Selbstporträt als Raupe
In ihrer Heimatstadt Medellín ist sie eine Außenseiterin. Das, was andere für normal halten, lehnt sie ab. Stattdessen macht Angie Chenille ausgefallene Kunst.
„Immer kommentieren mich die Leute. Sie vergleichen mich mit Figuren aus Comics oder Filmen. Zum Beispiel: Ich sei die Schwester von Captain Spock.“
Spitze Ohren hat Angie Chenille nicht, aber einen Pagenschnitt, pechschwarze Haare und ein blasses Gesicht. Die 28-jährige Künstlerin und Grafikdesignerin zieht die Blicke magisch auf sich; besonders hier, im kolumbianischen Medellín. Angie Chenille schließt eine Tür auf. Sie schaltet die Alarmanlage aus. „Bestia Extraña“, seltsame Bestie, heißt die Galerie, in der sie arbeitet, wenn sie nicht gerade zeichnet oder malt. Monster mit Krallen und andere Fabelwesen empfangen einen in der Galerie. Hier malen Künstler alle drei Monate ihre Kunst an die Wände, bis alles wieder geweißt wird.
„Diese Art von Laden ist hier außergewöhnlich: in Medellín und überhaupt in Kolumbien.“
Ein Laden, in dem moderne Kunst ausgestellt und Kunstartikel verkauft werden. Einige hat Angie Chenille designet: zum Beispiel ein Kühlkissen mit dem Gesicht der seltsamen Bestie. Ihr Design-Studium kam Angie Chenille zu verstaubt vor. Sie brach es ab, um sich auf ihre Kunst zu konzentrieren. Auch wenn ihre Mutter immer sagte, Kunst sei brotlos:
„Jetzt ist meine Mutter sehr verrückt und bei den Zeugen Jehovas. Jetzt ist es ihr egal, was ich mache. Sie ist glücklich und spirituell erfüllt.“
Angie Chenille steigt eine Eisentreppe hinab und nimmt auf einem Sofa Platz. An die Wand angelehnt ist eines ihrer Bilder: eine Raupe, aus deren Rücken Bäume wachsen:
„Mein Freund Fish hat mir gesagt, dass ich wie eine Raupe bin, weil ich so gerne schlafe. Und aus dieser Raupe hier wächst ein Wald. Aber jemand anderes sah das Bild und meinte: ‚Das ist eine fliegende Insel‘. Aber für mich war es einfach nur eine Raupe, die sich verwandelt, der Bäume als Flügel wachsen und die schwebt.“
Daher ihr Künstlername Chenille, was spanisch ausgesprochenes Französisch ist und „Raupe“ bedeutet. Ihre Zeichnungen und Bilder erstellt Chenille meistens am Computer. Immer wieder bezieht sie sich selbst in ihre Kunst ein: Mal malt sie sich als Elefanten, der sich eine Pistole an den Kopf hält, mal als siamesischen Zwilling oder eben als Raupe, die gen Himmel schwebt. Dort oben sei ihr Papa, sagt Angie Chenille über ihren an Krebs gestorbenen Vater. Was aber nicht heißt, dass sie an Gott glaubt:
„Nein, das ist ein Scherz. Wie sollte ein Drogendealer in den Himmel kommen? Das würde Gott nicht zulassen.“
1980 wurde Angie Chenille in einer Kleinstadt unweit von Medellín geboren. Bald zog die Familie in die Metropole. Mit zehn Jahren erfuhr Angie, dass ihr Vater Drogen schmuggelt:
„Es war seltsam, etwas Außergewöhnliches. Und ich fühlte mich schlecht, weil man mir es nicht vorher gesagt hatte. Ich erfuhr es, als mein Vater ins Gefängnis kam. Da habe ich gefragt: ‚Warum ist mein Vater im Gefängnis?‘ Und da hat mir meine Familie gesagt: ‚Weil er mit Drogen handelt.‘“
Der Vater kam wieder frei und schmuggelte weiter Drogen. Alle drei Monate musste die Familie umziehen, Angie und ihre vier Brüder unaufhörlich die Schule wechseln. Ein Versteckspiel mit der Polizei. Jetzt kennt Angie Chenille jeden Winkel ihrer Stadt. Angie Chenille überquert eine belebte Straße und setzt sich ans Ufer eines künstlich angelegten Stromes.
„Medellín langweilt mich. Es kommt mir so vor, als ob hier alle Leute gleich wären, alle der Klon eines einzigen Modells. Wenn ein Mädchen mit 16 keine Brüste hat, bezahlen die Eltern ein Brustvergrößerung. Das ist doch verrückt.“
Schlimmer noch die Gewalt in der Stadt. Gegenüber von ihrer Wohnung wurde vor kurzem eine ganze Familie erschossen. Angeblich hat die Polizei sie liquidiert. Weg will sie aus dieser Stadt, die ihr fremd geworden ist. London wäre ihr Traum, aber ein Visum wird sie wohl nicht bekommen. Und so bleibt die kolumbianische Hauptstadt Bogotá die einzige reizvolle Alternative.
