Sehnsucht nach dem Meer

Von Tobias Wenzel |
In der Schule hat sie sich vor allem gelangweilt. Während des Unterrichts schrieb Laura Naumann heimlich Prosatexte und Theaterstücke. 2008 wurde sie mit ihrem Drama "meerrauschenhören" zum Berliner Stückemarkt eingeladen und erhielt im gleichen Jahr das Förderstipendium des Vereins "Interplay Europe". Und das mit gerade einmal 19 Jahren.
"was magst du, fragst du so in den Raum hinein und ich merke im ersten
Moment gar nicht dass du mich meinst damit was ich mag
du guckst erwartungsvoll und denkst wahrscheinlich ich sage, dich
aber was mir im ersten Moment einfällt ist, Häuser, sag ich
jetzt bist du enttäuscht das tut mir leid aber Häuser mag ich nun mal
weil ohne Häuser stünden wir alle ziemlich doof da"


(Lesung Laura Naumann, aus Prosatext: "weil wir den wind lieben über alles")

Ultramarinblaue Kacheln, eine rote Glühlampe hängt von der Decke, knallgelbe Briefkästen - überraschend bunt wirkt der Eingangsbereich des Hauses, in dem die 1989 geborene Laura Naumann ein WG-Zimmer hat. Überraschend bunt für die Stadt Hildesheim, die den Neuankömmling mit ihren Bausünden in tristen Farben geradezu ohrfeigt. Laura Naumann erinnert sich, wie sie im Herbst 2008 nach Hildesheim kam:

"Das war total schlimm. Oh Gott! Ich dachte, dass ich das nicht richtig überleben kann."

Laura Naumann, wuschelige, fast schulterlange blonde Haare, schwarzes Oberteil, blauer Jeansrock, sitzt im Schneidersitz in einem Korbstuhl in der WG-Küche. Ein schöner Massivholztisch mit einer Kreuzstruktur. Die Fensterbank ist vollgestellt, eine blaue, kegelförmige Kerze, ein silberner Toaster, das Vorlesungsverzeichnis der Uni Hildesheim. Dort studiert Laura Naumann Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus:

"Wir hatten zwei Tutorinnen, die total lieb sind, uns aber auch ziemlich überfordert haben mit so Sachen wie: 'Ja, man macht hier total viele Projekte. Ich hatte im ersten Semester schon ein Magengeschwür. Aber hey, das bringt total Spaß!' Und ich dachte mir: 'Boh, ich will eigentlich kein Magengeschwür.' Und dann kam ich nach Hause und war total fertig und bin dann am Donnerstag oder Freitag nach Hause gefahren, hab' so ein bisschen geheult und dachte: 'Gott, ich möchte nicht, dass es so weiter geht!"

Mittlerweile hat sich die Jungdramatikerin aber eingelebt. In Leipzig wurde sie geboren, wuchs in einem Dorf bei Chemnitz auf, machte Abitur in Dresden und dort ein Freiwilliges Soziales Jahr am Theater Junge Generation, war Regieassistenin, spielte selbst Rollen. In fast allen ihren Texten, besonders aber im Stück "meerrauschenhören", wird sehnsüchtig das Meer erwähnt.

"Ich kann mir vorstellen, dass es daran liegt, dass irgendwie meine Familie, dass die alle so vom Wasser kommen, aus Norwegen, von der Ostsee und von der Nordsee, und dass das so eine Sehnsucht ist, die man da hat, weil: Meine Mutter hat das auch. Sie möchte auch immer irgendwie ans Wasser. Die sind alle auch irgendwie schwermütig, also hat was sehr Nordisches."

Laura Naumanns Eltern, die eine Straßenbaufirma hatten, haben sie immer unterstützt. Aber beunruhigt hat sie der Berufswunsch ihrer Tochter. Theaterschauspielerin wollte sie werden. Bis sie sich für das Schreiben entschied:

"Mein Vater war einfach so erlöst, dass er fast weinen musste, war so glücklich, dass ich dann doch lieber nicht spielen möchte, sondern lieber schreibe. Das ist ihm tausendmal lieber. Und dann dieses ganze Bild: Mein Papa ist dann vielleicht auch besorgt und sagt: 'Okay, man hört immer, die Schauspieler, die müssen mit jedem schlafen, damit die Rollen kriegen.' Und solche Sachen. Die denkt er dann wahrscheinlich auch mit. Und das finde ich auch ganz süß so."

Seit 2006 hat Laura Naumann Preise und Stipendien für ihre Theaterstücke erhalten. "meerrauschenhoeren" schrieb sie noch in der Schule. Ein Stück, in dem Jugendliche demonstrieren. Da sie aber nicht wissen, wogegen oder wofür, sammeln sie erst einmal Ideen:

"kostenlos parken
längere ausgehzeiten für minderjährige
freie wahl der unterrichtsfächer"


(Lesung Laura Naumann, aus: "meerrauschenhören")

"Also ich finde, das ist so ein richtig komischer Moment, dass man irgendwas will, total, aber man weiß überhaupt nicht was. Und das habe ich auch ganz oft gemerkt, als ich noch in der Schule war. Irgendwie hatten alle schlechte Laune und haben gemeckert, und alles war irgendwie blöd. Und dann dachte man: "Man müsste mal was anders machen. Man müsste mal echt krass was machen. Hm, aber wo fangen wir denn an?!"

"übersichtlicher eingerichtete supermärkte
mehr zigaretten in einer schachtel"


1989, in Laura Naumanns Geburtsjahr, stellte sich in der DDR nicht die Frage, wogegen oder wofür man demonstrieren sollte. Doch das weiß sie nur aus Erzählungen ihrer Eltern:

"Ich kann mich erinnern, dass mein Vater immer bei diesen Montagsdemonstrationen war, als ich noch ganz klein war, und meine Mutter sich total gefürchtet hat, dass er nicht wiederkommt."

Die Utopien sind gescheitert, sagt Laura Naumann, befreit ihre Füße aus dem Schneidersitz, um sie kurze Zeit später wieder in die Ursprungsposition zu bringen. Glück müsse man nun woanders suchen, in den kleinen Momenten, im Zusammensein mit Freunden, im Empfinden von Freiheit:

"Zum Beispiel: Für mich ist es ein riesengroßes Glück, dass ich ein Auto habe. Und immer wenn ich Lust habe, muss ich keinem Bescheid sagen und kann einfach auf die Autobahn gehen. Und da geht es mir garantiert gleich besser. Ich finde, man kann nirgendwo besser nachdenken! (Lacht). Einfach so durch die Landschaft - das finde ich gut."