Sehnsucht nach Schönheit
Das 1904 in Berlin eröffnete Kaiser-Friedrich-Museum, seit 1956 Bode-Museum, das jetzt restauriert wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wurde von vorneherein als Zeugnis der Geschmacklosigkeit und der Lüge vehement verurteilt. Eine Neubewertung des Architekten Ernst Eberhard von Ihne, die sich ankündigt, könnte überhaupt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Wilhelminismus und dem Kunstwollen Wilhelm II befördern.
Das Meer des Ungeahnten, auf das sich die revolutionären Kunstbewegungen um 1910 hinauswagten, hat nicht das verhießene abenteuerliche Glück beschieden, bemerkte der späte, ernüchterte Theodor W. Adorno. Die hastig aufeinander folgenden antihistorischen Avantgarden sind selber längst historisch geworden und bedürfen deshalb der sorgsamen, musealen Aufbereitung wie die klassischen Meister.
Das Projekt der Moderne verliert sich in der postavantgardistischen Postmoderne in Selbstzitaten, Wiederholungen und Trivialisierung des ehemals Überraschenden oder gar Schockierenden. Das erlaubt in Deutschland mittlerweile einen freieren Blick gerade auf die offizielle, historistische Kunst während des so genannten Wilhelminismus, deren Vorherrschaft "die Modernen" brechen wollten. Das 1904 in Berlin eröffnete Kaiser-Friedrich-Museum, seit 1956 Bode-Museum, das jetzt restauriert wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wurde von vorneherein als Zeugnis der Geschmacklosigkeit und der Lüge vehement verurteilt.
Der Name des Architekten - Geheimer Oberhofbaurat Ernst Eberhard von Ihne - lautet von hinten gelesen Enhi. Und erinnert an den opportunistischen, schmeichelnden und willenlosen Baumeister Harun al Raschids in den Märchen aus Tausend- und einer Nacht. Noch vor knapp zehn Jahren galt das Gebäude als gänzlich ungeeignet, weshalb im Kulturforum am Kempner-Platz eine neue Gemäldegalerie gebaut wurde. Jetzt schwärmen die gleichen Kritiker, die Ihne damals noch als dilettantische Hofschranze abtaten, einmütig von seinem Sinn für große Wirkungen und elegante Monumentalität, wie sie in einem einzigartigen Palast des Schönen angemessen sei.
Eine Neubewertung Ernst Eberhard von Ihnes, die sich ankündigt, könnte überhaupt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Wilhelminismus und dem Kunstwollen Wilhelm II befördern. Ihne ist ein idealtypischer Repräsentant des Wilhelminismus: Seine Mutter Engländerin, der Vater Professor, geübt im Umgang mit Prinzen. Ernst Eberhard, klassisch gebildet, wächst in England auf, studiert unter anderem in Paris und heiratet eine Italienerin. Er ist ein Europäer.
Wenn er in Übereinstimmung mit Wilhelm II. den barocken Klassizismus von Andreas Schlüter, dem Erbauer des Berliner Stadtschlosses, aufgreift, um ihn gleichsam zu modernisieren, lehnt er sich an einen Architekten an, der seinerzeit mit allen Tendenzen in Rom, Paris und Wien vertraut war und alsbald auch die Petersburger mit ihnen bekannt machte. Ihne hat übrigens mit einem ungewöhnlichen Selbstbewusstsein in Schlüters Schloss eingegriffen, um es für die Bedürfnisse eines modernen Hofes tauglich zu machen. Das Berliner Schloss war nicht nur der schönste römische Palast jenseits der Alpen, es wurde zum Modell einer Residenz in veränderten, sich demokratisierenden Zeiten. Nirgendwo hatten Bürger so selbstverständlichen Zugang zur höfischen Welt wie in Berlin, gerade weil Wilhelm II. an einem engen Bündnis von Adel, Bourgeoisie und Krone interessiert war.
