"Seine Filme sind philosophische Essays"

Markus Stiglegger im Gespräch mit Britta Bürger · 08.07.2012
Cronenberg ist ein extrem belesener und sehr reflektierender Filmemacher, sagt der Wissenschaftler Markus Stiglegger. Seine Filme seien immer philosophische Reflektionen über Leben, Tod und Existenz. Das gelte auch für sein jüngstes Werk "Cosmopolis" - ein apokalyptischer Thriller, für den der Schriftstller Don DeLillo die Vorlage lieferte.
Britta Bürger: Der kanadische Filmemacher David Cronenberg, gerade ist sein neuer Film "Cosmopolis" angelaufen – ein Muss für den Filmwissenschaftler Markus Stiglegger, der im vergangenen Jahr einen umfassenden Sammelband über das Werk von David Cronenberg herausgegeben hat und jetzt für uns in einem Studio sitzt. Schönen guten Morgen, Herr Stiglegger!

Markus Stiglegger: Guten Morgen!

Bürger: Cronenberg hat mal gesagt, er hoffe, die Realität seines Publikums zu verändern. Ist ihm das in Ihrem Fall – Sie als Publikum – gelungen? Hat er Ihre Realität verändert?

Stiglegger: Na ja, das klingt natürlich dramatischer als es ist, aber ich kann denke ich sagen, dass ich seine Filme seit den 80er-Jahren verfolge, und sie haben mich ja offensichtlich nicht losgelassen, sonst hätte ich mich nicht weiterhin damit beschäftigt. Und viele der Filme, die bei ihm einfach wie Genrewerke – wie Horrorfilme oder Science-Fiction – wirken, sind in der Tat philosophische Essays, und das führt ja auch zu seinem neuesten Film, der sehr essayhaft vorgeht.

Bürger: Als Filmemacher ist David Cronenberg ja ein Autodidakt. Er hat Literatur- und Naturwissenschaften studiert, was aber deutliche Spuren in seinen Filmen hinterlassen hat, die ja auch schon häufig auf Literatur zurückgegriffen haben. Jetzt also "Cosmopolis", ein apokalyptischer Thriller von Don DeLillo – was hat ihn an diesem Buch interessiert, meinen Sie? Der Stoff scheint ja brandaktuell zu sein, dabei ist das Buch schon zehn Jahre alt.

Stiglegger: Also ich denke – er betont das selbst immer wieder in Interviews in letzter Zeit –, dass er an diesem Stoff schon relativ lange gearbeitet hat, und natürlich ist nach den ganzen Körper-Horrorthematiken, die er bis in die 80er-Jahre hinein verfolgt hat, es naheliegend gewesen, sich nach anderen Themen auch umzusehen. Und natürlich ist die virtuelle Welt etwas, was ihn ja schon in "Existenz" beschäftigt hat, einem früheren Film, und die virtuelle Welt des Geldes ist natürlich eine, die sich besonders stark auf die Gegenwart auswirkt. Von daher ist im Grunde das Prophetische dieses Romans etwas, das mit der Gegenwart jetzt wunderbar zusammenkam. Dass dieser Film jetzt kommt, ist eigentlich wohl ein Zufall.

Bürger: In vielen seiner Filme zeigt er wirklich unheimliche Dinge: Da verschmilzt der Körper eines Menschen mit dem einer Fliege; einer Frau wächst so eine Art Penis aus der Achselhöhle, womit sie eine Seuche verbreitet; Menschen bekommen einen sexuellen Kick durch Autounfälle und körperliche Verletzungen. "Die Fliege", "Rabid" und "Crash" – das sind jetzt nur drei von vielen Beispielen, in denen Cronenberg also den menschlichen Körper verwandelt, deformiert, als Meister des sogenannten Body-Horrors. Sie haben diesen Begriff eben auch schon kurz erwähnt. Was ist das genau für ein Genre?

