Sekretärin Heide Sommer

Ein Leben an der Seite mächtiger Männer

08:42 Minuten
Heide Sommer geht hinter Rudolf Augstein zum Auto.
Heide Sommer © Darchinger, J.H./ Friedrich-Ebert-Stiftung
Heide Sommer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 30.08.2019
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Nach ihrem Abitur entschied sich Heide Sommer dazu, als Sekretärin zu arbeiten - unter anderem für Carl Zuckmayer, Rudolf Augstein und Helmut Schmidt. Nun hat sie über ihre Arbeit als "geniale Zweite" ein Buch geschrieben.
Liane von Billerbeck: Jede von uns hat eine mehr oder weniger lange Berufsvorgeschichte. Zu meiner gehören auch Stationen bei der "Zeit". Als ich da 2001 angefangen habe, wurden mir immer Storys aus der früheren Zeit erzählt, immer mit so einem leisen Unterton. Eine Frau kennt diese Geschichten, weil sie sie miterlebt hat. Heide Sommer, geboren 1940, hat mit 22 als Sekretärin in der "Zeit" angefangen, ihren Mann kennengelernt, den späteren "Zeit"-Chefredakteur Theo Sommer.
Dann wurde sie Sekretärin von Carl Zuckmayer in der Schweiz, dann landete sie beim "Spiegel" als Sekretärin von Joachim Fest, Günter Gaus und Rudolf Augstein, hat viele Jahre für Fritz J. Raddatz gearbeitet, für Loki und Helmut Schmidt. Sie tut das immer noch, jetzt für Klaus von Dohnanyi, und als Übersetzerin. Sie hat ein Buch geschrieben, das heute erscheint: "Lassen Sie mich mal machen: Fünf Jahrzehnte als Sekretärin berühmter Männer".
Es gilt die Sage, dass früher Frauen, die sich zur Sekretärin haben ausbilden lassen, als erstes zu hören bekamen: Denken Sie mit dem Chef, denken Sie für den Chef und denken Sie wie der Chef. Haben Sie das, als Sie mit 22 Jahren Ihre erste Stelle angetreten haben, auch zu hören bekommen?
Heide Sommer: Das habe ich nicht zu hören bekommen, aber es hat sich wohl so ergeben, dass ich mit den Männern, die mich als Chefs umgaben, doch gewachsen bin und mir ihre Aufträge angenommen habe und versucht habe, ihnen das Leben leichter zu machen.

Kein Studium, sondern Ausbildung

Billerbeck: Große Nähe und gegenseitiges Vertrauen zu großen berühmten machtvollen Männern, was haben Sie da gelernt? Mächtige Männer kochen auch nur mit Wasser?
Sommer: Ja, würde ich so sagen. Eine Entzauberung war es nicht, weil ich das überhöhte vielleicht nicht unbedingt erwartet habe, sondern für mich waren das Menschen, die ihren Beruf machen wollten. Es war alles menschlich. Das war eigentlich das Prägende. Heute sagt man, das waren Machtgefüge oder Machtmenschen. Aus der Rückschau kann man das wohl sagen. Aber ich habe mich damals nicht untergeben oder von Mächtigen herumgeschubst gefühlt.
Billerbeck: Sie haben aber mit 22 Jahren angefangen. Sie hatten Abitur, warum um alles in der Welt haben Sie nicht studiert, sondern haben beschlossen, ich werde jetzt Sekretärin, ich gehe da jetzt hin?
Sommer: Meine Eltern waren beide Musiker. Mein Vater wollte ein Haus bauen, als ich Abitur hatte. Ich habe noch zwei jüngere Brüder. Es ging auch ein bisschen ums Geld. Mein Vater sagte, wenn du jetzt studieren willst, dann kann ich das Haus nicht bauen. Da habe ich selbstverständlich verzichtet und meinen Weg anders gesucht - und zwar mit Freuden.
Ich habe das nicht bedauert, sondern ein Studium wäre für mich damals gar nicht so attraktiv gewesen. Ich wollte gerne in die große weite Welt und hatte auch das Vergnügen, entsprechende Männer kennenzulernen und mich auf den Redaktionen zu tummeln. Das hat mir wirklich Spaß gemacht.

Wissen und Können spielen eine Rolle

Billerbeck: Nun könnte man das Ganze mit der Macht natürlich auch mal positiv betrachten und fragen, welche Eigenschaften, welche Charakterzüge muss man haben, die einen zum Chef, zum Machtmenschen prädestinieren?
Sommer: Ob das unbedingt Charaktereigenschaften sind, weiß ich nicht. Ich glaube, es hat sehr viel auch mit Können und Wissen zu tun, mit Kompetenz. Denn wenn man gut schreibt und gute Artikel liefert, auch Reportagen – ich spreche jetzt natürlich von der Presse –, dann hat man Einfluss. Ob sich das dann in Macht sublimiert, das weiß ich nicht. Ich habe das nicht in der Weise erlebt, sondern die Diskussion ging auch früher darum, wie viel Macht hat ein Journalist - oder hat die Presse überhaupt Macht. Das wird auch heute noch diskutiert. Seriöse Journalisten, glaube ich, haben keine Macht und denken das auch nicht.
Billerbeck: Na ja, zu der Zeit hatte die Presse noch ein bisschen mehr Macht als heute, wo es viel mehr Spieler auf diesem Markt gibt. Wenn in der "Zeit" oder im "Spiegel" damals was gestanden hat, dann hatte das schon eine Bedeutung. Das hatte natürlich auch damit zu tun, welche Männer diese Macht, diese journalistische, ausgeübt haben. Haben Sie eigentlich nie gedacht, ich könnte das auch?
Sommer: Nein. Ich fühlte mich am richtigen Platz. Ich bin, sagen wir es mal so, die beste Halbgebildete, die ich kenne. Ich wollte mir niemals zutrauen und zumuten, in dieser Liga mitzumischen.

