Seelsorge in der Coronakrise

Digitale Gottesdienste können nicht alles ersetzen

07:54 Minuten
Leere Kirchenbänke in einer katholischen Kirche
Leere Kirchenbänke gehören jetzt in der Coronakrise zum Alltag. © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Moderation: Nana Brink  · 25.03.2020
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Vielen Gläubigen fehlt in der Coronakrise derzeit der Halt, weil die gemeinsamen Gottesdienste entfallen, sagt die Journalistin Friederike Sittler. Besonders dramatisch findet sie, dass viele Beerdigungen nur noch im kleinsten Familienkreis stattfinden.
Wegen der Coronakrise fallen die Gottesdienste aus. Für gläubige Menschen fehlt deshalb ein wichtiger Ort der Begegnung. "In jeder Krise würden gläubige Menschen genau das tun: Gottesdienste feiern, in die Moschee gehen, in die Kirche gehen, in die Synagoge gehen und gemeinsam beten", sagt die Journalistin und Theologin Friederike Sittler, Abteilungsleiterin Hintergrund bei Deutschlandfunk Kultur.
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Die Journalistin Friederike Sittler ist Abteilungsleiterin Hintergrund bei Deutschlandfunk Kultur© © Deutschlandradio / Christian Kruppa
In der biblischen Tradition heiße es: "Da, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." Es sei zwar schon immer so gewesen, dass kranke oder ältere Menschen nur über das Fernsehen oder das Radio teilnehmen konnten, aber da habe immer vor Ort ein Gottesdienst stattgefunden und man sei Teil einer Gemeinschaft gewesen. Genau das entfalle jetzt.
Ein Gottesdienst sei keine gemeinsame Pflichtübung, sondern man könne sich in einer Gemeinschaft geborgen fühlen, miteinander trauern oder auch Wut vor Gott zu tragen. "Mit Gott darf der Betende auch streiten in der christlichen Tradition", sagt Sittler. Aber auch gemeinsam zu beten und zu singen sowie der religiöse Ritus gäben Menschen Halt. "Jeder vernünftig denkende Mensch weiß, das geht jetzt einfach nicht, aber dieser Halt im Glauben fehlt." Selbst im Krieg hätten sich Menschen zum Gebet versammelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei das sogar in zerstörten Kirchen geschehen.

Das Fehlen der Seelsorge

"Es entfällt auch die persönliche Seelsorge", so Sittler. Auch in den Krankenhäusern und Altenheimen seien die Seelsorger jetzt eingeschränkt. Das Digitale könne das alles nicht ersetzen. Sittler erinnert daran, dass arme Menschen vielleicht kein Geld für den Internetzugang oder die Flatrate des Mobiltelefons hätten. Wenn man immer auf das Digitale verweise, würden also möglicherweise Menschen ausgeschlossen. "Es gibt auch eine analoge Gesellschaft und die ist wichtig."
Ihr Rat: Gläubige Menschen könnten auf religiöse Lieder ausweichen oder auf klassische Musik, die in der Osterzeit komponiert worden ist. "Aber es fehlt tatsächlich dieser Trost, dieser Zuspruch."
Besonders dramatisch sei derzeit die Entwicklung bei Beerdigungen, sagt Sittler. Sie selbst sei bei einer kleinen Beisetzung wegen der Coronakrise ausgeladen worden, weil die Gemeinde nur die engsten Familienangehörigen zulassen wollte. Dabei sei es auch für Freunde und Kollegen wichtig, Abschied nehmen zu können und sich noch einmal zu erinnern. Auch den von vielen verpönten anschließenden "Leichenschmaus" finde sie wichtig. "All das entfällt." Teilweise würden Urnen jetzt gelagert und später beigesetzt. "Da fällt uns etwas in der Gesellschaft weg", sagt Sittler. "Das wird uns später auch noch beschäftigen, weil bestimmte Trauerprozesse nicht zum Abschluss geführt werden."

Ein Ausblick

Mit Blick in die nahe Zukunft, sagt die Journalistin: "Ich glaube, dass wir am Ende des Jahres eine erschöpfte Gesellschaft sein werden." Schon jetzt sei die Gesellschaft in einem merkwürdigen Zustand, in dem der eine Teil extrem verlangsamt lebend sich zurückhalte, während der andere, "systemrelevante" Teil sehr viel arbeite und komplett überfordert sei. Wenn die Krise dann eines Tages vorbei sei, dann würden alle voraussichtlich wieder in die Freiheit stürzen und versuchen, alles nachzuholen: alle Veranstaltungen, private und öffentliche Feiern, Podiumsdiskussionen. Deshalb werde man sich vermutlich zum Ende des Jahres in einer erschöpften Gesellschaft wiederfinden.
(gem)

Die Journalistin und Theologin Friederike Sittler ist Abteilungsleiterin Hintergrund bei Deutschlandfunk Kultur. Sie studierte katholische Theologie, Politik- und Kommunikationswissenschaften und absolvierte eine Ausbildung zur Journalistin. Nach dem Volontariat beim Sender Freies Berlin (SFB) arbeitete sie als Redakteurin in der Redaktion Politik, später beim Inforadio als Moderatorin, Chefin vom Dienst und Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio. Im Dezember 2002 übernahm Sittler die Leitung der Redaktion "Kirche und Religion, Hörfunk und Fernsehen" und begann als TV- und Radiomoderatorin beim rbb, wo sie die Abteilung "Gesellschaft und Religion" leitete.

Die gesamte Mittagssendung vom 25.03.2020 können Sie hier nachhören:
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