Baden, dichten und dabei den Herrn loben
Den Ammersee hat definitiv der Herrgott geschaffen - so schön ist er. Das klare Wasser mit Bergpanorama zieht Musiker, Dichter und Stadtflüchter an. Dafür gibt es immer weniger Bauern und Fischer. Unser Autor Georg Gruber lebt selbst dort - und hat ein schwärmerisches Loblied verfasst.
Klaus Marx ist der erste auf dem See: Um drei Uhr nachts fährt der 67jährige raus, zum Fischen. Es ist noch dunkel. Von Utting geht es 20 Minuten Richtung Süden, wir passieren auch die tiefste Stelle, mit über 80 Metern. Vor Wartaweil, auf der anderen Seite des Sees hat er seine Netze ausgelegt.
"Wir haben ja heuer so wenig Fisch gefangen, dass ich an den Gardasee gefahren bin, zum Fische holen, weil wir einfach nichts gefangen haben. Man darf aber das heurige Jahr nicht als normal ansehen."
Das Wasser hat inzwischen Trinkwasserqualität
Die Familie Marx gehört zu den ältesten in Utting, erstmals erwähnt 1456. Schon immer hat das Fischen allein nicht zum Leben gereicht, viele Fischer leisteten Fährdienste, für die Pilger zum Kloster Andechs, die hier in Wartaweil an Land gingen. Oder sie hatten eine kleine Landwirtschaft, wie die Familie Marx, die auch einen Bootsverleih und eine Segelschule betreibt. Klaus Marx zieht das Netz an die Bootskante, und holt die Fische heraus, die sich verfangen haben. Renken.
"Von 72 bis 75 haben wir keine Fische gefangen, absolut keine."
Anfang der 70er Jahre drohte der See zu kippen, Abwasser, Phosphate aus Waschmitteln und Dünger hatten zu starkem Algenwachstum geführt. Heute sind die Orte um den Ammersee an eine Ringkanalisation angeschlossen, und auch am Zufluss, der Ammer, wurden mehrere Kläranlangen gebaut. Das Wasser hat nun Trinkwasserqualität – doch dafür werden die Fische nicht mehr so groß, wie früher, sind fünf bis sieben Zentimeter kleiner.
"Um die Fauna da an den Seen zu erhalten - ist meine Meinung - braucht’s einfach mal einen Dünger, weil wir haben ja auch keine Landwirtschaft mehr da. Wie viele Bauern haben wir denn noch? Überleg mal, in deiner Kindeszeit waren in Utting noch ein Haufen. Und wie viele sind’s jetzt noch? Fünf, sechs."
Der Kormoran: Feind der Ammersee-Fischer
Ein anderer Feind der Ammersee-Fischer ist der Kormoran, der sich an den Netzen bedient und den Bestand reduziert:
"Früher ist er bloß durchgezogen, der Kormoran. Aber jetzt sind sie ja da, jetzt brüten sie ja da."
Mit dem heutigen Fang, gut 50 Kilo, ist der Fischer zufrieden. Der See, sagt er, ist sein Leben:
"Die größte Strafe, die mir jemand antun könnte, wäre, wenn’s heißen würde, ich dürfte nicht mehr auf den See rauf."
"Der Ammersee hat bei mir schon immer eine große Rolle gespielt. Es war der Sehnsuchtsort meiner Kindheit."
Hans Well, Musiker und einer jener Well-Brüder der inzwischen aufgelösten Biermösl-Blosn. In Buch am Ostufer verbrachte die Familie mit den 15 Kindern immer die Sommerferien, auf dem Campingplatz, vom ersten bis zum letzten Ferientag.
"Buch, das ist für mich einfach wirklich Kindheit, im besten Sinn. Ich habe dort schwimmen gelernt, ich wäre dort beinahe ertrunken, 'dasoffa', wie man bei uns sagt. Wir sind dort immer vom Dampfersteg, wenn der Dampfer losgefahren ist, wenn das so gequirlt hat, sind wir immer ins Wasser gesprungen, was streng verboten war, aber was geduldet war, von den meisten Fahrern, Dampferführer, Dampferchauffeur, ich weiß nicht wie man sagt, Kapitäne, sagt man."
Es zog ihn auch danach immer Richtung See, heute wohnt er in einem kleinen Dorf, nur zwei Kilometer entfernt, an einem Südhang:
"Und jetzt schau ich jeden Tag auf den Ammersee runter und seh' jeden Tag, dass er noch da ist und bin dann glücklich."
Alle treffen sich im Strandbad von 1929
Es gibt viele schöne Plätze rund um den See - ein ganz besonderer ist am Westufer, in Utting: Das Strandbad aus dem Jahr 1929, mit Biergarten, kleiner Liegewiese, einfachen Umkleidekabinen aus Holz und dem Sprungturm, der – je nach Wasserstand – neun bis zehn Meter hoch ist.
