Sehnsucht nach Gemeinsamkeiten

Felix Ensslin im Gespräch mit Frank Meyer · 25.06.2010
Waren künstlerische Positionen bislang Ausdruck von Partikularinteressen, so gibt es heute wieder - auch in der Kunst - eine große Sehnsucht nach etwas Verbindendem, einer universalistischen Idee. Das zumindest glaubt Ästhetikprofessor Felix Ensslin.
Frank Meyer: An der Berliner Volksbühne beginnt heute eine dreitägige Konferenz zur Idee des Kommunismus, bei der die Stars des aktuellen linken Denkens auftreten werden, die Philosophen Antonio Negri, Alain Badiou und Slavoj Žižek. Bei dieser Konferenz soll auch darüber geredet werden, was heute für die Künstler attraktiv ist an der kommunistischen Idee. Und bei dieser Diskussion wird der Ästhetikprofessor und Autor und Regisseur Felix Ensslin dabei sein. Jetzt ist er hier bei uns im Studio -seien Sie herzlich willkommen!

Felix Ensslin: Danke schön!

Meyer: In der letzten Zeit konnte man öfter von einer neuen Attraktivität der kommunistischen Idee lesen. Gibt es die denn aus Ihrer Sicht, gibt es so eine neue Faszination für den Kommunismus, von der auch schon die Rede war?

Ensslin: Na ja, es gibt vielleicht so eine Art gespenstisches Schattendasein einer neuen oder anderen Diskussion, die parallel läuft und die auch in einer gewissen kritischen Reflexion zu der Diskussion läuft, die eben seit 20 Jahren, seit 89, spätestens seit dem Fall der Mauer ja eine ganz andere Richtung geht, also sozusagen die These von der historischen Erledigung des Kommunismus mit dem Fall der Mauer, mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus. Und das ist sozusagen der dominante Diskurs, da gibt es ja überhaupt keinen Zweifel daran. Das findet sich heute wieder in sozusagen dem Aufwärmen antikommunistischer Debatten, wenn es um Koalitionen in Hessen geht oder in Nordrhein-Westfalen oder Ähnliches.

Meyer: Und wie wird, wenn heute wieder über die Idee des Kommunismus geredet wird, was haben Sie da beobachtet, wie geht man da um mit der Geschichte, mit der realen Geschichte des Kommunismus, mit der mörderischen Geschichte?

Ensslin: Ich denke, da gibt es sehr unterschiedliche Positionen dazu. Es gibt welche, die sehr guten Gewissens sich darauf berufen, schon sozusagen in den 60er-, 70er-Jahren eine Kritik des Stalinismus vorgenommen zu haben, als zum Beispiel die Bundesrepublik, die offizielle bundesrepublikanische Politik sich noch mit Arrangement und mit Strauß-Reisen in die DDR versucht hat, mit dieser Realität anzufreunden.

Meyer: Das ist die Tradition des Eurokommunismus ...

Ensslin: Genau.

Meyer: ... die dem stalinistischen Kommunismus immer sehr kritisch gegenüberstand?

Ensslin: Ja, und es sind ja auch sehr unterschiedliche Varianten. Ich meine, auch jemandem wie Badiou, dem heute sozusagen Geschichtsvergessenheit vorgeworfen wird, kann man nun in keinster Weise sagen, dass er je Verteidiger des Stalinismus gewesen. Gleichzeitig möchte ich nicht in die Position jetzt kommen, sozusagen derjenige zu sein, der irgendwelche Persilscheine austeilt. Das ist nicht meine Rolle, und es wäre vermessen in beide Richtungen, muss ich sagen, sowohl die geschichtliche als auch die der einzelnen Denker. Da müsste man dann wirklich die Frage stellen, um wen geht es? Um wen geht es und um welche These geht es und wie verhält sich das zur Geschichte?

Aber sozusagen, diese ??? reaction, die sagen, man darf nicht über Kommunismus sprechen, weil es Verfolgung, weil es Unfreiheit, weil es Tote, weil es Arbeitslager gegeben hat, ist, glaube ich, falsch. Ich glaube, es ist ...

Meyer: Warum ist das falsch?