"Mein Leben bestand aus Arbeit"

Billerbeck: Warum?
Sommer: Weil ich nicht studiert habe und weil ich Wissenslücken habe, weil ich nicht den großen Überblick habe über politische Zusammenhänge. Das habe ich alles aus den Artikeln gelernt, die ich dann getippt habe. "Learning by doing" ist schon immer mein Lebensmotto gewesen. Das hat sich so ergeben.
Billerbeck: Aber es hätte dazu führen können, dass Sie irgendwann sagen, Mensch, das probiere ich jetzt auch.
Sommer: Ja, hätte. Ich hätte auch gern vielleicht eine wöchentliche Kolumne oder irgendwas mal gehabt, aber das hat sich nicht ergeben. Mein Leben war so voll mit Aufgaben und Pflichten. Ich war immer so beschäftigt, dass ich mich darum auch nicht kümmern konnte oder gekümmert habe, denn ich wurde immer weitergetragen durch das, was ich zu arbeiten hatte. Mein Leben bestand aus Arbeit.
Billerbeck: Wie oft hatten Sie das Gefühl, dass das Bild in der Öffentlichkeit nicht mit dem übereinstimmt, was Sie von Ihren Chefs hatten?
Sommer: Wenn wir an Rudolf Augstein denken, dann war das Bild in der Öffentlichkeit vielleicht nicht identisch mit dem, was ich persönlich in seiner Nähe erlebt hatte.
Billerbeck: Wie haben Sie ihn erlebt?
Sommer: Als scheu, als eigentlich dankbar für Ruhe. Streit war ihm eigentlich zuwider.

Viel menschliches Verständnis von Augstein

Billerbeck: Interessant, ausgerechnet beim "Spiegel"-Chef.
Sommer: Ja, aber das ist so mein Eindruck damals gewesen, sehr viel menschliches Verständnis, auch für mich und meine Beziehung mit Theo.
Billerbeck: Sie waren letztlich die Geliebte von Theo Sommer anfangs über Jahre.
Sommer: Ja, lange Zeit.
Billerbeck: Hatten Sie eigentlich jemals das Gefühl oder des Öfteren das Gefühl, dass Sie auch Macht ausüben? Jetzt vielleicht nicht direkt in die Öffentlichkeit, aber Macht über ihre Chefs haben?
Sommer: Sie merken, ich denke lange nach!
Billerbeck: Das sagt man öfter mal von Sekretärinnen, dass die entscheiden oder auch dem jeweiligen Chef etwas so auf den Tisch legen, dass er dann annimmt.
Sommer: Ja, das war ganz bestimmt bei Fritz J. Raddatz der Fall, der auch sehr auf meine Hilfe wartete.
Billerbeck: Warum?
Sommer: Ja, der hat oft gesagt: "Fragt bei klugen Frauen nach." Und dann hat er mir Fragen gestellt, die ich entsprechend … ich habe abgewogen, wie soll er sich hier verhalten oder da verhalten.

Einen Namen als Übersetzerin gemacht

Billerbeck: Das heißt, Sie hatten schon Macht.
Sommer: Ja, vielleicht. Wenn Sie das so ausdrücken wollen, hatte ich Macht. Das muss ich wohl so hinnehmen.
Billerbeck: Sie haben Ihre Berufe bei den unterschiedlichsten Größen aus Politik, Literatur und Journalismus ausgeübt - wie Sie selbst so schön schreiben: "von A wie Augstein bis Z wie Zuckmayer". Hat sich innerhalb dieses langen Zeitraums – fünf Jahrzehnte sind wirklich eine lange Zeit – auch der Umgang mit Ihnen geändert?
Sommer: Ja, ich bin natürlich inzwischen ein Uraltgestein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich viel mehr gesehen werde, ich bin inzwischen eigenständig, auch aufgrund meiner Übersetzungen habe ich einen Namen und ein Standing.

"Ich bin immer noch Sekretärin"

Billerbeck: Was Sie als Sekretärin nicht hatten?
Sommer: Na ja, ich bin immer noch Sekretärin. Aber die Leute wissen, mit wem Sie es zu tun haben, wenn Sie mich engagieren. Ich denke, ich habe einen ganz guten Ruf. Den habe ich mir erarbeitet.
Billerbeck: Sie haben einmal von sich gesagt, Sie seien gerne die geniale Zweite.
Sommer: Ja.
Billerbeck: War da nie auch nur im Entferntesten, auch nur einmal der Gedanke, das könnte ich und das könnte ich vielleicht sogar besser?
Sommer: Nein, ich kann am besten nachschöpfen. Ich bin glücklich in der Rolle der Zweiten und fühle nicht, dass ich zu mehr berufen wäre, zu Höherem. Dass ich nun doch noch ein Buch geschrieben habe, das verwundert mich selbst am allermeisten. Es ist vor allen Dingen sehr spannend für mich. Wollen wir sehen, ob das nun gelungen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Heide Sommer: Lassen Sie mich mal machen. Fünf Jahrzehnte als Sekretärin berühmter Männer
Ullstein Verlag, Berlin 2019
256 Seiten, 22 Euro

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