Link zu einer Zeichnung von Chenille: Selbstporträt als Raupe
Spitze Ohren hat Angie Chenille nicht, aber einen Pagenschnitt, pechschwarze Haare und ein blasses Gesicht. Die 28-jährige Künstlerin und Grafikdesignerin zieht die Blicke magisch auf sich; besonders hier, im kolumbianischen Medellín. Angie Chenille schließt eine Tür auf. Sie schaltet die Alarmanlage aus. „Bestia Extraña“, seltsame Bestie, heißt die Galerie, in der sie arbeitet, wenn sie nicht gerade zeichnet oder malt. Monster mit Krallen und andere Fabelwesen empfangen einen in der Galerie. Hier malen Künstler alle drei Monate ihre Kunst an die Wände, bis alles wieder geweißt wird.
„Diese Art von Laden ist hier außergewöhnlich: in Medellín und überhaupt in Kolumbien.“
Ein Laden, in dem moderne Kunst ausgestellt und Kunstartikel verkauft werden. Einige hat Angie Chenille designet: zum Beispiel ein Kühlkissen mit dem Gesicht der seltsamen Bestie. Ihr Design-Studium kam Angie Chenille zu verstaubt vor. Sie brach es ab, um sich auf ihre Kunst zu konzentrieren. Auch wenn ihre Mutter immer sagte, Kunst sei brotlos:
„Jetzt ist meine Mutter sehr verrückt und bei den Zeugen Jehovas. Jetzt ist es ihr egal, was ich mache. Sie ist glücklich und spirituell erfüllt.“
Angie Chenille steigt eine Eisentreppe hinab und nimmt auf einem Sofa Platz. An die Wand angelehnt ist eines ihrer Bilder: eine Raupe, aus deren Rücken Bäume wachsen:
„Mein Freund Fish hat mir gesagt, dass ich wie eine Raupe bin, weil ich so gerne schlafe. Und aus dieser Raupe hier wächst ein Wald. Aber jemand anderes sah das Bild und meinte: ‚Das ist eine fliegende Insel‘. Aber für mich war es einfach nur eine Raupe, die sich verwandelt, der Bäume als Flügel wachsen und die schwebt.“
Daher ihr Künstlername Chenille, was spanisch ausgesprochenes Französisch ist und „Raupe“ bedeutet. Ihre Zeichnungen und Bilder erstellt Chenille meistens am Computer. Immer wieder bezieht sie sich selbst in ihre Kunst ein: Mal malt sie sich als Elefanten, der sich eine Pistole an den Kopf hält, mal als siamesischen Zwilling oder eben als Raupe, die gen Himmel schwebt. Dort oben sei ihr Papa, sagt Angie Chenille über ihren an Krebs gestorbenen Vater. Was aber nicht heißt, dass sie an Gott glaubt:
„Nein, das ist ein Scherz. Wie sollte ein Drogendealer in den Himmel kommen? Das würde Gott nicht zulassen.“
1980 wurde Angie Chenille in einer Kleinstadt unweit von Medellín geboren. Bald zog die Familie in die Metropole. Mit zehn Jahren erfuhr Angie, dass ihr Vater Drogen schmuggelt:
„Es war seltsam, etwas Außergewöhnliches. Und ich fühlte mich schlecht, weil man mir es nicht vorher gesagt hatte. Ich erfuhr es, als mein Vater ins Gefängnis kam. Da habe ich gefragt: ‚Warum ist mein Vater im Gefängnis?‘ Und da hat mir meine Familie gesagt: ‚Weil er mit Drogen handelt.‘“
Der Vater kam wieder frei und schmuggelte weiter Drogen. Alle drei Monate musste die Familie umziehen, Angie und ihre vier Brüder unaufhörlich die Schule wechseln. Ein Versteckspiel mit der Polizei. Jetzt kennt Angie Chenille jeden Winkel ihrer Stadt. Angie Chenille überquert eine belebte Straße und setzt sich ans Ufer eines künstlich angelegten Stromes.
„Medellín langweilt mich. Es kommt mir so vor, als ob hier alle Leute gleich wären, alle der Klon eines einzigen Modells. Wenn ein Mädchen mit 16 keine Brüste hat, bezahlen die Eltern ein Brustvergrößerung. Das ist doch verrückt.“
Schlimmer noch die Gewalt in der Stadt. Gegenüber von ihrer Wohnung wurde vor kurzem eine ganze Familie erschossen. Angeblich hat die Polizei sie liquidiert. Weg will sie aus dieser Stadt, die ihr fremd geworden ist. London wäre ihr Traum, aber ein Visum wird sie wohl nicht bekommen. Und so bleibt die kolumbianische Hauptstadt Bogotá die einzige reizvolle Alternative.
Link zu einer Zeichnung von Chenille: Selbstporträt als Raupe