Selbstermächtigung in der Popmusik

Über Fatshaming, Vulva-Hosen und Female Empowerment

56:07 Minuten
Das Foto zeigt die Sängerin Melissa Jefferson alias Lizzo bei einem Konzert in Milwaukee, Wisconsin, im Juni 2019.
Hey, ich bin schön! Die Sängerin Melissa Jefferson alias Lizzo, die sich mit ihren Texten gegen Selbsthass wehrt. © dpa / picture alliance / ZUMAPRESS.com / Daniel DeSlover
Von Elissa Hiersemann · 11.08.2019
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Janelle Monáe, Lizzo, Héloïse Letissier, James Blake, Anna Calvi: Sie alle stellen sich gegen das weiße, männliche Hetero-Normativ. Und bereiten damit den Boden für Diversität und Selbstliebe.
Auf der Grammy-Verleihung im vergangenen Jahr sagte die US-amerikanische Musikerin Janelle Monáe als Festrednerin einen Satz, der eine Ansage war:
"Tonight I am proud to stand in solidarity, not just as an artist, but a young woman with my fellow sisters in this room who make up the music industry. Artists, writers, assistants, publicists, CEOs, producers, engineers, and women from all sectors of the business. We are also daughters, wives, mothers, sisters and human beings. We come in peace, but we mean business."
Janelle Monáe steht bei ihrer Grammy-Rede nicht nur als Künstlerin auf der Bühne, sondern stellvertretend für alle Frauen, die im Musikbusiness arbeiten und nicht die Anerkennung bekommen, die sie verdient haben: Sängerinnen, Texterinnen, Produzentinnen, Technikerinnen, Assistentinnen. Besonders die letzte Bemerkung hallt nach: "Wir kommen in Frieden, aber wir meinen es Ernst". Denn so wie ihr geht es vielen Frauen.

Selbstermächtigung auf der Bühne

In der aktuellen Popmusik sind es derzeit vor allem Frauen, die sich und andere "empowern". Superstars wie Beyoncé, Taylor Swift oder Rihanna leben Selbstermächtigung auf der Bühne vor. Musikerinnen wie Lizzo, die Britin Anna Calvi und Janelle Monáe werden sehr explizit in ihren Songs, was die eigene Ermächtigung angeht.
Janelle Monáe feiert auf ihrem aktuellen Album "Dirty Computer" Weiblichkeit in all ihren Facetten. In ihrem Video zum Song "Pynk" tanzt sie zusammen mit anderen Frauen in rosafarbenen, aufgeplusterten Hosen, die wie eine Vulva aussehen, oder hält einem Vagina-Monolog in ihrem Lied "Django Jane".
Per Knopfdruck schaltet sie das sogenannte Mansplaining, also herablassendes oder bevormundendes Gerede von Männern gegenüber Frauen, einfach stumm. Der Vagina-Monolog übernimmt. So stark dieses Bild auch sein mag: Für die Afro-Amerikanerin ist die Vagina nicht nur zum Monologisieren da.
"Unsere Vaginas sind nicht das einzige, was uns stark macht. Ich möchte die Vagina nicht zu sehr hervorheben und zum Objekt machen. Aber sie ist stark, wunderbar und wie eine Zeitmaschine. Sie ist heilig. Es geht darum, mit dem eigenen Körper in Einklang zu sein, die Kontrolle darüber zu haben, furchtlos und frei zu sein."

Plädoyer für Selbstliebe

Ähnlich offen sind die Texte der Musikerin Melissa Jefferson alias Lizzo auf ihrem Album "Cuz I love you". Die 30-Jährige prangert das sogenannte Fatshaming an und plädiert für Selbstliebe. Sie entspricht nicht dem gängigen Schönheitsideal und hat selbst sehr lange gebraucht, ihren Körper so zu lieben, wie er ist.
Lizzo weiß, dass Fettsein nicht gesund ist, und hat viel versucht, die Kilos zu verlieren. Sie weiß mittlerweile aber auch, dass sie nicht eines Tages aufwachen und nicht mehr fett sein wird. Genauso wenig wie sie eines Tages aufwachen und nicht mehr schwarz sein wird. Von daher steht die Selbstliebe bei Lizzo jetzt im Vordergrund.
"Ich habe erst mal viele schlechte Dinge über mich gesagt, bevor ich anfing, positive Dinge zu sagen. Ehrlichkeit ist ein wichtiger Schritt; Dinge laut aussprechen hilft auch. Nette Sachen sagen wie: Ich mag meine Speckrollen, sie sehen gut aus heute. Man kann nicht nur mit sich reden, wenn man sich schlecht fühlt. Das muss auch passieren, wenn man sich gut fühlt."

Auch Männer haben Gefühle und singen darüber

Nicht nur Frauen leiden unter dem Anspruch der Gesellschaft, in bestimmte Schubladen passen zu müssen, auch Männer haben es schwer, wenn sie immer nur die harten Typen sein sollen. Ein Mann, der sich als Musiker genau diesen Mechanismen ausgesetzt sieht, ist der Brite James Blake. Seine Musik wird als "sad boy music" gelabelt - "traurige Jungs Musik". Dabei tut James Blake nichts anderes, als seinen Gefühlen in seinen Songs Raum zu geben, also im Grunde eine sehr starke, selbstbewusste Geste.
Auch die britische Musikerin Anna Calvi findet es eine himmelsschreiende Ungerechtigkeit, dass sich Männer nicht genauso verhalten dürfen wie Frauen. Auf ihrem aktuellen Album "Hunter" eignet sich Calvi männliche Geschlechterzuschreibungen an und plädiert dafür, am besten ganz auf solche Kategorien zu verzichten. Für sie sind Bezeichnungen wie Männer und Frauen limitierend verglichen mit der Weite von menschlichen Erfahrungen. Außerdem findet die 39-Jährige:
"Die Kultur sollte ein Spiegel der Gesellschaft sein. Aber was wir sehen, ist ein weißes, männliches Heteronormativ. Alle verlieren, wenn es nicht andere Stimmen von Frauen, von LGBTQ oder farbigen Menschen gibt. Was für eine Verschwendung von Talent über die Jahrhunderte. All die tolle Kunst, die verloren gegangen ist, weil es immer nur um diese weiße männliche Sicht ging."
Diese Strukturen brechen langsam aber sicher auf. Was nicht zuletzt an Künstlerinnen und Künstlern wie Janelle Monáe, Lizzo, Héloïse Letissier von Christine and The Queens, James Blake oder Anna Calvi liegt. Niemand stellt sich ihnen mehr in den Weg, sich so zu lieben, wie sie sind.
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