Selbst ist der Autor

Jörg Plath im Gespräch mit Ulrike Timm · 21.08.2012
Das E-Book scheint auf seinem Siegeszug nicht aufzuhalten. Das heißt aber nicht, dass gedruckte Bücher unausweichlich verschwinden werden. Im Gegenteil: Viele E-Books würden nachträglich auch gedruckt, sagt Literatur-Experte Jörg Plath, und der Lesemarkt werde noch vielfältiger.
Ulrike Timm: Wenn ein Verlag mein Buch nicht druckt, dann mache ich es eben selber! Das Selbstpublizieren im Kleinverlag, das ist so alt wie das Buch, aber inzwischen sind es eben nicht mehr bloß pensionierte Studienräte, die die Geschichte ihres Heimatdorfes verlegen, oder Menschen, die einen ganz kleinen Kreis von Eingeweihten mit der Gesundheitswirkung von Marzipankartoffeln beglücken.

Seit es das E-Book, das elektronische Buch, gibt, kostet es sehr viel weniger und ist viel schneller, gleich im Internet zu publizieren, und das nutzen eben nicht mehr nur Außenseiter. Jüngst standen auf der E-Book-Bestsellerliste der "New York Times" vier Bücher, deren Autoren alles selbst in die Hand genommen haben. Die für die Veröffentlichung ihrer Werke die etablierten Verlage kurzum ausschalteten und die offenbar damit ganz erfolgreich sind.

Unser Literaturkritiker Jörg Plath beobachtet seit Langem die Verlagslandschaft und alles, was mit dem Vertrieb von Büchern zu tun hat, und mit ihm sprechen wir über diesen Trend. Selbst ist der Autor – schönen guten Tag, Herr Plath!

Jörg Plath: Guten Tag!

Timm: Ist denn das überhaupt schon ein Trend? Gibt es Vorzeigeschriftsteller, die als Selbstverleger so richtig Erfolg hatten?

Plath: Es ist vielleicht noch kein Trend, aber eine wichtige Entwicklung, glaube ich, ein anderer Markt, der sich da auftut. Bisher waren das ja immer Bücher im Selbstverlag, die von den Verlagen abgelehnt worden waren. Jetzt sind es Titel, die so erfolgreich sind teilweise, dass sie von den Verlagen hinterher aufgekauft werden und dann gedruckt werden.

Also es gibt etwa einen Deutschen, Jonas Winner, der hat von einer siebenteiligen Thrillerserie "Berlin Gothic" mehr als 100.000 Stück verlegt, und der wird jetzt – also abgesetzt, im Download – und der wird jetzt auch in den USA verlegt, übersetzt also. Auch im E-Book-Bereich bei Amazon. Martina Gerke mit "Holunderküsschen" ist dabei etwa, jetzt auch im Print, also auch im Buchverlag sehr erfolgreich, und vor allen Dingen, das darf man nicht vergessen, die Frau I. L. James mit "Shades of grey", 1.500.000 Downloads in den USA und Kanada, und jetzt auch hier im Print bei Goldmann. Also Sie sehen, das ist alles leichte Muse, Unterhaltung, Krimis. Digital verkauft sich offenbar auch gut, was sich im Print gut verkauft, und wenn die Dinger dann so gut verkauft werden, so gut heruntergeladen werden und so oft, wie das sich jeder Verlag wünscht, dann versucht er, zuzugreifen, jeder Printverlag, und versucht, daraus noch ein Buch zu machen.

Timm: Die Bücher, die Sie genannt haben als Erfolgsbeispiele, die hätten Verlage ja gern gehabt. Sie haben sie nicht gekriegt, weil die Autoren gesagt haben, mach ich selber. Was ist das genaue Motiv, und wie genau funktioniert so ein Bucherfolg im Selbstverlag? Man kann das ja nicht einfach ins Netz stellen und hoffen, dass das jeder merkt.