Das Bode-Museum als Palast des guten Geschmackes nobilitiert eine bürgerliche Idee, die Befreiung durch die Kunst als Weg zum Wahren und Guten, was hieß, den mechanischen Staat zum Kulturstaat zu erweitern. Diese Idee vermittelte der Philosoph Fichte den Preußen und ihren Königen als ihre besondere Aufgabe, als ihr Staatsziel. Das Bode-Museum ist deswegen auch eine Huldigung an das Haus Preußen. Der Große Kurfürst Schlüters empfängt gleichsam als eigener Oberhofmarschall die Kunstfreunde als seine Gäste in der Eingangshalle.
Der pathetische Hinweis auf den ersten Sammler unter den preußischen Hohenzollern ist eine Einladung an alle, sich unter dem Eindruck der Werke, die Preußens Könige zusammentrugen, auf die bildende Macht der Kunst einzulassen und menschlicher, freier und großzügiger zu werden. Darin lag der Sinn einer Freistätte der Kunst und Wissenschaft, die Preußens Könige auf der in der Welt einzigartigen Museumsinsel planten und verwirklichten. Das Schöne als eine Welt für sich lebt auf einer Insel, aber Brücken verbinden es mit dem Festland und der hässlichen Wirklichkeit.
Die ist unübersehbar in der unmittelbaren Nähe der Museumsinsel, wo einst das Schloss stand. Die unterschiedlichsten Pläne seit Ulbrichts Zeiten und nach dem Fall der Mauer, diese Lücke zu füllen, erwiesen sich als unbrauchbar. Die Brachfläche veranschaulicht eindringlich, dass der Aufbruch in’s Meer des Ungeahnten in die Wüste führte. Ästhetische Vorbehalte gegen eine Rekonstruktion des Schlosses sind nur ein Vorwand, hinter dem sich antipreußische und antiwihelminische Vorurteile der Berliner verbergen, die vielleicht Deutsche, unbedingt Berliner sein wollen, aber nichts mit Preußen im Sinne haben. Vielleicht versöhnt die Begeisterung für Ihnes Museum und damit für ein preußisches Erbe mit ihrer Vergangenheit und dem Pluralismus der Möglichkeiten, der nach dem Ende der Avantgarden auch ein Ergebnis der Geschichte und ihrer Wandlungen ist.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. - Buchveröffentlichungen unter anderem ‚Die Wittelsbacher’, ‚Drei letzte Kaiser’, ‚Albert Ballin’ und ‚Eine kleine Geschichte Preußens’ sowie zuletzt ‚Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit’.
Das Projekt der Moderne verliert sich in der postavantgardistischen Postmoderne in Selbstzitaten, Wiederholungen und Trivialisierung des ehemals Überraschenden oder gar Schockierenden. Das erlaubt in Deutschland mittlerweile einen freieren Blick gerade auf die offizielle, historistische Kunst während des so genannten Wilhelminismus, deren Vorherrschaft "die Modernen" brechen wollten. Das 1904 in Berlin eröffnete Kaiser-Friedrich-Museum, seit 1956 Bode-Museum, das jetzt restauriert wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wurde von vorneherein als Zeugnis der Geschmacklosigkeit und der Lüge vehement verurteilt.
Der Name des Architekten - Geheimer Oberhofbaurat Ernst Eberhard von Ihne - lautet von hinten gelesen Enhi. Und erinnert an den opportunistischen, schmeichelnden und willenlosen Baumeister Harun al Raschids in den Märchen aus Tausend- und einer Nacht. Noch vor knapp zehn Jahren galt das Gebäude als gänzlich ungeeignet, weshalb im Kulturforum am Kempner-Platz eine neue Gemäldegalerie gebaut wurde. Jetzt schwärmen die gleichen Kritiker, die Ihne damals noch als dilettantische Hofschranze abtaten, einmütig von seinem Sinn für große Wirkungen und elegante Monumentalität, wie sie in einem einzigartigen Palast des Schönen angemessen sei.