Ensslin: Na ja, weil also es versucht zu sagen, dass man eine Idee oder einen Gedanken oder einen Ansatz dadurch unmittelbar widerlegen könnte, dass man ihn mit empirischen Sachverhalten in Zusammenhang bringt. Das, glaube ich einfach, ist sozusagen, das ist gar nicht möglich. Man kann eine Idee nicht durch Fakten ertränken sozusagen, das ist nicht möglich.

Meyer: Aber wenn man sagt, zur Idee des Kommunismus gehört wesentlich, dass dieses System auch durchgesetzt werden muss durch eine Diktatur der Arbeiterklasse und durch eine Avantgardebildung, eine Parteienbildung und durch eine Diktatur, müssen dann andere Bevölkerungsgruppen eben unterdrückt werden, die da nicht mittun wollen, dann steckt doch die ganze historische Logik da auch wieder drin, die zu den Katastrophen geführt hat?

Ensslin: Wenn Sie jetzt ansprechen Durchsetzen der Idee des Kommunismus durch die Diktatur der Partei oder des Proletariats, dann, denke ich, sind die Denker, die Sie vorher angeführt haben, keine Verteidiger dieser Thesen. Also ich wüsste von keinem dieser dreien, dass er die Idee verfolgen würde, man müsse jetzt die Partei neu gründen und eine Diktatur des Proletariats errichten.

Meyer: Und was gehört denn heute im Kern, im Wesentlichen zur heute diskutierten Idee des Kommunismus?

Ensslin: Ich glaube nicht, dass man das so allgemein formulieren kann. Ich würde sagen, das hat erst mal etwas zu tun mit einem Affekt und auch mit einer Sehnsucht und mit einer Analyse. Und ich glaube, der Affekt ist: Das kann nicht alles sein. Das ist ein Widerwillen gegen eine Diskussionsform und Kultur des Sprechens, die konstant durch Verweise auf vermeintliche Sachzwänge jegliche Alternative im Keim erstickt. Ich glaube, das ist das Erste.

Das Zweite ist eine gewisse Sehnsucht danach, nach einer Zeit, in der auch die Linke sich sehr stark damit solidarisiert hat, dass es darum geht, die Unterdrückung von Partikularitäten durch Allgemeines, also dass es darum geht, sexuelle Orientierung zu befreien, dass es darum geht, rassistische Diskurse zu kritisieren, dass es darum geht, überall dort einzugreifen, wo allgemeine Diskurse den Einzelnen oder bestimmte Identitäten unterdrücken, dass das zwar nach wie vor gilt und dass das aufrechterhalten wird, dass es aber eine Sehnsucht danach gibt, auch darüber nachzudenken, ob es nicht eine Position gibt, die allgemeiner spricht, die eine Allgemeinheit und eine universalistische Position erlaubt zu formulieren. Dafür ist, glaube ich, der Name Kommunismus, und ich glaube, das muss man wirklich verstehen, so wie Badiou sagt über den Namen Christus, er ist ein Name über alle Namen, der keinen empirischen Inhalt hat, sondern eine Orientierung gibt, als Kritik außerhalb der empirischen Realität. So ist das ein Name, der für diese Sehnsucht vielleicht steht.

Meyer: Das ist interessant, dass Sie Christus erwähnen, weil ja auch unser derzeitiger Papst, Benedikt XVI., ja ein großer Kritiker ist der Lehre der heutigen westlichen Gesellschaft, des Materialismus, der Herrschaft des Relativismus. Insofern sind sich der Papst und diese Verfechter einer neuen Idee des Kommunismus vielleicht recht nah?

Ensslin: Der kleine, aber entscheidende Unterschied ums Ganze, Sie haben es bereits gerade gesagt: Er tut das aus einer religiösen, spirituellen, man kann sagen idealistischen Position, und ich glaube, diese Denker, von denen wir gerade sprechen, sind und würden für sich in Anspruch nehmen, Hardcore-Materialisten zu sein und zu bleiben. Und das hat eine Auswirkung auf diese vermeintliche Familienähnlichkeit, die beide auf sehr unterschiedlichen Seiten landen lässt.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, Felix Ensslin ist bei uns, Ästhetikprofessor, Autor und einer der Mitdiskutierer bei der Konferenz, die sich mit der Idee des Kommunismus jetzt in Berlin auseinandersetzen wird. Und Sie werden bei einem Podium mit diskutieren, wo es um die neue Attraktivität oder Relevanz der kommunistischen Idee für die Künste geht. Wo gibt es denn heute Beispiele dafür, dass Künstler aus der kommunistischen Idee etwas Wichtiges, etwas Interessantes, etwas auch ästhetisch Aufregendes herausgeholt haben?