Stiglegger: Das ist nicht wirklich ein Genre, sondern das ist eine spezielle Spielart, eine Mischung wenn man so will aus Horrorfilm- und Science-Fiction-Elementen, die quasi über eine mögliche utopische oder sogar anti-utopische Zukunft des Körpers reflektiert. Es geht also darum: Was wird aus dem Körper, wenn er zum Beispiel in einer vor allem entkörperlichten Welt sich befindet? Muss man dann den Körper nicht irgendwann notwendigerweise mit Gewalt zurückerobern, wie eben die Sexualisierung von Autounfällen in "Crash" belegt?

Und solche Szenen gibt es auch in seinem neuen Film, wenn zum Beispiel der Protagonist sich selbst durch die Hand schießt. Das sind Momente, wo er seinen Körper gewaltsam zurückerobern möchte, denn der Körper scheint uns ja zu entgleiten. Der Körper wird immer unbedeutender. Wir benutzen ihn immer weniger. Und deswegen reflektiert Cronenberg von Anfang an eigentlich darüber: Was passiert dann mit dem Körper?

Bürger: In Ihrem Buch über David Cronenberg, da wehren Sie sich ja so ein bisschen gegen diesen Begriff des Body-Horror-Regisseurs, vielmehr deuten Sie seine extremen Horrorvisionen als Reflektionen über das Leben und den Tod. An welchen Motiven machen Sie das fest?

Stiglegger: Na ja, gut, das lässt sich nicht voneinander trennen. Also es ist so, dass seine Filme von Anfang an sehr philosophische Reflektionen haben über Leben, Tod, Existenz und so weiter, und die verdichtet er immer mehr. Und was viel wichtiger ist: Das, was man als Body-Horror bezeichnet bei ihm, sind eigentlich Bildmetaphern. Der Psychoanalytiker Manfred Riepe hat das mal sehr treffend beschrieben als Bildgeschwüre in den Filmen von David Cronenberg, das heißt also, es ist sehr metaphorisch. Es geht nicht so sehr um Genre und Horror in einem direkten Sinne, sondern in einem sehr übertragenen und durchaus abstrakten. Und seine Filme werden auch immer abstrakter, das heißt, "Cosmopolis" ist deswegen ein logischer Schritt in seinem Werk, weil er den Schritt zu einer weiteren Abstraktion leistet.

Bürger: Cronenbergs Filme, die haben ja immer auch etwas Kammerspielartiges, auch in "Cosmopolis" sitzt der von Robert Pattinson gespielte Multimilliardär über weite Strecken in dieser Luxus-Stretch-Limousine. Warum wählt Cronenberg häufig diese geschlossenen Räume?

Stiglegger: Cronenberg ist ja ein extrem belesener und sehr reflektierender Filmemacher, also einer, der quasi seine Inspiration nicht primär aus anderen Filmen bezieht wie zum Beispiel Quentin Tarantino – der ist überhaupt nicht mit ihm vergleichbar –, und deswegen ist er bestrebt, eine ultimative Verdichtung für seine Themen zu finden. Und diese Verdichtung lässt sich natürlich auch durch eine Reduktion der Räume bewerkstelligen. Das heißt also, selbst Filme wie "History of Violence" sind Filme, die meistens an zwei oder drei Schauplätzen nur spielen. Also er reduziert das ganz bewusst. Und nicht umsonst ist sein Film "Die Fliege" zum Beispiel dann ja auch sogar zu einem Theaterstück, zu einer Oper sogar umgebaut worden. Das heißt also, seine Filme eignen sich offensichtlich dazu, sie haben dieses Theatrale, diese extreme Reduktion.

Bürger: Viele Zuschauer sind von dem Cronenberg-Personal immer wieder irritiert, verstört, doch diese Filmfiguren selbst, die scheinen das alles ganz normal zu finden, was sie erleben. Welche Idee steckt dahinter?

