Seenotretterin und Kapitänin

Was macht eigentlich Carola Rackete?

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Carola Rackete
Nach dem Rummel um ihre Person forschte Carola Rackete in Chile, Russland und Finnland. © Deutschlandradio / Luise Sammann
Von Luise Sammann · 18.09.2020
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Vor einem Jahr diskutierte Europa über das Manöver der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete, die ohne Genehmigung ein Schiff mit Flüchtlingen in den Hafen von Lampedusa gelenkt hatte. Sie wollte nicht im Mittelpunkt stehen und wurde doch zur Symbolfigur.
Sie gehe ihm "auf die Eier", sei eine "Aufschneiderin", eine "Kriminelle". So beschimpfte der italienische Innenminister Matteo Salvini die deutsche Kapitänin Carola Rackete im vergangenen Sommer. Kapitänin Rackete hatte ein Schiff mit Dutzenden Flüchtlingen an Bord gegen seine Anordnung in den Hafen von Lampedusa gelenkt.
Mehr als ein Jahr später hat ein italienisches Gericht die 32-Jährige freigesprochen, die Rechtsaußenregierung um Matteo Salvini ist abgewählt. Und auch das Sicherheitsdekret, das der Innenminister erließ, während sie mit den Flüchtlingen an Bord auf die italienische Küste zusteuerte, wird momentan nicht angewendet.
"Das heißt, im Moment ist es ein bisschen einfacher für die Schiffe, in die Häfen reinzufahren", sagt Rackete. "Was dann aber in den letzten Monaten ganz massiv passiert, ist, dass die Schiffe dann alle aufgrund von vorgeschobenen technischen Mängeln im Hafen festgehalten werden."

"Es finden täglich Menschenrechtsverstöße statt"

Die Rechnung ist einfach: Weniger Seenotrettungsschiffe auf dem Wasser – weniger neue Flüchtlinge. Und vor allem weniger Medienrummel. Italien, so meint Rackete, hat aus dem Vorfall im Sommer 2019 gelernt. Besser geworden sei deswegen nichts, wie nicht nur die dramatische Lage auf der griechischen Insel Lesbos zeigt.
"Es finden täglich Menschenrechtsverstöße statt. Auch durch die Europäische Union", so Rackete. "Und es wird immer schwieriger, den Leuten zu erklären, dass wir die Gesetze, die Konventionen, die Deutschland vor Jahren, auch nach dem Zweiten Weltkrieg unterschrieben hat, weiter einhalten müssen. Vollkommen unabhängig davon, was unsere persönliche Meinung dazu ist."
Rackete wirkt ruhig. Beantwortet Fragen mit höchster Konzentration. Entschlossen, aber nicht radikal. In Deutschland ist die Naturschutzökologin nur für einen Kurzbesuch. Seit einigen Monaten arbeitet sie für ein Renaturierungsprojekt im finnischen Karelien. Wälder, Seen, Flüsse. Berlin sei wie ein Schock, sagt sie und blickt auf die Fahrradfahrer und Autos, die eilig auf dem Kopfsteinpflaster an ihr vorbeiholpern.
Menschenansammlungen, Krach und Kameras waren nie etwas für Rackete, die seit Jahren regelmäßig auf Forschungsschiffen in die Antarktis fährt. Den Rummel um das Sea-Watch-Manöver stand sie durch. Berauscht hat sie sich nie daran:
"Die Seenotrettung ist halt ein sehr polarisierendes Thema und deswegen fand ich es persönlich schon auch anstrengend, damit verknüpft zu sein in der Öffentlichkeit. Glücklicherweise kann ich sagen, dass die Aufmerksamkeit auf mir persönlich jetzt im letzten Jahr tatsächlich sehr abgenommen hat."

Rackete zog sich zurück

Im vergangenen Jahr zog sie sich bewusst zurück, forschte in Chile, Russland und Finnland, wo sie nicht jeder auf der Straße erkennt. Auch jetzt nimmt sie ihre Tasse, setzt sich in ein ruhiges Hinterzimmer des Cafés.

Die Seenotrettung, erklärt sie dort, sei etwas, wofür sie sich hin und wieder engagiere. Auch heute stehe ihr Name noch auf einer Notfallkontaktliste der Organisation Seawatch. Ihr Herzensthema aber sei immer der Naturschutz gewesen: Renaturierung von Ökosystemen, Schutz der Artenvielfalt, Klima.
"Wir sagen, 2020 ist ein Krisenjahr", so Rackete. "Wegen Corona ist es natürlich richtig. Aber ich glaube, uns erwarten noch sehr, sehr viele Krisenjahre. Und das alles wird damit zu tun haben, was mit den Ökosystemen, was mit dem Klima ist und wie sich die soziale Ungerechtigkeit global noch verschlimmern wird. Viele Menschen in Deutschland haben ja zum Beispiel diese Idee, dass es Kindern immer besser gehen würde als ihren Eltern. Es wurde immer alles besser. Die Menschen wurden reicher und so weiter und so weiter. Diese Zukunft wird es nicht mehr geben. Diese Zukunft ist verloren."

Aufgeben kommt nicht infrage

Sie habe Freundinnen, Wissenschaftlerinnen wie sie, die in psychologischer Behandlung seien, weil sie die dramatischen Fakten über den Zustand unserer Welt in Depressionen stürzten, erzählt Rackete. Sie selbst hat für sich ein anderes Ventil gefunden: ihr umwelt- und sozialpolitisches Engagement.
"In Russland gibt es ein Sprichwort, das übersetzt sich so: Je schlimmer das Problem, desto schneller die Lösung. Ozeanversauerung, Nitratverschmutzung in den Böden, im Frischwasser, Artensterben ... Was auf uns zukommt, der Druck von außen in den Ökosystemen wird immer größer. Das wirkt sich auf die Gesellschaft aus. Und es ist ganz klar: Da werden noch viel mehr soziale Bewegungen entstehen. Je größer das Problem wird, desto mehr ist natürlich auch die Möglichkeit, dass sich gesellschaftlich etwas verändert."
Aufgeben jedenfalls kommt für Rackete nicht infrage. Auch wenn die Herausforderungen der Zukunft ungleich größer sein dürften als der polternde italienische Innenminister, der sie einst berühmt machte.
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