Selbstoptimierung

Sind Frühaufsteher wirklich Erfolgsmenschen?

Zwei Bauarbeiter machen eine Pause in zwei großen Baurohren.
Wozu die ganze Hektik? Mit etwas mehr Gelassenheit kommt man auch ans Ziel. © picture alliance / dpa / Adrian Bradshaw
Matthias Finger im Gespräch mit Martin Böttcher |
Wer eine Stunde früher aufsteht, kann ein echter Erfolgstyp werden. Sagt jedenfalls Hal Elrod, Autor des Bestsellers "Miracle Morning". Unser Autor hat es ausprobiert, obwohl er eher eine "Eule" ist - oder bisher war.
Martin Böttcher: Alles neu macht der Mai: Viele misten dieser Tage nicht nur ihr Heim aus, sondern knöpfen sich ihr Leben auch mal gründlich vor: Wie wäre es denn damit, endlich mal das ganzes eigene Potential auszunutzen? Das verspricht der Autor des Bestsellers "Miracle Morning", Hal Elrod. Er sagt: Wer früh eine Stunde eher aufsteht, kann ein richtiger Erfolgstyp werden. Matthias Finger hat es ausprobiert, Hallo Matthias.
Matthias Finger: Hallo.
Martin Böttcher: Und, klappt das? Bist Du ein Erfolgstyp geworden?
Matthias Finger: Der war ich vorher auch schon. Aber Erfolg kann man ja nie genug haben. Also habe ich mir gesagt: Gut, probier die "Miracle Morning"-Methode selbst aus und schau, was passiert. Das Ergebnis soll phänomenal sein, beteuert der Erfinder der Methode Hal Elrod in seinem Buch:

"Als jemand, der sich ausgiebig mit dem Potenzial des Menschen beschäftigt, kann ich mit absoluter Sicherheit behaupten, dass 'Miracle Morning' die praktischste, ergebnisorientierteste und effektivste Strategie zur persönlichen Entwicklung darstellt, die mir je begegnet ist."

Meine Freundin war auch gleich ganz begeistert und hat mich zum Ausprobieren ermutigt: Wenn es bei mir klappt, dann würde sie auch mitmachen. Ich durfte also früher aufstehen als Versuchskaninchen. Es wusste ja keiner von uns beiden, ob das wirklich klappt.

Für eine "Eule" eine echte Herausforderung

Martin Böttcher: Das zeitige Aufstehen ist natürlich der Haken: Ohne Fleiß kein Preis – besonders wenn sich etwas ändern soll. Wie war das für Dich?
Matthias Finger: Schwer. Ich musste um 7 Uhr hoch. Für "Lerchen", also Frühaufsteher, ist das kein Problem. Für mich als eingefleischte "Eule" hingegen, die gern spät ins Bett geht und lange schläft, war das eine echte Herausforderung. Hal Elrod empfiehlt übrigens, sich auf das zeitige Aufstehen zu freuen – wie ein Kind am Tag vor seinem Geburtstag. Zum Glück ist es morgens jetzt nicht mehr dunkel und der beginnende Morgen hat schon seine Reize – wenn alles noch still ist, bevor die Hektik losbricht.

Zähneputzen macht wach

Martin Böttcher: Du stehst auf – und das war es? Oder was passiert?
Matthias Finger: Elrod empfiehlt Rituale, an denen man sich festhalten kann, wenn das Gehirn noch nicht angeknipst ist. Erst einmal stumpf Zähneputzen. Die monotone Tätigkeit weckt uns schon mal auf. Und vorm Kaffee ein großes Glas Wasser trinken, weil wir vom Schlaf dehydriert sind. Und dann geht's los – mit den Übungen, die Hal Elrod in einem Gespräch noch mal so zusammenfasst:

"Mein Leben wurde durch diese sechs Übungen transformiert: Meditieren, Ziele laut ausformulieren und bildlich darstellen, Sport treiben, Bücher lesen und Erkenntnisse aufschreiben. Manchmal reicht schon eine Minute pro Tag."

Ich habe es dann erst mal mit dem Meditieren ausprobiert. Und das fühlte sich dann so an:

"Also, am liebsten würde ich mich in Schräglage anlehnen, weil ich so müde bin. Aber Elrod schreibt, dass ich in den Schneidersitz soll: Atmen sie langsam und tief ein und aus. Während der Meditation lassen sie das zwanghafte Bedürfnis los, unablässig über etwas nachdenken zu müssen. Aber wenn ich die Augen zumache, drifte ich weg und schlafe gleich wieder ein."

Das Meditieren hat für mich so nicht funktioniert.

Wem fallen schon Ziele ein, wenn er todmüde ist?

