Sehnsucht nach Liebe

08.09.2010
Aus Mangel an Liebe in der Kindheit von Helga M. Novak resultiert jene Sehnsucht, die häufig Thema ihrer Liebesgedichte ist. Die Liebe war aber nicht ihr einziges Thema. 1966 wurde sie aus der DDR ausgewiesen - wegen "regimekritischer Tätigkeit".
"Die mit dem dünnen Fell / Die mit den weichen Augen / Die mit dem schroffen Maul", so hat Jürgen Fuchs einen 1983 erschienenen Essay über Helga M. Novak überschrieben. Darin stellt er eine Dichterin vor, die kompromisslos ist, und lieber die Flucht ergreift, wenn sie Kompromisse eingehen soll. Dünnhäutig und weich ist diese Autorin, aber sie kann auch schroff und unversöhnlich sein. Diese Beobachtungen an den Gedichten der 1935 in Berlin-Köpenick geboren Helga M. Novak führen direkt in ihr lyrisches Werk.

Der sanften mit den weichen Augen hat man oft das Maul verbieten wollen. Früh hat sie erfahren müssen, was es heißt, nicht geliebt zu werden. Sie wächst bei Adoptiveltern auf, die sie mit preußischer Strenge erziehen, ohne dass sie Liebe erfährt. Aus diesem Mangel resultiert jene Sehnsucht, die häufig in den Novak'schen Liebesgedichten thematisiert wird: "eine Sucht die daran glauben muss / was der Sprecher bei Nacht sagt / denn bei Tage kommt der es besser weiß / mit verheerender Beize", heißt es in dem Gedicht "Liebe die wächst".

Novak debütiert 1963 mit "Ostdeutsch". Das Buch erscheint in einem isländischen Selbstverlag. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie die DDR bereits verlassen, in die sie 1965 allerdings wieder zurückkehrt. Doch ihr Bleiben ist nur von kurzer Dauer, denn ein Jahr später wird ihr – 10 Jahre vor Wolf Biermann – wegen "regimekritischer Tätigkeit" die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt.

Von Helga M. Novak liegen inzwischen neun Gedichtbände vor, die der Schöffling Verlag 1999 unter dem Titel "solange noch Liebesbriefe eintreffen" zusammen mit 140 bis dahin unveröffentlichten Gedichten herausgegeben hat. Enthalten ist in dieser Ausgabe auch der bisher letzte Gedichtband "Silvatica" (1997). Seither ist es ruhig um eine der bedeutendsten Lyrikstimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geworden. Doch es gibt unter den Lyrikern immer wieder Kollegen, die an das Werk der Novak erinnern.

2005 legte Michael Lentz unter dem Titel "Wo ich jetzt bin" eine chronologisch geordnete Auswahl ihrer Gedichte vor. Nun, zum 75. Geburtstag der Autorin am 8. September 2010, hat die 1973 geborene Lyrikerin Silke Scheuermann eine Sammlung mit Liebesgedichten von Helga M. Novak zusammengestellt, die sie thematisch gegliedert hat.

Die vier Abschnitte sind mit "Frühling", "Alltage", "Verlassen" und "Artemisleben" überschrieben. Die meisten der 114 Gedichte – 28 – sind dem Band "Silvatica" entnommen, die wenigsten – vier – fand die Herausgeberin in dem Band "Balladen von der reisenden Anna" (1965).

Mit Artemis, der Göttin der Jagd, wird eine Gestalt aufgerufen, die, insbesondere in den Gedichten aus dem Band "Silvatica", für die Dramen innerhalb des Tierreiches einsteht. Doch in Novaks Sprache werden ihre Naturgedichte zu Liebesgedichten, in denen die Sehnsucht nach Idylle für einen Moment aufscheint bevor sie, wie in dem Gedicht "Hahn im Korb" entzaubert wird: "bin wieder ausgezogen / auf der Suche nach irgendwas."

Die Gedichte von Helga M. Novak sind immer wieder eine Entdeckung: Man kann sie nicht oft genug lesen, wozu der von Silke Scheuermann herausgegebene Band einlädt.

Besprochen von Michael Opitz

Helga M. Novak: Liebesgedichte
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Silke Scheuermann
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2010
158 Seiten, 17,95 Euro