Segelfliegen

Eine luftige Passion

23:43 Minuten
Ein Segelflieger nach dem Start
"An keinem anderen Ort denke ich so wenig an den Stress des Alltags", sagt unsere Autorin Lea Eichhorn. © imago stock&people
Von Lea Eichhorn · 11.04.2021
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Frühlingswetter bedeutet für Segelfliegerinnen und Segelflieger in Deutschland: Saisonstart! Sehnsüchtig haben sie auf das Ende des Winters gewartet, um wieder in die Luft zu steigen. Trotz der Pandemie ist eine Weltmeisterschaft in Stendal geplant.
Saisonstart? Von wegen. Ich biege in die kleine Straße ein, die zum Segelflugplatz Kammermark führt. Hinter Feldern und den paar Häusern des Dorfes taucht die Flugzeughalle auf. Flieger sind aber nicht zu sehen.
Eigentlich wollte ich dieses Feature mit einer Reportage vom ersten Flugtag des Jahres beginnen. Die freudig aufgeregte Stimmung meiner Fliegerfreunde einfangen. "Anfliegen" nennen wir diesen Tag. Der Grund für die Absage, nicht überraschend: die Coronapandemie.
Ich schiebe das große Hallentor auf. Dahinter schlummern die Segelflugzeuge in ihren Anhängern. Ich höre Stimmen. Neben dem Eingang vom Haupthaus parkt ein silberner BMW. Ganz alleine scheine ich hier doch nicht zu sein. Julian und Tobias sind Vereinskollegen. Beide in Arbeitshosen.
Lea Eichhorn im Cockpit über der Prignitzer Landschaft.
Lea Eichhorn im Cockpit über der Prignitzer Landschaft.© Deutschlandradio / Lea Eichhorn
"Wir sind eigentlich nur dabei, Bilder aufzuhängen, Haus durchzuwischen. Halt mal so, dass man nicht reinkommt und denkt: Oh Gott, ich gehe wieder raus."
Die beiden verschwinden im Haus. Ich habe mir vorgenommen, heute noch ein bisschen Frühjahrsputz an meinem Flugzeug zu betreiben. Mein Blick wandert in Richtung Hangar. Dahinter beginnt der Flugplatz, eine riesige grüne Wiese. In meinem Kopf beginnt ein Film zu laufen – einer meiner vergangenen Flüge.

Der Tagtraum vom Fliegen

Ich sitze im vorderen Sitz eines Doppelsitzers. Unter den Füßen spüre ich die Pedale. Zeit für meinen Startcheck:
"Ich bin fest und sicher angeschnallt, ich habe einen Fallschirm an, die Ruder sind freigängig bis in alle Endlagen, Bremsklappen fahren gleichmäßig aus und sind verriegelt, Trimmung ist neutral, Fahrt- und Höhenmesser sind auf null, Funk ist an, E-Vario ist auch an, Startstrecke und Luftraum sind frei."
Julian hockt neben dem Flugzeug und steckt den Metallring in die Kupplung an der Rumpfunterseite. Vor mir liegt der Flugplatz. Ich liebe diesen weiten Blick, schon am Boden. Als Stadtmensch purer Luxus. 1,2 Kilometer lang; etwa 200 Meter breit. Rund 32 Fußballfelder würden hier draufpassen. Rundherum Felder und ein paar einzelne Bäume. Im Süden ist Pritzwalk zu erahnen, die nächstgelegene Stadt. Der Wind wirbelt Grashalme auf.
Die Autorin und Segelfliegerin Lea Eichhorn sitzt mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden, angelegt an ein Segelflugzeug.
Die Autorin und Segelfliegerin Lea Eichhorn© privat
Langsam sehe ich, wie sich das Seil vor mir strafft. Ein leichter Ruck geht durchs Flugzeug. Es rollt an, huppelt über den Rasen. In wenigen Sekunden von 0 auf 110 km/h. Ich werde in den Sitz gedrückt. Das Flugzeug und ich werden am Seil in die Höhe gezogen. Knapp eine Minute, dann bin ich oben. Ausklinken. Ich gleite durch die Luft. Schaue nach vorn und sehe: den blaugrauen Horizont, darüber Wolken. Darunter: Kleine Autos auf den Straßen, Windräder, die wie Spielzeuge aussehen. Der Ausblick bringt mich zur Ruhe. An keinem anderen Ort denke ich so wenig an den Stress des Alltags.