Martin Böttcher: Aber du kannst ja auch Sport treiben, Bücher lesen und laut Ziele vor dich hersagen?
Matthias Finger: Ja, von der Theorie her müsste ich Sachen sagen wie: "Ich kriege den Grimmepreis". Oder: "Ich werde ein Bestsellerautor, der Millionen Bücher verkauft." Allerdings sind mir so früh am Morgen keine richtigen Ziele eingefallen. Intendant will ich nicht unbedingt werden.
Natürlich ist dann auch der Sohnemann viel zu früh aufgewacht, als ich gedankenschwanger meinen ersten Kaffee holen wollte. Und meine Freundin dachte auch, dass ich um die Uhrzeit gleich so einiges erledigen könnte, Wäsche aufhängen oder so. Am Ende habe ich in der Stunde immer das Buch von Hal Elrod gelesen. Das ist erbauliche Literatur und somit erlaubt.
Martin Böttcher: Und ist es mit dem Aufstehen und dem Nachdenken mit der Zeit besser geworden?
Matthias Finger: Ja, sicher. Aber ich kann mir das auch leisten, eine Stunde früher aufzustehen. Für den Durchschnittsdeutschen hingegen ist die Nacht schon um 6.15 Uhr zu Ende. Viel zu früh, meint der Schlafmediziner Hans-Günther Weess, der das Buch "Die schlaflose Gesellschaft" geschrieben hat. Die "Miracle Morning"-Methode verschlimmere das nur noch. Aus chronobiologischer Sicht seien wir nicht fürs zeitige Aufstehen bestimmt, hat er mir gesagt:

"Weil es uns einfach nicht gelingt rechtzeitig einzuschlafen. Man merkt das immer bei den Schichtarbeitern, deren Schichtbeginn häufig um 6 Uhr am Morgen ist. Das ist für die Betroffenen die schlimmste Schicht, weil sie einfach in den chronischen Schlafmangel kommen, weil es ihnen nicht gelingt, abends früher einzuschlafen, weil unsere innere Uhr nicht dafür gemacht ist."

Das hat mich erst mal beruhigt. Drei Viertel aller Deutschen sind "Eulen" und würden am liebsten gegen Mitternacht ins Bett gehen – wie im Urlaub.

Macht Schlafmangel aggressiv?

Martin Böttcher: Elon Musk, der Hersteller der Tesla-Autos, soll mit wenig Schlaf auskommen. Leonardo Da Vinci, Thomas Edison und Winston Churchill haben wohl auch nicht viel geschlafen. Umweht Kurzschläfer nicht so eine Aura des Erfolges?
Matthias Finger: Ja, das stimmt. Aber manche Schlafforscher glauben auch, dass der Schlafmangel aggressiv macht – und das wiederum zum Erfolg führen könnte. Andererseits soll Albert Einstein zehn bis zwölf Stunden pro Nacht geschlafen haben. Und von Franz Kafka ist das Zitat überliefert "Dies frühzeitige Aufstehen macht einen ganz blödsinnig." Morgenstund hat Gold im Mund – die preußische Tradition des frühen Aufstehens - ist bei uns gesellschaftlich positiv besetzt. Der Schlaf hingegen wird gern diskreditiert.

Voll selbstoptimiert

Mit Begriffen wie Schlafmütze ist das auch in der Sprache verankert. Hal Elrod setzt mit der "Miracle Morning"-Methode auch darauf. Mit der Selbstoptimierung dringt die Leistungsgesellschaft in die letzten, privat geglaubten Bereiche vor. Nicht mal ausschlafen dürfen wir mehr.
Martin Böttcher: Hal Elrod empfiehlt das frühe Aufstehen, um erfolgreich zu werden. Wie ist er überhaupt auf seine Methode gekommen?
Matthias Finger: Elrod hat die Rituale erfolgreicher Menschen – wie Meditieren, Ziele laut ausformulieren und Erkenntnisse aufschreiben – aus der Ratgeberliteratur herausgefiltert und mit dem Mythos des frühen Aufstehens verknüpft. Und natürlich bringt das was, wenn wir bewusst reflektieren. Weil im Alltag oft die Zeit dafür fehlt, empfiehlt Elrod die frühen Morgenstunden – wenn wir noch unverbraucht sind.

"Ja gut, ich könnte schon so über einiges nachdenken. Warum reagiere ich manchmal so schroff auf bestimmte Äußerungen meiner Freundin, die ich anderen durchgehen lassen würde? Trinke ich zu viel Alkohol? Und warum bringe ich viele handwerkliche Projekte nie zu Ende? Hmm, schwierige Fragen…"

Frühaufstehen ist gut bei großen Ängsten

Die Trainerin Franziska Schulze hat die "Miracle Morning"-Methode auch enthusiastisch praktiziert - drei Monate lang, bis der Kick vorbei war. Dann ist ihr ein Licht aufgegangen – sagt sie mir in einem Gespräch:

"Zeit und Raum für sich zu nehmen, das ist so die Quintessenz glaube ich. Und was einem dann gut tut und wann man diese Zeit sich nimmt, das ist sehr individuell aus meiner Sicht."

Martin Böttcher: Heißt das also, das frühe Aufstehen ist Quatsch?
Matthias Finger: Nicht unbedingt. Wer sein Leben radikal verändern will oder große Ängste hat, für den ist das was – weil die Rituale Halt bieten. Für alle anderen könnte die Erkenntnis lauten "Nehmt euch mehr Zeit für die innere Einkehr". Was mache ich? Und warum?
Die Hoffnung jedoch, dass ein einziges Buch mein Leben radikal verbessern könnte, wird vielleicht nicht erfüllt – auch wenn Hal Elrod das behauptet. Früher war er Handelsvertreter und hat Messer vertickt. Heute ist er Trainer und verkauft Ideen von einem besseren Leben.
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