Seitenwechsel

Wenn Manager im Obdachlosencafé arbeiten

Ein Bedürftiger nimmt am Dienstag (03.07.2012) an der Essensausgabe in der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin seine Essensration von einer Mitarbeiterin entgegen.
Essensausgabe © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Godehard Weyerer · 21.03.2016
Thomas Rech ist ein erfolgreicher Manager. Und er hat etwas ungewöhnliches unternommen: Eine Woche lang ging er nicht ins Büro, kümmerte sich um Obdachlose und hat denen geholfen, die schon längst keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen.
"Na klar bin ich mir bewusst, dass ein Stück weit Glück dazu gehört, um mich auf dem Weg laufen zu lassen, auf dem ich unterwegs war und nach wie vor bin."
Thomas Rech hat sich hochgearbeitet. Vom Fahrer zum Betriebsleiter und Prokuristen. Unter seiner Regie werden in Bremerhaven rund zwei Millionen Fahrzeuge pro Jahr verladen und gelöscht. Exportfahrzeuge werden für die Fahrt nach Übersee vorbereitet, die, die importiert werden, umgerüstet, bevor sie an die Händler in ganz Europa ausgeliefert werden.
Stoßstange an Stoßstange stehen die Fahrzeuge auf den Stellflächen, die Platz bieten für 120.000 Autos. Thomas Rech ist Chef von 1.300 Mitarbeitern. Und eines hat er immer wieder erlebt. Probleme, die die Mitarbeiter von zu Hause mitbringen, schmälern den Einsatz am Arbeitsplatz.

Schon längere Zeit mit dem Gedanken gespielt Seiten zu wechseln

"Man stellt das nicht bei jedem sofort fest, das ist einfach so, das ist der Größenordnung geschuldet, sondern natürlich auch dem Umstand, ist der Mitarbeiter bereit darüber zu sprechen und es anzugeben, ich habe da ein Problem, ich will gerne mal reden. Macht natürlich nicht jeder."
Thomas Rech ist vor 25 Jahren ist in die Firma eingestiegen. Erst als Fahrer, dann zum Schlichtleiter befördert, schließlich in die Mitarbeiterführung aufgestiegen. Jedes Jahr macht er eine Weiterbildung. Betriebswirtschaftliche Themen, Logistik, Teamführung. Schon längere Zeit hatte der 47jährige mit dem Gedanken gespielt, für eine Woche die Seite zu wechseln. Kollegen hätten ihm davon erzählt. Am Ende entschied er sich für das Café Papagei, ein Café für Obdachlose.
"Moin."
"Möchtest du einen Kaffee?"
"Gerne."
"Mit?"
"Mit nichts."
"Das sind uns die Liebsten! Mit Nichts."

2.300 Euro kostet der Seitenwechsel

Das Obdachlosen-Café befindet sich in der Bremer Innenstadt, in einer von schmucklosen Hochhäusern eingefassten Betonschlucht, wenige Schritte vom Hauptbahnhof entfernt.
"Und das soll jetzt ein Jahr gehen?"
"Nee, ich glaube, solange könnt ihr mich nicht ab."
"Oh. Wir können vieles ab, glaub mir."
"Nee, ich glaube, eine Woche reicht erst einmal."
Conny Eibe ist Leiterin des Teams. Jonas Pot d´Ór arbeitet als Streetworker. Vor dem Café warten knapp zehn Männer. Um neun Uhr wird geöffnet. Bis 16 Uhr haben die Obdachlosen es hier warm und trocken, können duschen, die Tageszeitung lesen, an den Computer gehen oder am Tresen für wenig Geld Getränke und Lebensmittel kaufen. Jonas, der Streetworker, erklärt, was sie in den nächsten Tagen mit Thomas Rech, dem Seitenwechsler, gemeinsam machen werden.
"Heute Tresen und hier drin. Und morgen und übermorgen werden wir zwei Tage rausgehen und eben die normale Tour, die ich sonst mache. Die Leute aufsuchen, mit ihnen schnacken, was los ist, ob sie was brauchen."
2.300 Euro kostet das Unternehmen ein Seitenwechsel. Ein Viertel geht an die soziale Einrichtung, drei Viertel erhält der Anbieter dieses Weiterbildungsangebots für Führungskräfte.
"Donnerstag gibt es wieder einen Tag hier drin. Freitag haben wir mit dem Seitenwechsler draußen ein Abschlussfrühstück, wo wir 130 Brötchen schmieren und verteilen. Das wird eben auch finanziert durch das, was wir durch den Seitenwechsel bekommen. Da bekommen unsere Leute, unsere Kundschaft direkt was vom Seitenwechsler zurück."
Organisiert wird der Seitenwechsel von der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg, einer Einrichtung, die sich seit über 250 Jahren gemeinnützigen Aufgaben widmet und sich als Scharnier zwischen Wirtschaft und sozialen Einrichtungen sieht.