Plath: Die Motive sind unterschiedlich. Also nicht immer wollen die Autoren jetzt auf dem klassischen Buchmarkt reüssieren. Also offenbar hat der auch an Ansehen verloren bei einigen Leuten, sie wollen vielleicht eine größere Verbreitung anstreben, sie wollen weniger Geld verdienen oder sie wollen viel mehr Geld verdienen, auch das gibt es. Das ist sehr unterschiedlich, es ist auf jeden Fall so, dass so ein Parallelmarkt sich auftut, und da muss der Buchhandel wahrscheinlich sehr aufpassen. Bisher hatte er ja, hatten die Verlage eine Monopolposition, sie waren Geldgeber, sie konnten entscheiden, was verlegt wurde. Man konnte auch einen Verlag selbst machen, aber da waren die Mühen sehr, sehr groß. Jetzt ist es wesentlich einfacher, die Autorenstellung ist stärker geworden.

Timm: Ja, und wie regeln die Autoren dann für sich Lektorat, Werbung, Vertrieb, all das, was ja irgendwie auch dazu gehört – geht das auch alles ins Internet?

Plath: Ja, man hat zunächst einmal die verschiedenen Möglichkeiten, wenn man sein Buch als E-Book verlegen möchte. Man kann etwas alles selbst machen, man kann es sich selbst zusammenbasteln, da gibt es auch Programme für, auch von Apple unter anderem. Dann gibt es die Möglichkeit, einen Dienstleister zu beauftragen, der dann das Buch so konvertiert, dass es als E-Book herunterladbar ist, auch auf der Seite von dem Dienstleister zu finden ist. Und bei anderen, vertreibenden Onlinebuchhändlern vorhanden ist, also etwa bei Amazon und bei anderen Onlinebuchhändlern. Dann gibt es die klassischen – oder die klassischen nicht, aber es gibt E-Book-Verlage, neu, die arbeiten eigentlich so wie normale Printverlage, aber sie arbeiten eben online und sie gehören auch nicht selten zu einem klassischen Printunternehmen wie bei Droemer Knaur etwa. Und dann gibt es große Technikfirmen, die auch hineindrängen. Apple habe ich bereits genannt. Sony, Kobo, Google etwa, ganz wichtig, die produzierten früher Geräte oder sie waren, wie Amazon, Onlinebuchhändler, oder sie sind, wie Google mit Google-Books, ein Inhalteanbieter. Und sie alle wollen jetzt auch Bücher verkaufen. Sie distribuieren diese Bücher auf ihren eigenen Seiten.

Timm: Und es sind noch nicht so viele, aber doch einige große Erfolge dabei. Sie haben uns "Shades of grey" genannt oder J. K. Rowling, die jetzt auch auf dieser Welle mitsurft. Wer will, kann nämlich zum Beispiel "Harry Potter.more" lesen. Nun ist die Frau eine unglaublich erfolgreiche Schriftstellerin, Schreiberin mit ihren "Harry-Potter"-Bänden. Warum macht sie das, warum wechselt so jemand aufs E-Book? Das kann doch nicht nur Bequemlichkeit sein.

Plath: "Harry Potter" ist in einem klassischen Buchverlag erschienen, auf der ganzen Welt, auch in Deutschland. Und sie hat sich nur die E-Book-Verwertungsrechte vorbehalten. Das wird bei ihrem neuen Roman, Erwachsenenroman, "Ein unmöglicher Todesfall", der im nächsten Monat erscheinen wird, weltweit am selben Tag, genauso. Auch dort hat sie sich einige Nebenrechte, heißt das, also Verfilmung, Hörbuch, E-Book, vorbehalten und wertet die eben selbst aus. Das macht sie, um die Kontrolle zu haben darüber, was dabei herauskommt, aber natürlich auch aus Geldfragen. Und sie hat sich für diese "Potter.more"-Seite, die sehr interessant ist, weil sie dort die E-Books verbreitet und weitere Produkte rund um "Harry Potter", vorbehalten und hat einen Mann eingekauft, das, glaube ich, zeigt die Dimension des Geschäftes, der vorher stellvertretender Geschäftsführer von HarperCollins war. HarperCollins ist einer der größten US-Verlage. Eine Milliarde Dollar Umsatz jedes Jahr. Der Mann wird nicht alles selbst machen bei Frau Rowling, der wird einen größeren Stab haben. Ich habe von 40 Leuten gehört, habe es aber nicht verifizieren können, ob es wirklich 40 sind. Aber es ist eigentlich ein kleiner Verlag, den sie gemacht hat.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton im Gespräch mit unserem Literatur- und Verlagsexperten Jörg Plath über das Publizieren nach dem Motto "Selbst ist der Autor". Und wenn ich Ihnen zuhöre, Herr Plath, dann könnte ich ja glauben, wenn aus der derzeitigen Nische tatsächlich ein großer Trend wird, dann braucht man Verlage eigentlich nicht mehr.