Ensslin: Wenn man zum Beispiel jetzt die Berlin Biennale, die zurzeit zu sehen ist in Berlin, sich vor Augen nimmt, hat sie auch sehr klare Ansprüche, die in diese Richtung gehen. Sie hat den Anspruch zu sagen, die Postmoderne ist vorbei. Sie hat den Anspruch zu sagen, die Partikularitäten, einfach die Artikulation von Partikularitäten, das ist vorbei.

Also Hallimasch, dieser Künstler aus Albanien, der sowohl die Formensprache bestimmter kunsthistorischer modernistischer, avantgardistischer Positionen aufnimmt, sie aber nicht sozusagen affirmiert, indem er sagt, wir machen jetzt eine neue Moderne, sondern damit in Berlin sehr konkrete Fragen aufwirft, zum Beispiel über das Involvement Deutschlands im Krieg gegen Jugoslawien. Aber das nicht einfach mit einem Agitprop-Weg tut, indem er sagt, das war böse, das hättet ihr nicht tun dürfen, sondern das sehr indirekt macht, indem er gleichzeitig ständig die Frage stellt: Wie leben wir gemeinsam, was ist eine gemeinsame Weise, an was müssen wir uns orientieren, damit wir gemeinsam leben können, ohne ständig zurückzufallen in diese Divisionen, die dann letzten Endes auch die Divisionen in Marsch setzen?

Meyer: Und haben Sie den Eindruck als Ästhetikprofessor, jemand, der sich auf diesem Feld umschaut, dass es immer mehr Künstler gibt, für die diese Fragen wesentlich wären, also diese Suche nach dem anderen?

Ensslin: Ich würde sozusagen Ihre Formulierung dafür benutzen, das umzudrehen, und sagen, ich glaube, dass wenn es etwas gibt, wofür die Idee des Kommunismus im Kunstkontext steht, dann ein Überwinden der Suche nach dem anderen. Also wenn der andere sozusagen derjenige war, der der Partikulare ist, der Migrant ist, der Schwule ist, derjenige ist, der bis jetzt in offiziellen Geschichten nicht vorgekommen ist, den man durch neue Formen der ästhetischen Aufteilung in die Sichtbarkeit bringt, dann ist das etwas, was sehr wichtig ist nach wie vor und vielleicht die letzten 20 Jahre in der Ästhetik sehr stark geprägt hat.

Gleichzeitig gibt es aber eine Sehnsucht - das habe ich schon vorher versucht zu formulieren - vielleicht danach zu fragen: Ist es möglich, diese Prozesse miteinander zu verbinden? Ist es möglich zu sagen, dass es dort etwas gibt, was Gemeinsamkeit stiftet zwischen diesen Kämpfen um Sichtbarkeit, darum, gehört zu werden, darum, gesehen zu werden? Und ich glaube, dass diese Frage der Gemeinsamkeit, das nimmt sicher sehr zu in der Kunst. Ich glaube, die Berlin Biennale ist dafür ein sehr, sehr gutes Beispiel, ohne dass sie sich in irgendeiner Weise in diesen Kontext gestellt hätte.

Das, glaube ich, kann man mit Sicherheit sagen, dass das zunimmt, sozusagen eine Frage eines Universalismus, der nicht zurückgeht wie der Papst und sagt, hätten wir mit der Moderne gar nicht angefangen, sondern der die Erfahrungen, die historischen Erfahrungen der letzten 100 Jahre einschließlich der befreienden emanzipatorischen Erfahrungen mit aufgreift und trotzdem einen universellen Standpunkt findet, der nicht nur davon abhängt, ob ich jetzt als schwuler Deutscher spreche oder als nigerianischer Freiheitskämpfer oder als jüdischer New Yorker.

Meyer: Diese Diskussion über Kunst und die Idee des Kommunismus wird weitergeführt ab heute bei der Berliner Konferenz zur Idee des Kommunismus, eben zu Philosophie und Kunst. Und über dieses Thema haben wir geredet mit Felix Ensslin, Professor für Ästhetik in Stuttgart. Danke Ihnen sehr für den Besuch hier bei uns!

Ensslin: Danke schön für das Gespräch auch Ihnen!