In Kammermark gibt es immer etwas zu tun

Zurück im Haus. Julian und Tobias räumen den großen Saal auf. An einem normalen Flugwochenende sitzen hier dicht gedrängt meine Vereinskolleginnen und -kollegen. Frühstücken zusammen, halten das morgendliche Briefing vor dem Flugbetrieb. Jetzt sind die Tische zusammengeschoben. Julian nimmt einen Besen zur Hand: "In Kammermark lohnt sich fegen immer, das ist das Gute."
Wäre aber schöner, wenn man jetzt fliegen könnte, statt zu fegen, oder? "Ja, auf jeden Fall, also gerade bei dem schönen Wetter in den letzten Tagen. Da haben wir natürlich öfter nach oben geguckt."
Tobias ist nebenan damit beschäftigt, einige Bilder an die Wand zu hängen. Wir alle tragen übrigens eine Maske. "Dürfte ich euch gleich einmal kurz unterbrechen und ihr helft mir, meinen Anhänger vorzuziehen?" – "Ja klar."
In der Halle stehen gleich mehrere nebeneinander. Ein Segelfluganhänger ist ziemlich lang, etwa neun Meter, und wiegt mit einem leichten Flugzeug drin eine gute Tonne. Ihn alleine zu rangieren ist schwierig. Mit vereinten Kräften ziehen wir ihn nach vorn.
Der Hängerdeckel klappt nach oben auf. Ich hebe den Rumpf hinten an und ziehe ihn aus dem Anhänger. "Vielen Dank, ihr beiden!"

Das Wetter passt, die Pandemie nicht

Im vergangenen Jahr, also dem ersten in der Coronapandemie, durften wir ab Ende Mai mit Hygienekonzept fliegen. Heute, knapp ein Jahr später sind wir wieder im Lockdown. Auch wenn sich die Sonne heute nicht blicken lässt. Wettermäßig wäre Fliegen möglich, meint auch Julian:
"Ich glaube acht Grad, doch relativ strammer Wind jetzt, das ist auf jeden Fall fliegbar, gibt sicherlich eine gute Ausklinkhöhe. Wäre auf jeden Fall ein schöner Tag für die ersten Starts in der Saison."
Für uns Segelfliegerinnen und -flieger kann der Winter ganz schön lang werden. Das kennt auch Julian, allerdings sieht er auch Vorteile der Saisonpause. Er findet es zwar gut, im Winter auch mal ein paar "freie" Wochenenden zu haben, verbringt er doch im Sommer fast jedes Wochenende hier.
"Aber man vermisst es schon", so Julian. "Gerade wenn man im Frühjahr oder auch im Winter schönes Wetter sieht, schöne Cumuluswolken am Himmel, dann möchte man schon einfach hier sein und fliegen, einfach auf dem Platz die Zeit genießen."

Der Traum vom Fliegen hat Tradition

Fliegen ist der wahrgewordene Menschheitstraum. Vor rund 130 Jahren, 1891, gelingt dem Ingenieur Otto Lilienthal der erste Gleitflug. Er startet von der Abbruchkante eines kleinen Berges zwischen den brandenburgischen Ortschaften Krielow und Derwitz. Ein Segelflug, wie wir ihn heute kennen, war das nicht, erklärt mir Peter Ocker:
"Begonnen hat es grundsätzlich mit dem Gleitflug. Das heißt, Menschen haben versucht, von einem hohen Punkt - sprich einem Hang - den Hang entlang herunter zu fliegen, erst mal damit Wegstrecke zu machen."
Ocker leitet das Deutsche Segelflugmuseum auf der Wasserkuppe in der Rhön. Die Wasserkuppe gilt als Geburtsstätte des Segelflugs, wie wir ihn heute kennen.

