Sehr alt und sehr agil

Von Peter Kujath · 25.02.2013
Von den 127 Millionen sind 30 Millionen Menschen in Japan älter als 65 Jahre und die Geburtenrate ist so niedrig wie in kaum einem anderen Industriestaat. Die damit einhergehenden Herausforderungen erfordern eine drastische Überarbeitung der Sozialsysteme, die allerdings erst am Anfang steht. Ein Pluspunkt ist, dass die alten Japanerinnen und Japaner wegen des gesunden Lebensstils sich oft bis ins hohe Alter noch selbst versorgen können.
"Im Moment schäle ich gerade Zwiebeln, die für die Schulverpflegung verwendet werden. Mein Sohn und seine Frau stehen bereits um 3 Uhr morgens auf, um die Ware für den Laden einzukaufen. Sie sagen zwar, dass ich nicht mehr helfen muss, aber ich wache meistens um 5 Uhr auf und weiß dann nicht mehr, was ich machen soll. Also komme ich herunter und versuche, ihnen ein wenig zu helfen."

Jutaro Shibuki ist 1908 geboren, ein wenig wackelig auf den Beinen, aber für seine 104 Jahre noch erstaunlich fit. Erst als er 80 wurde, übergab er den kleinen Gemüseladen an den jüngsten seiner drei Söhne. Der ist mittlerweile auch schon 65 Jahre alt und versorgt gemeinsam mit seiner Frau die alten Eltern. Shibuki schwärmt vor allem vom Essen, das die Schwiegertochter mit viel Knoblauch zubereitet. Der Diskussion über eine zunehmend älter werdende Gesellschaft begegnet er mit Zurückhaltung.

"Ich habe früher in der Bezirksverwaltung eine Rolle gespielt, aber jetzt bin ich alt und alte Leute fallen den Menschen meist zur Last. Deshalb versuche ich nicht so oft nach draußen zu gehen."

Jutaro Shibuki ist kein Einzelfall in Japan. Wann immer möglich leben die älteren Menschen bei ihrer Familie und werden notfalls auch dort versorgt. Lediglich 16 Prozent der etwa 5,3 Millionen Pflegebedürftigen landen im Heim. Das deutsche System der Pflegeversicherung wurde in Japan im Jahr 2000 eingeführt und es gibt mittlerweile eine Reihe von ambulanten Pflegediensten. In den Großstädten wie Tokio oder Osaka findet man aber oft nur die sogenannte Kleinfamilie. Die Großeltern sind auf den Dörfern zurückgeblieben und werden nur zu Neujahr oder zum buddhistischen Obon-Fest im Sommer besucht. In solchen Fällen muss sich die Gemeinde um das Wohl der älteren Menschen kümmern. Die Stadt Wako am Rande von Tokio hat sich etwas Besonderes einfallen lassen.

"Seit drei Jahren komme ich jeden 1. und 3. Mittwoch hierher. Wir machen Gymnastik, erfahren etwas über die richtige Ernährung und spielen. Das gibt mir ein gutes Gefühl und macht Spaß."

Erzählt dieser 75-Jährige. Gemeinsame Gymnastik ist eines der vielen Angebote, die von der Wako-Stadtverwaltung entwickelt wurde, um den wachsenden Teil der älteren Bevölkerung fit zu halten.

Es sei wichtig, dass man entsprechende, vorbeugende Maßnahmen trifft, ehe die alten Menschen zu Pflegefällen werden, erklärt der zuständige Abteilungsleiter Kyoichi Tonai.

"Wir haben hier in der Stadt Wako angefangen, die alten Menschen in einer Datenbank zu erfassen. Wir haben eine schriftliche Untersuchung gestartet, die Auskunft über den körperlichen Zustand gibt, wie es um die Vergesslichkeit bestellt ist oder ob ein besonderes Risiko für einen Schlaganfall besteht."

Mehr und mehr ältere Menschen sind auf die öffentliche Hilfe angewiesen, weil sie keine Kinder oder Verwandte haben. Oft reicht ihre Rente gerade so zum Leben, einige müssen Sozialhilfe beantragen. Ein Umstand, der dem Leiter des Sozialamtes Yasuyuki Sakuraba große Sorgen bereitet.

"Vor allem beunruhigt mich die Zunahme der Sozialhilfeempfänger. Wenn die wirtschaftliche Lage Japans sich weiter verschlechtert, wird die Zahl weiter steigen. Auch bei uns in Minato-ku schreitet die Vergreisung der Gesellschaft rasant fort. Und wer keine oder kaum eine Rente erhält, wird zwangsläufig Sozialhilfeempfänger. Das ist meine größte Sorge für die Zukunft."

In den vergangenen Jahren ist in Japan die Familie als soziales Netz, als Generationenübergreifender Verbund schwächer geworden. Viele ältere Menschen arbeiten deshalb weit über die 70 hinaus. Sogenannte Silber-Zentren haben sich auf die Vermittlung alter Menschen für kleinere, bezahlte Aufgaben an Fahrradparkplätzen, bei Verkehrsumleitungen oder als Aufseher in Parks spezialisiert. Gesellschaftlich ist das durchaus akzeptiert, weil sich noch immer viele Japaner über die Arbeit definieren. Die traditionelle Aufgabe der Schwiegertochter, sich um die Eltern des Ehemannes zu kümmern und gegebenenfalls diese bis zum Tod zu Hause zu pflegen, lehnen jedoch viele junge Frauen ab. Manchmal wird das sogar explizit in den Heiratsvertrag hineingeschrieben. Bleibt die Tochter unverheiratet, wird von ihr allerdings auch heute noch erwartet, dass sie sich trotz ihrer eigenen Arbeit um die gebrechlich werdenden Eltern kümmert. Wie im Fall der 40-jährigen Yu Koshu.

"Ich wohne nur eine Minute von hier und pflege soweit wie möglich meine Mutter selbst. Mein Vater lebt noch im Haus mit ihr zusammen. Es ist jetzt das dritte Jahr seit dem Beginn der Pflege, die ich wegen meiner Arbeit nicht komplett alleine verrichten kann. Damit mein Vater nicht die ganze Zeit fremde Menschen im Haus hat, lasse ich die Helfer aber nur zu bestimmten Zeiten kommen."