine Technik entwickelt. Die war ganz gut. Ich habe nämlich immer alles auf eine Seite des Raums geräumt, und die andere Seite des Raums war leer. Und in diesem Gefälle von voll zu leer … Dieser leere Raum hat es irgendwie erfordert, das sich ein Bild einstellt. In Zeiten, wo ich kein Geld hatte, habe ich immer geschaut, dass ich da alte Arbeiten da hinstelle, damit mir nicht eine Idee kommt, die ich dringend muss, ich aber das Geld dazu nicht habe."

Vor zwei Jahren wurde aus dem Künstler auch noch ein Kunstvernetzer. Thomas Eller kehrte nach Berlin zurück, um die Deutsche Ausgabe des amerikanischen Online-Kunstmagazins Artnet.de aufzubauen. Artnet stellt die aktuellen Ergebnisse großer Kunstauktionen ins Netz. Für Sammler und Galeristen heiß begehrte Informationen. Das noble Büro von Artnet liegt nur wenige Meter vom Checkpoint-Charlie entfernt. Dort sitzt Thomas Eller, spricht über New York und blickt aus dem Fenster.

" Das Gute an Berlin ist, das ist noch so leer, da gibt’s noch so viel zu tun, das ist auch noch so ungeordnet, unstrukturiert. Hier ist man immer der erste, in New York ist man, wenn man Glück hat, immer der zweite oder dritte, der eine Idee ist. Das ist also eine Stadt im Aufbau, da kann man unheimlich viel Energie einbringen, und so sein kleines eigenes New York erzeugen."

Am Sonntag, 9. April 2006, wird der Käthe-Kollwitz-Preis verliehen, gleichzeitig eröffnet eine Ausstellung mit Ellers Arbeiten in der Akademie der Künste in Berlin am Hanseatenweg.