Vielseitig begabter Vordenker der Luftfahrt

Ohne Hang geht in den Anfängen der Fliegerei noch nichts. Lilienthal gleitet bei seinem ersten Flug 25 Meter weit. Sein selbst gebauter Flugapparat ist ein mit Stoff bespanntes Weidenholzgestell. Jahrzehntelang hatte sich Lilienthal vorher schon mit dem Flug der Vögel beschäftigt. Er soll sich sogar vier Störche gehalten haben, um ihren Flug zu studieren. Was er beobachtet hat, beschreibt er 1890 in einem Vortrag:
"Die großen Raubvogel, Sumpf- und Seevögel besonders verstehen es, in herrlichen Schraubenlinien mit still gehaltenen Flügeln durch die Luft zu ziehen, und indem sie so ohne eigene Arbeitsleistung vom Winde sich heben lassen, bilden sie einen mechanischen Triumph der Natur, der uns mit Staunen und Bewunderung erfüllen muss."
Historischer Holzschnitt (1888), mit der Darstellung von Karl Wilhelm Otto Lilienthal mit seinem Flugapparat, an einem Abhang stehend.
Pionier der Fliegerei: Otto Lilienthal mit einem seiner Flugapparate; Holzschnitt, 1888© imago / imagebroker
Er ist nicht der Einzige, der sich an Gleitflügen probiert. Lilienthal widmete sich dem Traum vom Fliegen mit besonderem Eifer, erklärt Ocker:
"Einer wie Otto Lilienthal, der es also nicht nur beobachtet und auch in der Theorie umgesetzt hat, sondern handwerklich selbst diese Gerätschaften hergestellt hat und dann auch noch als eigener Testpilot sich mit diesem Gerät den Hang hinunter stürzte. Da gab es nicht so viele, die alle diese Fähigkeiten mitgebracht haben, das ist also schon absolut bemerkenswert."
Im Jahr 1896 verunglückt Lilienthal bei einem seiner Flüge und stirbt. Andere Flugbegeisterte greifen seine Forschung auf, stützen sich vor allem auf sein bekanntestes Buch "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutzen es die Brüder Wright in den USA. Mit dem von ihnen erdachten System aus Höhen-, Seiten-, und Querruder steuern wir noch heute unsere Flugzeuge um drei Achsen.

Aufschwung für den Segelflug nach 1918

Während des Ersten Weltkriegs tritt der motorlose Flug in den Hintergrund. Motorflug lässt sich militärisch besser nutzen. Erst danach bekommt der Segelflug wieder mehr Aufmerksamkeit, vor allem in Deutschland, erzählt Ocker:
"Dort gab es natürlich dann viele Menschen, die schon geflogen sind. Die Piloten waren, die auch den Motorflug beherrscht haben, aber nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund des Vertrages nicht mehr fliegen durften. Eine Lücke im Versailler Vertrag war das Fliegen mit unmotorisierten Flugzeugen. Das hatte einfach niemand auf dem Schirm, als dieser Vertrag gemacht wurde."
Historische Aufnahme eines Leichtwindseglers während des Starts, beim Ausklinken des Schleppseils.
Historische Fotopostkarte mit dem Motiv des Rhön-Segelflugwettbewerbs, undatiert.© picture alliance / akg-images
Die Wasserkuppe, der höchste Berg der Rhön, wird innerhalb kürzester Zeit zum Hotspot der Luftpioniere. Dort erproben die abenteuerlustigen Flieger die unterschiedlichsten Startarten, Flugapparate und Auftriebswege. Der Berg ist aufgrund seiner geografischen Beschaffenheit besonders geeignet, erklärt Ocker. Der Hang sei unbewaldet, rund und lasse sich je nach Windrichtung von überall her befliegen.
Das spricht sich in der Weimarer Republik herum. Einige der ehemaligen Militärpiloten wollen einfach nur wieder in die Luft. Andere sind getrieben von der Idee, eine neue Flugsportart weiterzuentwickeln.
Von Beginn an gehört dazu der sportliche Wettbewerb. Schon 1920 ruft Chefredakteur Oskar Ursinus in seiner Zeitschrift "Flugsport" zum ersten Rhönwettbewerb auf. "Diesem Aufruf sind ganz viele Leute aus der gesamten Weimarer Republik gefolgt, um in der Wasserkuppe gemeinsam zu versuchen, möglichst lange mit selbstgebauten Gleitflugzeugen in der Luft zu bleiben", erzählt Ocker.