Eine Neubewertung Ernst Eberhard von Ihnes, die sich ankündigt, könnte überhaupt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Wilhelminismus und dem Kunstwollen Wilhelm II befördern. Ihne ist ein idealtypischer Repräsentant des Wilhelminismus: Seine Mutter Engländerin, der Vater Professor, geübt im Umgang mit Prinzen. Ernst Eberhard, klassisch gebildet, wächst in England auf, studiert unter anderem in Paris und heiratet eine Italienerin. Er ist ein Europäer.
Wenn er in Übereinstimmung mit Wilhelm II. den barocken Klassizismus von Andreas Schlüter, dem Erbauer des Berliner Stadtschlosses, aufgreift, um ihn gleichsam zu modernisieren, lehnt er sich an einen Architekten an, der seinerzeit mit allen Tendenzen in Rom, Paris und Wien vertraut war und alsbald auch die Petersburger mit ihnen bekannt machte. Ihne hat übrigens mit einem ungewöhnlichen Selbstbewusstsein in Schlüters Schloss eingegriffen, um es für die Bedürfnisse eines modernen Hofes tauglich zu machen. Das Berliner Schloss war nicht nur der schönste römische Palast jenseits der Alpen, es wurde zum Modell einer Residenz in veränderten, sich demokratisierenden Zeiten. Nirgendwo hatten Bürger so selbstverständlichen Zugang zur höfischen Welt wie in Berlin, gerade weil Wilhelm II. an einem engen Bündnis von Adel, Bourgeoisie und Krone interessiert war.
Das Bode-Museum als Palast des guten Geschmackes nobilitiert eine bürgerliche Idee, die Befreiung durch die Kunst als Weg zum Wahren und Guten, was hieß, den mechanischen Staat zum Kulturstaat zu erweitern. Diese Idee vermittelte der Philosoph Fichte den Preußen und ihren Königen als ihre besondere Aufgabe, als ihr Staatsziel. Das Bode-Museum ist deswegen auch eine Huldigung an das Haus Preußen. Der Große Kurfürst Schlüters empfängt gleichsam als eigener Oberhofmarschall die Kunstfreunde als seine Gäste in der Eingangshalle.
Der pathetische Hinweis auf den ersten Sammler unter den preußischen Hohenzollern ist eine Einladung an alle, sich unter dem Eindruck der Werke, die Preußens Könige zusammentrugen, auf die bildende Macht der Kunst einzulassen und menschlicher, freier und großzügiger zu werden. Darin lag der Sinn einer Freistätte der Kunst und Wissenschaft, die Preußens Könige auf der in der Welt einzigartigen Museumsinsel planten und verwirklichten. Das Schöne als eine Welt für sich lebt auf einer Insel, aber Brücken verbinden es mit dem Festland und der hässlichen Wirklichkeit.
Die ist unübersehbar in der unmittelbaren Nähe der Museumsinsel, wo einst das Schloss stand. Die unterschiedlichsten Pläne seit Ulbrichts Zeiten und nach dem Fall der Mauer, diese Lücke zu füllen, erwiesen sich als unbrauchbar. Die Brachfläche veranschaulicht eindringlich, dass der Aufbruch in’s Meer des Ungeahnten in die Wüste führte. Ästhetische Vorbehalte gegen eine Rekonstruktion des Schlosses sind nur ein Vorwand, hinter dem sich antipreußische und antiwihelminische Vorurteile der Berliner verbergen, die vielleicht Deutsche, unbedingt Berliner sein wollen, aber nichts mit Preußen im Sinne haben. Vielleicht versöhnt die Begeisterung für Ihnes Museum und damit für ein preußisches Erbe mit ihrer Vergangenheit und dem Pluralismus der Möglichkeiten, der nach dem Ende der Avantgarden auch ein Ergebnis der Geschichte und ihrer Wandlungen ist.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. - Buchveröffentlichungen unter anderem ‚Die Wittelsbacher’, ‚Drei letzte Kaiser’, ‚Albert Ballin’ und ‚Eine kleine Geschichte Preußens’ sowie zuletzt ‚Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit’.