Plath: Na, ich finde, Arbeitsteilung ist eine Errungenschaft unserer Kultur, und sie ermöglicht erst Höchstleistungen. Es ist immer schön, dass man auch mal zurück zu den Wurzeln geht und sich sagt, ich möchte alles selbst machen. Und das ist für die gut, die dazu Zeit haben und auch Talent haben. Denn man muss den ja nicht nur schreiben, man muss lektorieren, man muss produzieren, man muss vertreiben und man muss werben, werben, werben, auf allen Kanälen. Und das können und wollen nicht alle. Deswegen sagen sich Verlagsmitarbeiter, die ich gesprochen habe, sie setzen auf die persönliche Betreuung in ihren Häusern, auf die oft freundschaftlichen Kontakte zu den Autoren und auf die Leistungen, die ja von den Autoren nicht extra bezahlt werden. Denn Lektorat, Vertrieb und Werbung ist ja alles drin. Man kriegt dafür zwar auch nur zehn, acht bis zehn Prozent vom Netto-Ladenpreis, aber man zahlt nicht extra. Der Selbstverleger muss, wenn er das alles selbst machen will, selbst bezahlen und dann hoffen, dass es wieder hereinkommt.

Timm: Also der Verlag als Schleusenwärter, der uns auch vor Büchern bewahrt, die vielleicht aus gutem Grund nicht gedruckt noch im Internet verbreitet werden.

Plath: Ja. Es gibt ja Verlage für alles Mögliche. Also, und muss da gar nicht moralisch oder geschmäcklerisch argumentieren. Also, es werden, glaube ich, die kleinsten Nischen, schien mir immer, noch recht gut bedient von diesem Verlagswesen. Es gibt kleine und sehr kleine Verlage. Es gibt auch Ein-Mann-Verlage, die für ihre sehr spezielle Leserschaft die Bücher auch produzieren. Und es gibt aber offenbar immer noch Leute, die denken, es gibt weitere Texte, die außerhalb des Verlagswesens ihre Berechtigung haben. Und das erleben wir jetzt. Es ist eine Verbreiterung des Marktes, und es ist die Frage, ob darunter die Verlage sehr leiden werden.

Timm: Aber ist das Motiv nicht manchmal auch schlicht Unzufriedenheit? Denn auch bei den großen Publikumsverlagen wird ja das klassische, das sorgfältig edierte Buch mit dem gestaltenden Lektor, der dem Autor zur Seite steht, das wird ja immer seltener. Die lagern das ja auch oft aus.

Plath: Ja, es wird zumindest ausgelagert bei den Qualitätsverlagen, was die Übersetzungen angeht. Dort werden in der Regel freie Lektoren beschäftigt. Wenn man einen Qualitätsverlag ist, also sagen wir Rowohlt, Fischer, Suhrkamp, Droschl, Kiepenheuer & Witsch, einige andere fallen Ihnen da auch noch ein, dann achten die immer darauf, dass zumindest die deutschsprachigen Autoren von Lektoren im Haus betreut werden, eben, um diese Bindung auch zu erreichen, denn sonst gehen die Autoren ja auch weg, entweder zu anderen Verlagen oder vielleicht, möglicherweise in Zukunft viel leichter auch zu Selbstverlagen. Also machen es selbst.