Mehr Forschungscamp als Wettbewerb

Rund zwei Dutzend Teilnehmer kommen im Sommer 1920 zum ersten Rhönwettbewerb zusammen. Weil der Transport damals aufwendig und teuer ist, bringen viele ihre selbst gezimmerten Flieger in Einzelteilen mit. Im Zug oder in Leiterwagen. Angekommen auf der Wasserkuppe, mussten viele ihre Flugapparate erst einmal zusammenbauen.
Auch nach dem Wettbewerb verbringen manche Piloten Tag und Nacht auf der kargen Wasserkuppe. Ocker meint, heute würde man das eher ein "Forschungscamp" nennen: "Sie saßen am Lagerfeuer und haben ihre gesamten Erkenntnisse des Tages danach ausgetauscht, um am nächsten Tag mit diesen Erkenntnissen auch weiterzuforschen. Das jeden Tag aufs Neue und das über Wochen. Da kommen natürlich ganz enorme Erkenntnisse zusammen."
Eine der wichtigsten Erkenntnisse machen sich die Piloten zur Mitte der 1920er-Jahre zu eigen: Sie lernen, thermische Aufwinde bewusst zu nutzen. Zusammen mit dem Meteorologieprofessor Walter Georgii verstehen sie: Die warmen Luftmassen, die aufsteigen, machen es möglich, in der Luft Höhe zu gewinnen.
Zwei der Ersten, denen das gelingt, sind der Darmstädter Student Johannes Nehring und der Österreicher Robert Kronfeld. Einige Jahre später nutzt Kronfeld das erste "Variometer". Ein Instrument, das heute in keinem Cockpit fehlt. Mit einem akustischen Signal zeigen die modernen E-Varios heute an, ob ich mich gerade in steigender oder sinkender Luft befinde.
Zurück in meinem Film, dem Flug in meinem Kopf. Ich steuere das Flugzeug in der Platzrunde um unseren Flugplatz herum. Die direkte Umgebung habe ich schon so oft von oben gesehen – es fühlt sich an wie nach Hause kommen. Intuitiv bewege ich Pedale und Knüppel nach links, lehne mich in die Kurve. Das ganze Flugzeug neigt sich zur Seite. Pedal und Knüppel rechts. Flugzeug aufrichten. Flügel wieder waagerecht.

Ist Segelfliegen überhaupt ein Sport?

Immer wieder werde ich gefragt: Ist Segelfliegen überhaupt ein Sport? Darüber will ich mit Christoph Barniske sprechen. Er fliegt auf dem Flugplatz Stendal-Borstel in Sachsen-Anhalt. Dort soll im Sommer die Segelflugweltmeisterschaft stattfinden. Barniske übernimmt die sportliche Leitung. Mit wem könnte ich also besser über diesen Aspekt unseres Hobbys sprechen? Coronakonform im Interview per Videotelefonat.
Die kommende Weltmeisterschaft ist ein Wettbewerb im Streckenflug. Überlandfliegen sagen wir auch dazu. "Beim Überlandfliegen verlässt man den Bereich des Flugplatzes und fliegt so weit weg, dass man, ohne einen Aufwind zu finden, nicht wieder zurückkommt", erklärt Barniske.
Ein Segelflugzeug im Schlepp, 12.07.2020 
In den Himmel geholt: Ein Segelflugzeug im Schlepp eines motorisierten Fluggeräts.© imago / Arnulf Hettrich
Das letzte Mal, dass wir uns persönlich begegnet sind, war im Sommer 2020 auf dem Flugplatz in Stendal. Da hatte Barniske gerade einen persönlichen Rekord aufgestellt, war mit seinem Flugzeug von Stendal aus eine Strecke von knapp 880 Kilometern geflogen. Seine Route führt ihn von Stendal über Senftenberg bis nach Kassel und dann wieder zurück. Alles an einem Stück. Morgens um kurz nach halb acht Uhr gestartet, Landung erst um 17.30 Uhr. Zehn Stunden in der Luft.
Christoph Barniske lächelt, wenn er daran denkt: "Das war schon ein sehr schöner, langer Flug. Da ging halt wirklich auch nicht mehr. Da war der Tag dann zu Ende und es hat alles gepasst. Das war ein sehr schönes Erlebnis."

