Selbsternannte Herrenmenschen im O-Ton
Erst 2005 wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass in Washington Originalmitschnitte der Vernehmungen der Angeklagten und Zeugen im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess existieren. Das Hörbuch "Die NS-Führung im Verhör" dokumentiert diese Vernehmungen und zeigt ein akustisches Psychogramm des menschlichen Barbaren.
Göring: "Hermann Göring. Walther Emmanuel Funk. Ernst Friedrich Christoph Saukel."
Und Wilhelm Keitel, Karl Gebhardt, Franz Schlegelberger und die anderen. Die Struktur der einzelnen CDs ist ganz einfach. Immer das Gleiche. Der jeweilige Angeklagte oder Zeuge stellt sich vor, wird vereidigt...
Göring: "Dass ich die reine Wahrheit sagen, nichts hinzufügen, nicht fortlassen."
Richter: "Sit down if you wish."
Dann der kurze, aber sehr gut einordnende Essay von Peter Steinbach, dem wissenschaftlichen Leiter der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" und der "Topographie des Terrors" in Berlin, der Geschichte in Karlsruhe lehrt. Und dann, dann dieses, ja, man möchte es flashback nennen, dieses akustische Zurückgeworfenwerden zu einem der Nürnberger Gerichtsverfahren gegen die Nazi-Kriegsverbrecher. Eine einfache Dokumentation; und genau diese formale Einfachheit braucht ein Hörstück in einer Länge von siebeneinhalb Stunden, um nicht mit irgendeiner gewollten Feature-Kunstfertigkeit von dem Monströsem abzulenken.
Göring: "Nun war das nicht Adolf Hitler allein. Jeder patriotische Deutsche fühlte das ebenso."
Rechtfertigungen – hier Göring -, Lügen, Verdrehungen, Ausweichen.
Keitel: "Ich war selbstverständlich berechtigt und verpflichtet, meine Ansichten zu vertreten. Wie schwierig das war, kann nur der beurteilen, der weiß, dass Hitler gewohnt war, schon nach wenigen Worten die ganze weitere Erörterung an sich zu ziehen."
Erst 2005 wurden die bis dato in Washington liegenden Originalmitschnitte der Vernehmungen der Angeklagten und Zeugen, die ab 1945 auf Tonträgern mitgeschnitten wurden, der Öffentlichkeit bekannt. Wenn sich jetzt, am 1. Oktober die ersten Urteilsverkündungen der Nürnberger Prozesse sich zum 60. Mal jähren, dann stellt sich natürlich die Frage, was Ulrich Lampens akustische Dokumentation, produziert von SWR und MDR, dem gesicherten historischen Fachwissen, dem Stand der Forschung, noch hinzufügen soll.
Nun, das eine ist, Menschen beim systematischen Lügen zuzuhören. Göring, Keitel und Co. lavieren, versuchen sich in jeglicher Hinsicht der Verantwortung zu entziehen – wie es nach 1945 ein Großteil der so genannten normalen Deutschen ebenfalls tat. Historisch gesichert ist inzwischen, dass viele der Prozessaussagen dreiste Lügen waren.
Aber noch etwas anderes – in gewisser Weise Hörspezifisches – vermittelt diese Dokumentation: Die Nazi-Herrenmenschen gerieren sich auch hier, vor den internationalen Richtern, immer noch als Herrenmenschen. Man hört es in ihrem widerlichen Ton, Budenzauber, wohl wahr, der einen aber gleichzeitig erschaudern lässt, wenn man erinnert, dass die Herren Göring, Keitel, Funk und die anderen in genau diesem Ton, mit genau dieser herrischen Geste Juden in die Gaskammern, Soldaten aufs Schlachtfeld, Kriegsgefangene zum Verhungern geschickt haben.
Unter diesem psychoakustischen Blickwinkel ist gerade der Fall von Friedrich Paulus interessant. Der General der Armee vor Stalingrad, 1953 aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen, hatte zusammen nach seiner Gefangenschaft mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland zum Sturz des Nazi-Regimes aufgerufen. In Nürnberg trat er als Zeuge der Anklage im Hauptkriegsverbrecher-Prozess auf.
Frage des Anklägers: "Wie würden Sie die Ziele bezeichnen, die Deutschland mit dem Überfall auf die Sowjetunion verfolgte?"
Paulus: "Die Zielsetzung, die weit über die deutsche Kraft ging. Strategisch hätte das Erreichen dieser Ziele bedeutet die Zerschlagung der Streitkräfte der Sowjetunion."