Nur 16 Prozent der Arbeitnehmer haben eine Bindung zum Betrieb

"Was darf es hier sein?"
"Ein Kaffee für 50 Cent."
Den ersten Tag seines Seitenwechsels verbringt Thomas Rech hinter dem Tresen.
"Ist das die Große, Gaby?"
"Genau."
"Und ein Brötchen mit Ei."
"Kassieren machst du? Ich kenn die Preise noch nicht."
"1,20 muss er bezahlen."
"Super, danke."
"Hier ist kein Gerumpel und Gemoser am Tresen, wenn es drei Minuten länger dauert, wenn ich mich noch ein wenig dusselig anstellen, weil ich nicht weiß, wo der Kaffee steht oder der Becher. Das finde ich schon beeindruckend, hatte ich mir in dieser Form nicht erwartet."
Wer die Seite wechselt, so die Idee, wird anschließend für die kleinen Nöte und Sorgen der Mitarbeiter ein offeneres Ohr haben. Denn das Engagement am Arbeitsplatz lasse zu wünschen übrig, sagen die Unternehmensberater von Gallup. Der deutsche Ableger der US-amerikanischen Gesellschaft legt jährlich einen Zufriedenheits-Index vor. Demnach hätten im letzten Jahr gerade einmal 16 Prozent aller Arbeitnehmer eine hohe emotionale Bindung zum Betrieb, in dem sie beschäftigt sind. 69 Prozent machten "Dienst nach Vorschrift".

Das Betriebsklima steht und fällt mit der Führungsqualität der Vorgesetzten

"Wenn du willst, kann ich dir das ja mal zeigen."
"Ja, gerne."
Draußen vor dem Café ist Thomas Rech mit einem Obdachlosen ins Gespräch gekommen, der ihm erzählt, dass er in einer Hundehütte wohnt. Damit hat Thomas Rech nicht gerechnet.
"Allein die Bezeichnung finde ich schon brutal."
"Aber ehrlich gesagt, das ist für einen Obdachlosen, der auf der Straße schläft, ist das wirklich eine Erleichterung. Erstens du weißt, wo du deine Sachen lagern kannst. Ich habe da 240 Bücher drin gestapelt."
"Kannst du das abschließen?"
"Ja. Gut, die wichtigsten Sachen habe ich immer dabei."
"Kann ich verstehen."
"So, ich muss ‘n Kaffee haben."
"Wir gehen jetzt noch einen Schlafsack holen, den wir gestern einem versprochen haben und dann gehen wir zum Bus, der steht da."
Der Anteil der deutschen Arbeitnehmer, die bereits "innerlich gekündigt" hätten, liege laut der Studie bei 17 Prozent, sagen die Unternehmensberater von Gallup. Sie seien häufiger krank, brächten keine Ideen ein, wie sich die Arbeitsabläufe verbessern ließen, oder sabotierten gar die eigene Firma. Den gesamtwirtschaftlichen Schaden beziffert Gallup auf jährlich rund 100 Milliarden Euro. Nachprüfbar sind solche Zahlen nur schwer. Fakt aber ist: Das Betriebsklima steht und fällt mit der Führungsqualität der Vorgesetzten.

Sterben auf Raten

"Moin Manni. Das ist der bessere Schlafsack."
"Oh ja."
"Den lege ich dir einfach hier dazu."
"Kann ich dir einen Kaffee anbieten."
"Ja."
"Was ist mit deinen Klamotten? Hast du eigentlich Thermo-Unterwäsche?"
"Nein."
"Willst du haben?"
"Ja."
"Dann gehe ich mal zum Bus. Dir ist gerade eine Kippe runtergefallen, bevor die in die Nässe fällt."
"Oh ja."
"Dann kommen wir gleich wieder."
"O.k., Danke ich dir."
"Also, wir waren ja gestern auch schon hier. Bei der Runde, die wir gedreht haben, haben wir viele unterschiedliche Leute kennengelernt. Und er ist schon ein Härtefall. Das ist Sterben auf Raten oder auf Ansage."
Tief versunken hockt Manni auf dem Pflaster, den Kopf gesenkt zwischen den Armen. Man versteht ihn kaum. Streetworker Jonas und Thomas Rech gehen zurück zum Bus, holen ihm Thermounterwäsche und reichen sie ihm. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht.
"Kannst du ab und zu den Hund noch mit reinnehmen."
"O.K, mach ich auch!"
"Als Wärmeflasche."
"Danke schön."
"Du rufst auf jeden Fall an, wenn du was brauchst. Oder meldest dich im Café"
"Weiß ja, wo das ist"
"Okay. Bis dann, Tschau."
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