Stiglegger: Na ja, also ich denke, das ist eine Verwunderung, die Cronenberg selbst an sich wohl bemerkt angesichts der condition humaine, des Zustands des Menschen in der Moderne. Und das qualifiziert ihn ja auch als einen essayistischen, philosophischen Filmemacher, der also quasi diese eigene Verwunderung in seine Filme überträgt und uns dann als Zuschauer damit irritiert, dass wir selbst dann quasi das einfach hinnehmen müssen, dass also da die obskursten Dinge passieren und, ja, wir werden damit mehr oder weniger alleine gelassen und sind dann gezwungen, das zu reflektieren.

Das kommt bei einem großen Publikum oft nicht sehr gut an. Das heißt also, ein größeres Publikum ist vermutlich mit seinen Filmen "History of Violence" oder "Tödliche Versprechen" besser bedient, weil die natürlich mehr Antworten geben. Die meisten und besten seiner Filme allerdings stellen die richtigen Fragen.

Bürger: Und mischen Realitätsebenen: Traum, Wirklichkeit, Phantasie, Wahrheit. Das pendelt hin und her. Die "Zeit" hat Cronenberg mal als "bösen Bildertherapeuten" bezeichnet. Sind das im Grunde auch eben Expeditionen in unser Unbewusstes?

Stiglegger: Absolut. David Cronenberg ist von Beginn seiner Karriere an interessiert an psychoanalytischen Therapieformen. Es ist so, dass er daraus quasi den Film "Die Brut" entwickelt hat, also in der Auseinandersetzung mit solchen Beschäftigungen - also: Wie kann das Unterbewusstsein sich einen Weg bahnen nach außen und sogar selbst Form oder Lebewesen werden? Denn die Brut selbst sind ja Lebewesen, die aus der Wut geboren werden.

Und das sind Dinge, die ihn bis heute beschäftigen. Deswegen ist zum Beispiel auch, was viele verwundert hat, dieser recht konventionell anmutende Film über den Konflikt zwischen Jung und Freud, also in der Psychoanalyse, ein sehr naheliegender Film für ihn. Also das heißt, man muss eigentlich seine Filme alle wie einen betrachten, man muss alle seine Filme kennen und in Bezug zueinander setzen, und dann macht das große Bild Sinn. Das hat er möglicherweise auch selbst immer mal wieder gesagt. Das heißt also, er ist nicht ein Regisseur, der quasi nach seinen Einzelfilmen beurteilt werden sollte.

Bürger: Seine Filme wurden häufig auch als pornografisch empfunden. Sind Sie das, oder welche Rolle spielt die Sexualität darin?

Stiglegger: Ich denke, Cronenberg ist sich sehr bewusst von Anfang an, dass er mit Grenzen, mit Grenzüberschreitungen und vor allen Dingen in Sexualität und Gewalt und Körperauflösung, in dieser Hinsicht, arbeitete. Er ist natürlich auch beeinflusst von grenzüberschreitender Philosophie wie zum Beispiel George Batailles Theorien. Das heißt, das sind Dinge, die ihm bewusst sind. Und ich denke, gerade in einem Film wie "Crash", dessen Roman ja erheblich freizügiger noch ist als der Film, weiß Cronenberg, dass er Grenzen auslotet, dass er Grenzen überschreitet, und er spielt damit und er arbeitet damit. Aber seine Filme selbst sind nicht pornografisch – sie arbeiten mit pornografischen Elementen.

Bürger: Der Filmwissenschaftler Markus Stiglegger über das Werk des kanadischen Regisseurs David Cronenberg. Sein neuer Film "Cosmopolis" ist gerade in Deutschland angelaufen. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Stiglegger!

Stiglegger: Sehr gerne!

Bürger: Und hinweisen möchte ich noch mal auf Ihr Buch über "David Cronenberg", so heißt es ganz schlicht, erschienen bei Bertz + Fischer als Band 16 der Reihe "Film".

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