Sehnsucht nach dem Licht

Von Peter Kaiser · 09.01.2008
Larissa Boehning befasst sich schon seit Jahren mit Literatur, ihr beruflicher Werdegang führte sie aber zunächst in ein Grafikbüro. Der Durchbruch gelang der Schriftstellerin mit ihrem 2007 erschienenen Roman "Lichte Stoffe". Für das Buch, in dem sich eine junge Designerin auf die Suche nach ihren familiären Wurzeln begibt, wird sie mit dem Mara-Cassens-Preis geehrt.
"Was war das, Süßer, ein Lkw, ne? Wird ja sonst alles immer bekannt, ein Auto, ein Bagger, eine Blume? Was ja auch was Schönes ist, die ganze Welt mit Wörtern zu versehen.""

An diesem Wintervormittag geht gar nichts schnell auf dem Weg zur Post in Berlin-Schöneberg. Denn Paco, Larissa Boehnings zweijähriger Sohn, ist krank und quengelt wegen der bitteren Kälte. Die Schriftstellerin Boehning sieht in den Himmel. Beim Gehen träumt sie einen Moment lang von Palma de Mallorca, wo sie vier Jahre lang gelebt hat.

"Also hier die bittere Kälte und auch diese frühe Dunkelheit, wenn ich mich dann erinnere an Palma zu dieser Jahreszeit, da wird mir schwer ums Herz. Besonders wenn ich Musik höre, die ich in der Zeit dort gehört habe beim Joggen am Meer oder einfach beim Spazierengehen mit ihm auch."

"Ich bin viel am Meer gewesen, viel am Strand gewesen mit ihm, das ist ein anderes Leben. Das ist was ganz Wunderbares, das Draußen sein können, das ganze Jahr über."

Die Erinnerungen an das mallorquinische Licht scheinen die 36-jährige großgewachsene Frau zu wärmen. Für einen Moment wird ihr Schritt leichter, dabei wippen die dichten braunen Haare.

1971 in Wiesbaden geboren, wuchs Larissa Boehning mit ihren zwei Schwestern am Rande Hamburgs auf. Ihr Vater war Kaufmann, die Mutter Sekretärin. Das Schreiben scheint nur Larissa in die Wiege gelegt zu sein, denn eine der Schwestern ist Ärztin, die andere arbeitet an der Hamburger Handelskammer. Doch so klar wie jetzt war die Sache mit dem Schreiben anfangs nicht. Nach dem Studium der Philosophie, Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte sah es zuerst ganz anders aus.

"Ich habe während des Studiums an der Uni gearbeitet und habe mir alle Grafikprogramme, das ging im Rahmen des kulturwissenschaftlichen Studiums dort, angeeignet. Und rutschte dann in diese New-Economie-Blase insofern rein, als das ich dann einen Kontakt zu einer Agentur hatte, über ein Praktikum, die mich fragten, ob ich bei ihnen arbeiten möchte. Und dort hatte ich wirklich einen sehr hervorragenden Chef, und einen sehr, sehr guten Art Director, wie es ja so heißt, die gesagt haben: egal, was du studiert hast, jetzt lernst du bei uns Grafik-Design."

Doch Grafik-Designerin zu sein befriedigte sie nicht auf Dauer.

"Ich habe immer geschrieben, ich habe auch immer das größte Glück dabei empfunden. Also es waren die konzentriertesten Momente meines Lebens. Aber ich konnte damit nie was anfangen. Ich habe es dann immer genommen und in die Schublade wieder getan, sozusagen."

Bis Larissa Boehning ihre Arbeiten doch zeigte und im Berliner Literarischen Colloquium zu einer Autorenwerkstatt ausgewählt wurde. Ein Jahr darauf, 2003, erschienen die Erzählungen.

"Mein erstes Buch heißt 'Schwalbensommer'. Es ist eine Sammlung von Erzählungen, kurzen Erzählungen, die im Grunde aus so einem Vakuum heraus entstanden sind, nach dem Studium eigentlich loslaufen zu wollen, viel machen zu wollen, auch so eine aufgestaute Energie zu haben, ne, kennen wir, glaube ich, ganz gut nach dem Studium, und dann aber eigentlich überhaupt nicht zu wissen wohin jetzt. Und dann diese Frage, wenn ich mich für das eine entscheide, entscheide ich mich womöglich gegen das andere? (…) Aus diesem Gefühl heraus sind diese Erzählungen entstanden."

Nach "Schwalbensommer" folgte im Herbst 2007 der Roman "Lichte Stoffe". Das Romandebüt - das jetzt auch den "Mara-Cassens-Preis des Literaturhauses Hamburg" erhält - wurde sofort hochgelobt.

Vordergründig geht es beim Roman "Lichte Stoffe" um die Geschichte von Nele, einer in den USA lebenden Designerin, die auf Spurensuche geht. Denn Neles Mutter Evi ist die Tochter einer deutschen Hutmacherin und eines US-Besatzungssoldaten. Doch Evi hat ihren Vater, den GI, nie kennengelernt. Evis Mutter, also Neles Großmutter, behauptete bis zu ihrem Tod, der GI habe sie mit dem Kind verlassen, und verweigere jede weitere Auskunft über den Mann. Nach der Beerdigung der Großmutter werden Tonbandkassetten gefunden, auf denen sie jedoch die Wahrheit gebeichtet hat. Zugleich ist von einem wertvollen Degas-Bild die Rede, das in den Kriegswirren dem GI in die Hände fiel. Ist das die vordergründige Geschichte, die erzählt wird, so geht es in den tieferen Romanschichten um falsche Versprechungen, Lügen und Unaufrichtigkeit.

"Mich interessiert ja sehr sozusagen all die Stellen, auch die Oberflächen, an denen geschwiegen wird, und dorthin durchzugehen. Und die Leerstelle, das Vakuum mit Geschichte zu füllen."

Lebensgeschichten sind immer auch die Geschichten von Orten.

So ist Palma de Mallorca, wo ihr Sohn Paco vor zwei Jahren zur Welt kam, so ein wichtiger Lebensort für Larissa Boehning.

"Wir sind da hingegangen, weil mein Freund dort einen Job hatte. Das war eine sehr produktive und kreative Zeit, und sehr inspirierende Zeit auch."

Larissa Boehning schreibt schon an einem neuen Roman. Noch will sie nichts darüber verraten, nur so viel, dass ihre Zeit auf Mallorca und ihre Erfahrungen als Mutter eine Rolle spielen werden.

Und dann sieht Larissa Boehning wieder in den Winterhimmel. Nach der Geburt von Greta, sagt sie, ihrem zweiten Kind, vor wenigen Wochen sei sie erschöpft. Dazu dann die Kälte hier, die Dunkelheit … es sei Zeit den Winter zu verkürzen, "lichte Tage" wieder zu haben.

"Ich merke, ich habe so eine Sehnsucht nach dem Licht, nach der Helligkeit, und natürlich auch nach der Wärme."