Im Strandbad trifft sich jung und alt. Auf dem Steg kann man das ganze Jahr über in der Sonne sitzen, mit Blick über den See nach Andechs und bis zu den Alpen. Am schönsten ist es im Strandbad frühmorgens, wenn noch kein Trubel ist, der See noch in sich ruht. Dann rausschwimmen, immer geradeaus, durch das glatte klare dunkle weiche Wasser, 20 Grad, viel wärmer braucht es für mich gar nicht zu sein.
"Also ich muss schon sagen, ich kenne schon schöne Orte, aber ich muss sagen, es lässt sich alles nicht vergleichen mit dem Ammersee."
Hans Traxler, 87, Zeichner, Illustrator und Satiriker. Er verbringt seit zehn Jahren die Sommermonate in einem liebevoll restaurierten Bauernhaus, neben der Familie Well. Jeden Tag geht er eine Stunde schwimmen.
"Ich steig da am Westufer an einem geheimen Platz ins Wasser, schwimm dann am Schilfgürtel entlang Richtung Norden, wo die Dampferanlegestelle ist und dann mache ich kehrt und schwimme eine halbe Stunde zurück und da seh' ich eben diese Alpenkette vor mir, das ist ein Anblick, der rührt mich, das merken Sie. Weil, das sieht immer anders aus. Sehr hart, sehr nah, sehr detailliert bei Föhn. Und wenn es heiß ist, wie an Tagen wie heute, dann ist es nur alles in einem Schleier, aber es ist immer schön."
"Michaela, Du nimmst dieses Bord, Heike hast Du schon ein Bord?"
Im Trend: Stand-Up-Paddeln und Yoga
Ein Trend der vergangenen Jahre ist das Stand-Up-Paddeln. Schon morgens kann man die ersten übers Wasser gleiten sehen.
"Ich geh aufs Brett und versuche dann in so ein meditatives Sein zu kommen, während ich paddel. Ich bin relativ schnell weg vom Land, sprich von den Dingen, das ist symbolisch, ich bin relativ schnell weg von den Dingen, die mich beschäftigen."
Sonja Braun ist Yoga-Lehrerin, seit drei Jahren gibt sie Yoga-Kurse auf dem Wasser, auf den schmalen langen Brettern.
"Das Wasser hat zusätzlich so eine schöne, elementare, reinigende Kraft und dann eben immer dieses sanfte Instabile, was in Bewegung ist, das mich doppelt und dreifach fordert, da zu sein, um alles auszubalancieren, was am festen Land sonst nicht der Fall ist. Das Brett sagt Dir, wenn Du zu viel machst, das Brett sagt Dir, wenn Du zu schnell machst und das Brett sagt Dir, wenn Du in Gedanken weg bist, dann wird’s kippelig und dann fällt man schon mal rein, das kann schon sein."
Die Natur, das Wasser, der Blick ins Weite, das Licht, das sich verändert über den Tag. Nicht verwunderlich, dass der Ammersee schon immer auch Künstler und Maler anzog. In Holzhausen entstand um 1900 eine Künstlerkolonie, zu der der Simplicissimus-Zeichner Eduard Thöny gehörte und Maler der Gruppe "Die Scholle" wie Fritz Erler, Walter Georgi und Adolf Münzer:
"Es war jetzt nicht nur das Licht oder die Landschaft, die die Maler hierher kommen ließ, sondern die Ursprünglichkeit, und so hat mein Großvater zum Beispiel in Kauf genommen, dass er erst mit Zug nach Geltendorf gefahren ist, dann zu Fuß von dort bis zum Ammersee, bis nach Utting und sogar noch weiter bis nach Holzhausen gelangt ist, und das hat ihm in seiner Ursprünglichkeit von Land und Leuten muss man sagen, und Leuten, am besten gefallen."
Florian Münzer, der Enkel von Adolf Münzer. Der Schauspieler und Regisseur inszeniert seit rund 20 Jahren im Sommer Theaterstücke mit Laien- und Profischauspielern auf einer Freiluftbühne im See. Sehr stimmungsvoll, wenn es nicht gerade regnet. Florian Münzer schätzt den See wegen seiner ausgleichenden Kraft:
Der See wirkt beruhigend aufs Gemüt
"Wenn man hierher kommt, wird die Hitze gemildert und im Winter die Kälte, das heißt, Du bist davon umfangen, ohne dass Du das genau sagen kannst in welcher Weise, aber er wirkt auf Dich und das Gemüt einfach beruhigend ein, das ist enorm. Auch wenn man jetzt ganz nah hin geht, hinein geht ins Wasser, ist das immer noch das gleiche. Noch einmal in verstärkter Form, es beruhigt. Und das ist ein Geschenk."
Auch Schriftsteller wie Schriftsteller Thomas Mann suchten Erholung am See. 1904 schrieb er aus Utting:
"Ich bade, dichte und lobe Gott den Herrn."