Immer auf der Suche nach dem nächsten Aufwind

Einen Überlandflug kann man sich vorstellen wie eine lange Autobahnfahrt mit viel Verkehr. Danach ist man erschöpft, die ständige Konzentration fordert Energie. Einmal in der Luft muss man seine geplante Strecke ständig an das tatsächliche Wetter anpassen. Heißt, ständig neu entscheiden. Barniske beschreibt das so:
"Wo ist der nächste Aufwind? Wo fliegt man hin? Wie lange bleibt man in dem Aufwind? Wie hoch fliegt man? Man kann sich das so ein bisschen vorstellen, wie wenn man einen Fluss auf Steinen überquert und man von einem Stein zum nächsten springt. Ständig tauchen neue Steine auf."
Für solche Flüge wie den aus dem Juli 2020 sucht sich Christoph Barniske die besten Tage im Jahr aus. Das Wetter muss schließlich passen. Bei einem Wettbewerb ist das anders. Der Termin steht vorher fest. Die zu fliegende Strecke ist von der Wettbewerbsleitung vorgegeben. Es kommt dann für jeden Einzelnen darauf an, diese Aufgabe möglichst präzise und möglichst schnell abzufliegen. Bei der Wetterlage, die nun mal gerade da ist.
Man sehe eigentlich erst auf einem Wettbewerb, ob man wirklich gut in der Lage ist, das Wetter zu nutzen oder nicht, meint Barniske. "Weil die Aufgaben, die man da fliegt, die sind für alle gleich. Man sieht dann im Vergleich, wer die Aufgabe am schnellsten und am besten lösen konnte."

Zur Weltmeisterschaft wollen 90 Piloten kommen

Die Weltmeisterschaft sollte eigentlich schon 2020 in Stendal stattfinden. Wegen der Coronapandemie hat sich das Team entschieden, sie um ein Jahr zu verschieben. Segelfliegen ist inzwischen in vielen Ländern beliebt: Frankreich, Namibia, Australien, Slowenien …
90 Teilnehmer aus aller Welt haben sich für die diesjährige WM in Stendal angemeldet. Zusammen mit ihren Helferinnen und Helfern wird sich das Organisationsteam um 350 bis 400 Leute kümmern müssen. Als sportlicher Leiter ist Christoph Barniske unter anderem für die Tagesaufgaben verantwortlich.
Ist die Aufgabe klar, geht es für alle an den Start. Mehrere Schleppmaschinen ziehen die Segelflieger nacheinander in die Luft. Diejenigen, die schon oben sind, warten in der Nähe des Flugplatzes, bis alle gestartet sind. Wenn Barniske dann den Abflug freigibt, beginnen die Piloten ihre Aufgabe. Barniske schätzt, dass bei gutem Wetter 800 bis 900 Kilometer Strecken möglich sind. Die durchschnittliche Geschwindigkeit der besten Piloten liegt bei bis zu 150 Kilometern pro Stunde. Alles ohne Motor.
Für eine Freizeitfliegerin wie mich ist das kaum vorstellbar. Ich sehe Christoph Barniske an, wie sehr er sich über eine Weltmeisterschaft auf seinem Heimatflugplatz freuen würde. Ende April will das Stendaler Flugplatzteam entscheiden, ob die Meisterschaft in der Pandemie stattfinden kann oder nicht.

Segelfliegen ist immer noch eine Männerdomäne

In Kammermark steht nur noch eins auf meiner To-do-Liste: Das Hauptrad meines Flugzeugs ausbauen; den Bolzen säubern und neu fetten. Damit es später reibungslos läuft. In meinem Berufs- und Bekanntenkreis erlebe ich immer noch überraschte Reaktionen, wenn ich von meinem Hobby erzähle. Die Tatsache, dass ich als Frau meine Zeit mit "technischem Kram" verbringe, ist für viele nicht selbstverständlich.
Segelfliegen ist immer noch eine Männerdomäne. Von den rund 27.000 Segelfliegern, die im Interessenverband, dem Deutschen Aeroclub gemeldet sind, ist nur rund jede zehnte eine Frau. Eine von ihnen ist Tanja Stolz. Sie erzählt mir, auch coronakonform im Videotelefonat:
"Ich glaube, als Frau auf dem Flugplatz brauchen wir ein dickes Fell. Es ist immer noch so, dass es Männer gibt, die sagen: Ja, der Himmel ist nicht rosa. Was willst du hier eigentlich?"
Als Scholz mit 14 Jahren anfängt zu fliegen, ist sie die einzige Flugschülerin im Verein. Der Flugplatz, das ist für sie ein zweites Zuhause. Ihr Vater und ihr Onkel sind beide Piloten. Einen Großteil ihrer freien Zeit verbringt sie schon als Kind auf Flugplätzen.
"Ich wollte immer die Welt von oben sehen und frei sein wie ein Vogel und die kleinen Häuschen und ja, manchmal auch die kleinen Problemchen da einfach unter lassen."
Als sie gerade 15 Jahre alt ist, darf sie das erste Mal allein fliegen. Sie ist seit Langem das erste Mädchen in ihrem Verein, das sich "frei fliegt". Aber Tanja Scholz lässt sich nicht beirren, steigt allein in das Flugzeug ein und startet. Oben in der Luft kann sie es kaum glauben:
"Das war einfach ein großartiges Gefühl. Ich habe erst mal angefangen zu singen und geguckt, ob wirklich keiner hinter mir sitzt. Und ja, ich fand es faszinierend, dass ich es jetzt wirklich alleine konnte."