Wenn man hier dem Ex-General zuhört, wie er von den frühen Plänen Hitlers erzählt, die Sowjetunion anzugreifen, dann kann man den Eindruck bekommen, dass der soldatisch-ideologische Panzer, der sich bei den anderen Angeklagten natürlich auch in deren widerlichem Tonfall ausdrückt, von Friedrich Paulus abgefallen ist. Dass hier – zugegeben, dies ist auch Spekulation -, dass sich hier jetzt Intelligenz mit Schuldbewusstsein und einer Weltsicht zusammentut, die nicht von Hass, Tötungs- und Zerstörungswillen gekennzeichnet ist. Wie anders als Paulus ist da zu hören ein Karl Gebhardt, Angeklagter im Ärzteprozess, Leibarzt von SS-Führer Heinrich Himmler und zuständig für die medizinischen Menschenversuche in den KZ. Beispielweise an 60 Polinnen.
Frage des Anklägers: "’"Welche Vorkehrungen trafen Sie für die Frauen, die für Monate und Jahre krank waren nach diesen Versuchen?""
Gebhardt: "Ich darf zunächst zurückweisen, dass sie jahrelang krank waren. Das ist nicht wahr! Sondern die K. ist von den ganzen 60 wirklich die Kränkste. Und die gibt zu, dass sie bis zum nächsten Juli oder August krank ist."
Ausweichen. Verantwortung wegschieben. "Die NS-Führung im Verhör" – wie gesagt mehr als sieben Stunden [präzise 440 Minuten] auf acht CDs - entwickelt von Hörstunde zu Hörstunde ein immer intensiveres akustisches Psychogramm des menschlichen Barbaren. Auch diese akustische Dokumentation leistet ihren Beitrag zu dem, was der Historiker Peter Steinbach im Booklet der Hörbuch-Edition über die Bedeutung der Nürnberger Prozesse schreibt: Die Realität des NS-Staates und der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen ins Blickfeld der Zeitgenossen und in unser, der Nachgeborenen Blickfeld zu rücken.
Die NS-Führung im Verhör
Original-Tondokumente der Nürnberger Prozesse.
Dokumentiert von Ulrich Lampen, eingeleitet von Peter Steinbach.
8 CDs mit Booklet (16 Seiten)
Laufzeit 440 Minuten.
Produktion: SWR/MDR 2005 – Erschienen bei: Der Audio-Verlag
Und Wilhelm Keitel, Karl Gebhardt, Franz Schlegelberger und die anderen. Die Struktur der einzelnen CDs ist ganz einfach. Immer das Gleiche. Der jeweilige Angeklagte oder Zeuge stellt sich vor, wird vereidigt...
Göring: "Dass ich die reine Wahrheit sagen, nichts hinzufügen, nicht fortlassen."
Richter: "Sit down if you wish."
Dann der kurze, aber sehr gut einordnende Essay von Peter Steinbach, dem wissenschaftlichen Leiter der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" und der "Topographie des Terrors" in Berlin, der Geschichte in Karlsruhe lehrt. Und dann, dann dieses, ja, man möchte es flashback nennen, dieses akustische Zurückgeworfenwerden zu einem der Nürnberger Gerichtsverfahren gegen die Nazi-Kriegsverbrecher. Eine einfache Dokumentation; und genau diese formale Einfachheit braucht ein Hörstück in einer Länge von siebeneinhalb Stunden, um nicht mit irgendeiner gewollten Feature-Kunstfertigkeit von dem Monströsem abzulenken.
Göring: "Nun war das nicht Adolf Hitler allein. Jeder patriotische Deutsche fühlte das ebenso."
Rechtfertigungen – hier Göring -, Lügen, Verdrehungen, Ausweichen.
Keitel: "Ich war selbstverständlich berechtigt und verpflichtet, meine Ansichten zu vertreten. Wie schwierig das war, kann nur der beurteilen, der weiß, dass Hitler gewohnt war, schon nach wenigen Worten die ganze weitere Erörterung an sich zu ziehen."
Erst 2005 wurden die bis dato in Washington liegenden Originalmitschnitte der Vernehmungen der Angeklagten und Zeugen, die ab 1945 auf Tonträgern mitgeschnitten wurden, der Öffentlichkeit bekannt. Wenn sich jetzt, am 1. Oktober die ersten Urteilsverkündungen der Nürnberger Prozesse sich zum 60. Mal jähren, dann stellt sich natürlich die Frage, was Ulrich Lampens akustische Dokumentation, produziert von SWR und MDR, dem gesicherten historischen Fachwissen, dem Stand der Forschung, noch hinzufügen soll.
