Selbstbewusster Solist

Von Guylaine Tappaz |
Die Harfe, ein geschwungenes Monster am Rand des Orchesters? Der französische Harfenist Xavier de Maistre will das wuchtige Zupfinstrument als vollwertiges Soloinstrument etablieren, indem er etwa Klavierkonzerte berühmter Komponisten adaptiert.
"Ich hatte immer diesen Traum, diese Überzeugung, dass es in der Harfe mehr steckt. Und ich habe diesen Traum nie aufgegeben. Auch wenn ich oft hören musste: Harfe interessiert keinen Mensch.

Und jetzt kommen Leute zu mir und sagen:Sie haben Glück, eigentlich haben Sie ein Monopol. Ich sage: Na ja... Man muss die Nachfrage selbst erschaffen und mit Konzepten und Überzeugungskraft, das alles durchsetzen."

Ja, Xavier de Maistre ist selbstbewusst, aber nicht überheblich. 1,88 Meter ist er groß – genauso wie seine Harfe - muskulös, das Gesicht ist kantig, aber harmonisch. Grund, stolz zu sein, hat Xavier de Maistre allemal. Denn, wenn der 37-Jährige spielt, steht die Harfe nicht am Orchesterrand. Nein, sie steht vorne in der Mitte, direkt neben dem Dirigenten. Der Franzose ist schließlich Soloharfenist.

Das riesige Instrument an seine rechte Schulter gestützt, wiegt sich der französische Musiker bei Konzerten in der Melodie. Seine Finger flitzen über die 47 Saiten, während die Füße zwischen den sieben Pedalen wechseln.

"Für Harfe brauchen Sie eine sehr gute Koordination, einen guten Kopf, weil wir auswendig spielen. Und das war meine Stärke.

Das war wirklich ein Glück. Weil ich kein absolutes Gehör hatte und die Theorielehrerin meinte, ich sei total unbegabt für Musik, ich sollte eher Fußball spielen."

Dass er ein Instrument lernt, war für seine Akademikereltern selbstverständlich. Als der Vater aber den Sohn auf dessen Wunsch hin am Konservatorium des südfranzösischen Toulon für den Harfenunterricht anmeldete, war es ihm erst unangenehm. Klavier, Cello: ja klar. Aber doch nicht die Harfe - ein Instrument, aus dem üblicherweise zarte Frauen mit langen Haaren ätherische Klänge herausholen. Seitdem kämpft Xavier de Maistre gegen dieses Klischee des Engelinstruments.

"Die Harfe hat diese himmlischen Klänge, diese sehr transparente und klirrende Möglichkeit, aber es ist mit der Harfe auch möglich einen vollen satten Klang zu erreichen oder eine schöne Legatolinie zu singen."

Um der Harfe einen solchen Farbreichtum zu entlocken, ignoriert Xavier de Maistre die Grenzen seines Instruments: Er spielt Stücke, die sonst durch ein ganzes Orchester dargeboten werden, transkribiert klassisches Repertoire wie Debussy, Haydn oder Vivaldi.

"Das schönste Kompliment, das man mir machen kann, ist, wenn man sagt: Eigentlich ist es wie fürs Instrument gedacht. Und das passiert sehr oft."

Und dennoch: Xavier de Maistre entschied sich erst spät, Profimusiker zu werden. Man könnte sagen: der Fluch der Begabung und der Herkunft. Bei der Familie de Maistre wird man Wissenschaftler, Rechtsanwalt, Professor – aber nicht Künstler. Xavier studiert also brav Politikwissenschaften an einer Kaderschmiede in Paris, danach winkt die Elitehochschule ENA – die Uni, an der die höchsten Beamten Frankreichs ausgebildet werden. Gleichzeitig feilt er an seinem Harfenspiel bei zwei Spitzenharfenistinnen.

"Ich war auch sehr begabt für das normale Studium. Und alle haben gesagt: Das ist doch Verschwendung, dass du Musiker wirst. Ich wusste, das ist meine Wahl, aber irgendwie hatte ich noch nicht dieses Selbstbewusstsein zu sagen: OK, das ziehe ich durch und ich höre nicht auf rechst und links, das ist mein Weg."

Als er für ein halbes Jahr zur London School of Economics geht, kann er schlecht das Instrument mitnehmen. Doch die Sehnsucht ist zu groß. Xavier de Maistre schließt das Studium zwar ordentlich ab, entscheidet sich aber für eine Karriere als Harfenist. Und mit 24 erreicht er schon das, wovon viele nicht mal zu träumen wagen: eine Festanstellung bei den Wiener Philharmonikern.

"Klar, war ich überglücklich, weil es irgendwie mein Ziel war. Ich habe die Wiener Philharmoniker jedes Jahr bei Neujahreskonzert im Fernsehen angeschaut. Andererseits das war mit 24 der Gipfel erreicht und jetzt, 40 Jahre lang, dasselbe zu machen?"

Zwölf Jahre lang hat Xavier de Maistre mit den Wiener Philharmonikern gespielt. Doch im vergangenen Sommer kündigt er – seitdem widmet er sich ganz seiner Solokarriere und seiner Professur in Hamburg. Im Orchester habe ich den Eindruck gehabt, nur zehn Prozent meiner Fähigkeiten einzusetzen, sagt der Harfenist. Und außerdem: Er sei kein Orchestermensch.

Zwischen seinen Konzerten übt der Harfenist neues Repertoire ein, in seinem Haus in der Nähe von Nizza. Dort direkt am Meer lebt er mit seiner Frau – einer deutschen Musikerin – und seiner Tochter. Sie ist drei Jahre alt.

"Einerseits findet sie das hübsch, andererseits ist es das Instrument, das ihr Papa wegnimmt. Und deswegen sagt sie oft: Ich hasse die Harfe."

Auftritte von Xavier de Maistre:
Am 2. und 3.04.11 in Steinfurt in der Bagno Gallerie: "Vivaldi Project",
am 13.04.11 in Heilbronn im Kongresszentrum: "Recital"
und am 5.05.11 in Braunschweig beim Klassik Festival: "Rodrigo Concierto de Aranjuez".