"Du kannst keine Außenlandung"

Scholz fliegt weiter. Wenige Saisons nach ihrem ersten Alleinflug hält sie dann endlich ihren Flugschein in den Händen. Ab jetzt braucht sie nicht mehr unter der Aufsicht eines Fluglehrers fliegen, kann zum Beispiel auch an Wettbewerben teilnehmen. Also, theoretisch.
"Da brauchte man damals noch so ein Foto, damit man über Land fliegen konnte und nachher die Punkte einreichen konnte, damit man Wettbewerb fliegen durfte. Dann hat mein ehemaliger Fluglehrer, der mich eigentlich auch mit ausgebildet hat, nein gesagt, ich unterschreibe dir das nicht. Du bist eine Frau, du kannst keine Außenlandung."
Eine Außenlandung, also eine ungeplante Landung auf einem anderen Flugplatz oder Feld, ist für Segelflieger und Segelfliegerinnen nicht ungewöhnlich. Streckenflieger müssen sie sogar beherrschen, um zum Beispiels sicher auf Wetteränderungen reagieren zu können. Die Freunde von Tanja Scholz wollen, dass sie trotzdem fliegt:
"Ist egal, dann kriegst du keine Unterschrift. Wir fliegen das einfach trotzdem. Das haben wir halt einfach gemacht. Wenn ich diesen Rückhalt von anderen nicht gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich irgendwann gegangen."
Es sind nicht immer so drastische Erlebnisse, die Pilotinnen erleben. Oft schwingt der Sexismus subtiler mit: Männer, die sich über die höhere Stimme einer Frau im Funkverkehr lustig machen. Es für selbstverständlich halten, dass sich ihre Vereinskollegin um das Abendessen kümmert.
Tanja Scholz fliegt trotzdem weiter, wird später sogar Fluglehrerin. In ihrem Verein gibt es inzwischen mehrere Frauen. Aber sie sieht auch: "Es gibt da genügend Leute oder Frauen, die sich da ganz allein auf weiter Flur irgendwo bewegen. Ich glaube, für die ist es megawichtig zu sehen. Ach, da ist ja noch jemand."
Genau zu diesem Zweck wurde das "Hexentreffen" ins Leben gerufen. Einmal im Jahr treffen sich Pilotinnen aus ganz Deutschland, um sich auszutauschen und zu vernetzen. Im nächsten Jahr wollen Tanja Scholz und ihre Fliegerkameradinnen das Treffen organisieren.

Der Traum vom baldigen Saisonstart

Ich träume wieder: Bin im Landeanflug. Langsam aber bestimmt ziehe ich die Bremsklappen und spüre ihren Widerstand. Ich sinke stärker. Wenige Meter über dem Boden ziehe ich den Knüppel vorsichtig nach hinten, werde langsamer. Dann setze ich das Flugzeug "auf". Es rumpelt und ruckelt auf der grasbewachsenen Landebahn. Ausrollen.
Mit dem Frühjahrsputz bin ich fast fertig: Mit einer Hand entlaste ich das Rad von unten, mit der anderen friemele ich den frisch gefetteten Bolzen durch die Trommel. Festziehen. Das war es. Julian und Tobias sind im Haus fertig und helfen mir, den Rumpf zurück in den Anhänger zu räumen.
Wenn alles gut läuft, können wir die Flugzeuge in wenigen Wochen endlich wieder zum Fliegen aus der Halle holen. Bis dahin halten sie hier weiter ihren verlängerten Winterschlaf.
Nachspiel Autorin Lea Eichhorn im Segelflieger.
Bereit für den Abflug: Lea Eichhorn im Segelflieger© Lea Eichhorn / Deutschlandradio
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