Nun, das eine ist, Menschen beim systematischen Lügen zuzuhören. Göring, Keitel und Co. lavieren, versuchen sich in jeglicher Hinsicht der Verantwortung zu entziehen – wie es nach 1945 ein Großteil der so genannten normalen Deutschen ebenfalls tat. Historisch gesichert ist inzwischen, dass viele der Prozessaussagen dreiste Lügen waren.
Aber noch etwas anderes – in gewisser Weise Hörspezifisches – vermittelt diese Dokumentation: Die Nazi-Herrenmenschen gerieren sich auch hier, vor den internationalen Richtern, immer noch als Herrenmenschen. Man hört es in ihrem widerlichen Ton, Budenzauber, wohl wahr, der einen aber gleichzeitig erschaudern lässt, wenn man erinnert, dass die Herren Göring, Keitel, Funk und die anderen in genau diesem Ton, mit genau dieser herrischen Geste Juden in die Gaskammern, Soldaten aufs Schlachtfeld, Kriegsgefangene zum Verhungern geschickt haben.
Unter diesem psychoakustischen Blickwinkel ist gerade der Fall von Friedrich Paulus interessant. Der General der Armee vor Stalingrad, 1953 aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen, hatte zusammen nach seiner Gefangenschaft mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland zum Sturz des Nazi-Regimes aufgerufen. In Nürnberg trat er als Zeuge der Anklage im Hauptkriegsverbrecher-Prozess auf.
Frage des Anklägers: "Wie würden Sie die Ziele bezeichnen, die Deutschland mit dem Überfall auf die Sowjetunion verfolgte?"
Paulus: "Die Zielsetzung, die weit über die deutsche Kraft ging. Strategisch hätte das Erreichen dieser Ziele bedeutet die Zerschlagung der Streitkräfte der Sowjetunion."
Wenn man hier dem Ex-General zuhört, wie er von den frühen Plänen Hitlers erzählt, die Sowjetunion anzugreifen, dann kann man den Eindruck bekommen, dass der soldatisch-ideologische Panzer, der sich bei den anderen Angeklagten natürlich auch in deren widerlichem Tonfall ausdrückt, von Friedrich Paulus abgefallen ist. Dass hier – zugegeben, dies ist auch Spekulation -, dass sich hier jetzt Intelligenz mit Schuldbewusstsein und einer Weltsicht zusammentut, die nicht von Hass, Tötungs- und Zerstörungswillen gekennzeichnet ist. Wie anders als Paulus ist da zu hören ein Karl Gebhardt, Angeklagter im Ärzteprozess, Leibarzt von SS-Führer Heinrich Himmler und zuständig für die medizinischen Menschenversuche in den KZ. Beispielweise an 60 Polinnen.
Frage des Anklägers: "’"Welche Vorkehrungen trafen Sie für die Frauen, die für Monate und Jahre krank waren nach diesen Versuchen?""
Gebhardt: "Ich darf zunächst zurückweisen, dass sie jahrelang krank waren. Das ist nicht wahr! Sondern die K. ist von den ganzen 60 wirklich die Kränkste. Und die gibt zu, dass sie bis zum nächsten Juli oder August krank ist."
Ausweichen. Verantwortung wegschieben. "Die NS-Führung im Verhör" – wie gesagt mehr als sieben Stunden [präzise 440 Minuten] auf acht CDs - entwickelt von Hörstunde zu Hörstunde ein immer intensiveres akustisches Psychogramm des menschlichen Barbaren. Auch diese akustische Dokumentation leistet ihren Beitrag zu dem, was der Historiker Peter Steinbach im Booklet der Hörbuch-Edition über die Bedeutung der Nürnberger Prozesse schreibt: Die Realität des NS-Staates und der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen ins Blickfeld der Zeitgenossen und in unser, der Nachgeborenen Blickfeld zu rücken.
Die NS-Führung im Verhör
Original-Tondokumente der Nürnberger Prozesse.
Dokumentiert von Ulrich Lampen, eingeleitet von Peter Steinbach.
8 CDs mit Booklet (16 Seiten)
Laufzeit 440 Minuten.
Produktion: SWR/MDR 2005 – Erschienen bei: Der Audio-Verlag