Seenotrettung im Mittelmeer

"Wir sind in Deutschland eine Flüchtlingsgesellschaft"

05:31 Minuten
Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD, M), steht mit Sea-Watch-Sprecherin Giorgia Linardi (rechts) und Sea-Watch-Kapitän Arturo Centore im Hafen. Das Schiff «Sea-Watch 3» liegt hier im JUni 2019 im Hafen. freigegeben. Foto: Annette Reuther/dpa |
Der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm engagiert sich schon länger in der Seenotrettung, wie hier im Juni 2019 zusammen mit zwei Sea-Watch-Aktivisten. © Annette Reuther/dpa/picture-alliance
Ines Geipel im Gespräch mit Axel Flemming  · 14.09.2019
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Dass die EKD nun selbst ein Schiff zur Seenotrettung kaufen will, sei mehr als Symbolpolitik, sagt die Publizistin Ines Geipel. Deutschland sei selbst eine Flüchtlingsgesellschaft und es gelte das eigene Herz größer zu machen, nicht kleiner.
Die Evangelische Kirche will sich an der Seenotrettung im Mittelmeer beteiligen. Dafür wolle sie gemeinsam mit mehreren weiteren Organisationen ein Schiff kaufen, kündigte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, an. Zudem soll ein Trägerverein gegründet werden, um das Schiff zu betreiben. "Es ist mehr als Symbolik, es geht um exemplarisches Handeln. Es werden ganz konkret Menschen gerettet", sagte er über diese Initiative.
Die Autorin Ines Geipel spricht bei einer Veranstaltung der Leipziger Buchmesse.
Die Publizistin Ines Geipel © Imago / Gerhard Leber
Schon auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni in Dortmund sei klar geworden, dass es dabei nicht nur um Symbolpolitik gehe, sagte unser Studiogast, die Publizistin Ines Geipel. Auch die Katholische Kirche sei da aktiv. Mit der deutschen Kapitänin Carola Rackete sei es schon sehr konkret geworden.

Seehofer betont humane Migrationspolitik

Nun habe auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gesagt, dass Deutschland jeden vierten Flüchtling, der aus dem Mittelmeer gerettet werde, aufnehmen wolle. "Daran sieht man, dass so ein konkretes Boot plötzlich auch praktische Politik anschieben kann", sagt Geipel. "Ich glaube auch, dass es ein Stück unseres Selbstverständnisses sein sollte, dass im Mittelmeer Menschen nicht mehr ertrinken müssen."
Seehofer hatte angekündigt, in Zukunft ein Viertel aller Bootsflüchtlinge aufzunehmen, die in Italien ankommen. "Ich habe immer gesagt, unsere Migrationspolitik ist auch human. Wir werden niemanden ertrinken lassen", sagte Seehofer der "Süddeutschen Zeitung". Die Gespräche liefen noch. "Das wird unsere Migrationspolitik nicht überfordern."
Geipel sagt, es gebe reale Helden in der Gesellschaft, die sich für Flüchtlinge einsetzen, und starke Kommunen, beispielsweise im Ruhrgebiet – das sollte in den Medien viel mehr berichtet werden: "Dass Hilfe möglich ist, dass Integration möglich ist, da fehlen die Geschichten."

Die eigene Flucht

Ihre eigene Flucht aus der DDR über Ungarn sei natürlich ganz etwas anderes gewesen, aber auch sie habe damals Angst gehabt. "Ich habe natürlich aus dieser Erfahrung heraus ein Gespür dafür, dass wir möglichst lange die Hand aufhalten sollten und Hilfe leisten sollten, wo wir können", sagt Geipel.
"Wir sind in Deutschland eine Flüchtlingsgesellschaft." Auch die ostdeutsche Gesellschaft sei das. "Deshalb bleibt das für uns ein Thema, uns da stärker zu engagieren und das Herz größer zu machen, denn kleiner."
(gem)

Ines Geipel, geboren 1960 in Dresden, betrieb sechs Jahre lang Hochleistungssport in DDR. Nach einem Germanistik-Studium in Jena floh sie 1989 nach Westdeutschland und studierte Philosophie und Soziologie in Darmstadt. 2000 war sie Nebenklägerin im Prozess gegen die Drahtzieher des DDR-Zwangsdopings. Heute ist sie Professorin für Verssprache an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Mitarbeiterin des Hannah-Arendt-Instituts und Buchautorin. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Umkämpfte Zone, Mein Bruder, der Osten und der Hass".

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