Bertolt Brecht war schon in seiner Jugend mit dem Zug von Augsburg an den See gefahren. Auch später, als er in Berlin wohnte, kam er im Sommer zurück. In einer Uttinger Pension feilte er 1928 mit Kurt Weill an den letzten Szenen der Dreigroschenoper. Und 1932 kaufte er sich in Utting ein Haus, mit alten Bäumen und weißen Rhododendronbüschen, an denen er sich aber nur kurz erfreuen konnte - im Februar 1933 ging er ins Exil.
"Sieben Wochen meines Lebens war ich reich.
Vom Ertrag eines Stückes erwarb ich
Ein Haus in einem großen Garten. Ich hatte es
Mehr Wochen betrachtet, als ich es bewohnte."
Vom Ertrag eines Stückes erwarb ich
Ein Haus in einem großen Garten. Ich hatte es
Mehr Wochen betrachtet, als ich es bewohnte."
In den Sommermonaten erklingt in den Dörfern um den See überall Musik, besonders an den Wochenenden, zum Frühschoppen im Biergarten oder auf Open-Air-Konzerten bis weit nach Sonnenuntergang. Und auch vom See weht an lauen Abenden oft Musik ans Ufer, von beleuchteten Raddampfern, die langsam vorüber gleiten.
Die Grundstückspreise steigen extrem
Aber: Immer mehr wollen dort wohnen, wo andere Urlaub machen. Die Grundstückspreise sind in den vergangenen Jahrzehnten extrem gestiegen, je nach Lage auf bis zu tausend Euro der Quadratmeter.
"Das ist eine Form von Okkupation, da kommt jemand, der eigentlich überhaupt nichts mit der Gegend, mit Land und Leuten zu tun hat, und setzt sich da eine Villa rein, eine Protzvilla, weil er einfach das Geld dafür hat. Und weil's schick ist und in ist, dass man da raus fährt."
Der Charakter der Dörfer verändert sich: Alte Häuser werden abgerissen, die Gärten immer kleiner, die Autos immer größer, die Durchfahrtsstraßen immer befahrener, Misthäufen und Kuhställe immer seltener.
Auf den Wiesen stehen bald mehr Pferde als Kühe, Reiten ist hier in der Gegend schon lange angesagt. Und noch etwas hat sich verändert: Die Vorherrschaft der CSU ist hier in vielen Dörfern schon lange Vergangenheit, Utting und Schondorf beispielsweise werden von grünen Bürgermeistern regiert.
Und kaum jemand wundert sich darüber. Denn weltoffen war die Provinz hier schon immer. Vielleicht kehren auch deswegen so viele, die hier aufgewachsen und dann fort gegangen sind, an den See zurück.
"Servus, haben Sie noch ein Elektroboot?"
Beenden sollte man den Tag am Ostufer, in Herrsching, an der Promenade. Peter Neuner, der Bootsverleiher, den alle nur "Goro" nennen, ist mein Schwager, meine Söhne bessern hier an Wochenenden ihr Taschengeld auf.
Mit einem solarbetriebenen Elektroboote lässt es sich besonders entspannt in den Sonnenuntergang fahren. Oder man bleibt, setzt sich ans Wasser, mit einem Getränk.
Getränke aus der "Bayrischen Brandung"
Die "Bayrische Brandung" ist eine kleine Strandbar, direkt neben dem Bootsverleih, die rund um den See und bis München bekannt ist, wo sich Landfreaks und Stadtflüchter treffen – auch hier kenne ich den Wirt persönlich.
"Hallo Bruder, was kann ich für Dich tun?"
Mein Bruder Miene ist nicht nur Barbetreiber, sondern auch Musiker und Lebenskünstler. Wie so viele hier am Ammersee. Und wenn dann die Sonne untergeht, am anderen Ufer, die Wolken sich rot und golden färben, fast schon zu kitschig oft – dann passt eigentlich alles. Dann sollte die Zeit stehen bleiben. Der weitgereiste Hans Traxler hat die besondere Magie des Ammersees in einem Bilderbogen festgehalten und bedichtet:
"Dörfer wie in alten Zeiten
Pilger, die durch Wiesen schreiten
Dampfer, die an Stegen landen
An den Masten Leuchtgirlanden
Alpenblicke, schönheitstrunken
Kröten, die im Schilfgras unken
Satte Schweine, volle Scheunen
Frauen, die auf Stegen bräunen
Zecken, die in Leiber beissen
Mücken, die um Paare kreisen
Sie alle sagen Dir nur dies:
Mensch, Du bist im Paradies."
Pilger, die durch Wiesen schreiten
Dampfer, die an Stegen landen
An den Masten Leuchtgirlanden
Alpenblicke, schönheitstrunken
Kröten, die im Schilfgras unken
Satte Schweine, volle Scheunen
Frauen, die auf Stegen bräunen
Zecken, die in Leiber beissen
Mücken, die um Paare kreisen
Sie alle sagen Dir nur dies:
Mensch, Du bist im Paradies."