Seenotrettung

Ein "Fahrstuhl", der Leben retten soll

Rettungsübung auf der Ostsee
Eine Seenotrettungsübung in der Ostsee © picture alliance / dpa / Foto: Stefan Sauer
Von Wolfgang Noelke · 18.06.2015
Bei einer Seenotrettung denkt man, ein Hubschrauber fliegt zum Zielort und holt den Menschen mit einem Rettungsring und einer Seilwinde aus dem Wasser. Oft ist es aber doch nicht so einfach. Deshalb haben Forscher den "RescuStar", eine Art Fahrstuhl, entwickelt.
"Das ist das derzeitig einzig verfügbare, robuste, realitätsnah einsetzbare und erprobte Rettungsmittel, was sich auf dem Markt befindet."
...lobt der Oberarzt des Uniklinikums Kiel und Fachmann für Seenot-Rettung, Wolfgang Baumeier einen, auf der Hannover-Messe ausgestellten riesigen umgedrehten Schirm, der mit einem orangefarbenen Fischernetz bespannt ist. Der heute 76-jährige Hildesheimer Professor Michael Schwindt hatte die Idee zu diesem ungewöhnlichen Rettungsschirm schon viel früher. Nachdem 1976 während eines Sturms an der Südküste Englands mehrere Teilnehmer einer Segelregatter ihr Leben verloren.
Rätselhaftes Sterben
"...und ein deutscher Skipper, der natürlich die Rettungsweste anhatte, der schwamm dann im Wasser und wurde von einem Hubschrauber gerettet. Aber im Wasser hatte er noch gelebt und im Hubschrauber war er tot. Und dieses Ereignis hat dann die Fachwelt bewegt, nachzuforschen, woran es eigentlich liegt, dass der gestorben ist, obwohl der ganz eindeutig im Wasser noch gelebt hat..."
Erst nachdem weitere Überlebende eines Schiffsuntergangs auf die gleiche rätselhafte Weise starben, kamen Seenot- Mediziner – so Wolfgang Baumeier zur Erkenntnis.
"Dass ein Unterkühlter, wenn er aus dem Wasser gerettet wird, nur noch über einen minimalen Kreislauf verfügt, der sehr, sehr empfindlich ist. Wenn man diesen Körper aus dem Wasser herausnimmt, dann wird der dem umgebenden Wasserdruck entzogen. Das kann schon zu einem Bluddruckabfall führen, der kritisch wird. Wenn man ihn dann noch von der horizontalen Position in die vertikale überführen würde oder stark durchbewegt, dann bricht der Kreislauf restlos zusammen. Es kommt zum Kammerflimmern, zum Kreislaufstillstand. Er muss reanimiert werden, ansonsten kommt es zum sogenannten Bergungstod. Um das zu vermeiden, ist es unbedingt wichtig, dass ein Mensch, der aus dem Wasser gerettet wird, bei dem man davon ausgehen muss, dass er stark unterkühlt ist, in der horizontalen Position belassen wird."
Michael Schwindt, damals noch Professor an der Fachhochschule Hildesheim entwickelte eine doppelte Rettungsschlaufe, die Beine und Oberkörper auch beim Hochziehen zum Helikopter in der Waagerechten hält. Fatale Schwierigkeit: Man muss selbst in die Schlaufe hineinsteigen:
"Wenn eine Person nicht damit zurechtkommt oder nicht Bescheid weiß oder sehr starker Seegang herrscht – oder die Person bereits stark unterkühlt ist, dass sie keine feinmotorischen Handgriffe mehr vollführen kann, dann ist es sehr hilfreich, wenn man ein Rettungsgerät hat, wo die Person im Wasser möglichst gar nichts mehr machen muss, sondern wo sie nur noch, vielleicht an einem Ring, dem man ihr zuwirft oder einer Schlaufe, die man ihr zuwirft – festhalten muss, um sie an ein anderes Rettungsgerät heranzuziehen."
Neu entwickelter "Rettungsschirm"
Nach einem, einseitig offenen Käfig in dem Gerettete sitzen können, wie in einer, mit Netz umspannten Hollywood- Schaukel, entwickelte Michael Schwindt "RescueStar", den überdimensionalen, verkehrt herum hängenden Schirm, der sich selbst entfaltet, wenn ihn der Bordkran, aus dem nur einen Quadratmeter kleinen, runden "Schirmständer" zieht:
"...um es den Leuten an Bord möglichst zu erleichtern, das Gerät schnell aufbauen zu können."
Während einer Rettungsaktion hängt der Schirm tief unter Wasser. Nur der mit dem Kran verbundene Stil ragt heraus. An einem, um den Stil schwimmenden gut gepolsterten Rettungsring befinden sich Umlenkrollen, über die, mit Seilen entweder acht oder vier Personen ans Zentrum des Rettungsrings gezogen werden können. Dann erst zieht der Kran am Schirmstil den "Rettungsschirm" nach oben, auf dessen auftauchendem Netz die Geretteten nicht stehen können, sondern nur liegen, was ihr Überleben sichert. Ideal für die Rettung größerer Menschenmengen sei "RescueStar", weil...
"Man dieses Gerät ganz schnell rauf- und runterholen kann, wie ein Fahrstuhl. Man kann also wirklich von einer Gruppe zur nächsten fahren. Man kann dann, wenn das Schiff nicht zu groß ist und nicht zu schwerfällig ist, sehr schnell es wieder neu einsetzen. So schnell, wie man oben die Menschen raus hebt, aus dem Netz, kann man sofort hinterher mit dem Kran es wieder absenken und die nächsten hochholen."
Für die Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer sei "RescueStar" bestens geeignet. Michael Schwindt plant deswegen, für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer ein oder zwei Geräte auszuleihen, denn die sind auch für Schiffe mit hohen Bordwänden geeignet, – deren Besatzungen oft hilflose Zeugen sein müssen:
"Es hat schon viele Unfälle gegeben, wo Menschen nicht geholfen werden konnte, weil die Bereitschaftsboote wegen des Seegangs nicht eingesetzt werden konnten. Wenn man oben an Deck steht, zwölf Meter Höhe, achtzehn Meter hohe Bordwand und unten schwimmen Menschen, kämpfen um ihr Leben... Man guckt da runter... Da kann man einen Rettungsring runterwerfen, kann 'ne Leine dranbinden... aber was soll der arme Mensch da unten machen? - Soll der sich da festhalten oder was? - Spätestens, wenn er zwei Meter hochgeholt worden ist, verlasen ihn seine Kräfte. Dann fällt er wieder ins Wasser zurück."
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