Das ist bei Unterhaltungsverlagen allerdings viel weniger der Fall. Dort wird sehr viel mehr mit freieren Kräften, mit freien Kräften gearbeitet. Und zudem gibt es ja auch A- und B- und C-Autoren, und dann wird natürlich, sagen wir Herr Grass, umworben, aber unbekanntere Autoren, für die wird weniger gemacht, das weiß man auch. Es gibt Unzufriedenheit.

Ich finde dabei wichtig, die Verlage werden genau diesen Aspekt auch stärken müssen. Sie werden diese Arbeit am Text und mit den Autoren und auch die Betreuung der Autoren im Emotionalen und Persönlichen stärken müssen, denn diese Technik stärkt die Rolle des Autors und durch dieses ganze Outsourcing in den Verlagen, die haben ja, diese Verlage sind ja schlanker geworden, sie haben viele Lektoren auch rausgesetzt, rausgeworfen, sie machen die Pressearbeit mit externen Unternehmen, sie machen andere Arbeiten mit Externen. Und diese Externen sind natürlich auch dankbar, wenn jetzt ein Selbstverleger auf sie zu kommt und sagt, ich möchte mir meinen Text von dir lektorieren oder vertreiben oder bewerben lassen. Das geht ja auch.

Timm: Aber nachdenken müssen die Verlage natürlich schon, denn Jonas Winner, der so einen E-Book-Erfolg hatte, hat irgendwo geschrieben, na ja, er hat 5.000 Euro investiert und hat dann 100.000 Downloads gehabt. Also das sind schon Zahlen, die für sich sprechen. Was würde denn diese Entwicklung, wenn sie so weitergeht, wie sie derzeit ein bisschen anrollt, für den Buchhandel und für uns Leser bedeuten?

Plath: Ich glaube, für den Buchhandel wird es sehr problematisch. Die Verkäufe wandern zunehmend ins Netz. Die Leser kommen gar nicht mehr in die Buchhandlungen. Wir erleben schon bei den großen Buchhandlungen, bei Thalia und bei Hugendubel, bei der DBH-Gruppe, dass die sich aus den 1A-Lagen zurückziehen, dass sie ihre großen Läden verkleinern und viel mehr auf das Netz setzen. Das heißt, wenn die Leute nicht mehr in die Buchhandlungen kommen, gehen die Buchhandlungen pleite. Und wenn ihnen auch nur fünf Prozent E-Book-Umsatz, was bei einigen Verlagen bereits erreicht ist, etwa bei Piper, habe ich gehört, also bei Taschenbuchverlagen mehr, denn dort vor allen Dingen greifen die E-Books, dann fehlen diese fünf Prozent Umsatz den Buchhandlungen dringend. Und dann werden einige pleite gehen.

Für uns Leser ist das, glaube ich, ganz erfreulich. Wir werden unter anderem andere Texte kriegen, subjektivere Texte kriegen. Wir werden auch, sagen wir, andere Längen bekommen. Es sind wahrscheinlich dann auch kürzere Texte zu erwarten, wie sie ja im Printbereich ebenfalls schon vorgelegt werden, denken Sie an Stefan Hessel, "Empört Euch", dieses Pamphlet, das hat 40 Seiten, sehr licht gesetzt. Auch das war ein Erfolg. Wir bekommen so eine Spreizung in der Länge und in der Form, wie es sie vorher nicht gab. Man sagte immer, wir brauchen 300-Seiten-Romane. Aber jetzt bekommen wir kurze und lange Texte, wir bekommen subjektivere und ausgewogenere Texte. Und für die Verlage wird es sehr schwierig, wenn die populären, gut verkäuflichen Autoren abwandern, denn dann fehlt ihnen der Umsatz und das Geld, mit dem sie bisher meist finanziert haben die anspruchsvolleren, nicht so gut verkäuflichen Romane und die Lyrikbände.

Timm: Unser Literatur- und Verlagsexperte zu einem Trend, der sich auswachsen könnte: Immer mehr Autoren verlegen ihr Buch gleich komplett als E-Book mit Selbstvertrieb. Ich danke Ihnen für den Besuch im Studio.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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