Seelenverwandt

Von Michaela Gericke |
Bekannt ist Peter Nadas vor allem durch seine Romane und Essays. Dass er ein ausgebildeter Fotograf mit wachem Blick ist, zeigt jetzt eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Bei den gezeigten Bildern spannt er einen Bogen vom Ersten Weltkrieg bis heute - und gesellt seine fotografischen Arbeiten zu denen bekannter Fotografen wie Brassai, Capa, Kertész.
Gorki war überzeugt war, alle seine Schriftsteller- Kollegen kämen aus dem Mantel von Gogol, etwas ähnliches glaubt Peter Nadas, wenn er sagt, die guten ungarischen Fotografen kämen alle aus dem "Mantel" von Rudolf Bolog. Er war Pressefotograf und prägend für die Fotografen-Generationen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Auch Nadas selbst empfindet sich als Schüler des großen Fotografen: Auf einem undatierten Foto von Balogh, entstanden zwischen 1914 und 1918, durchqueren bepackte Soldaten eine weite, einsame Schneelandschaft. Obwohl sie in Reih und Glied laufen und als Gruppe zu erkennen sind, vermittelt dieses Bild ihre Verlorenheit und Einsamkeit.

Auch André Kertész näherte sich - auf seine Weise - dem Alltag der Soldaten im Ersten Weltkrieg, abseits der Kämpfe: dicht nebeneinander sitzen vier Uniformierte unter einem Baum - über einer Latrine, mit Stroh in den Händen.

Unpathetisch, aber eindringlich, oft fast malerisch zeigen die ungarischen Fotografen Menschenbilder: versehrte, kranke Kinder, das ausgezehrte Gesicht eines Arbeiters und das von Zeit und Leid gezeichnete Antlitz einer Witwe - wie es zum Beispiel Koto Kálmán aufgenommen hat, eine der prominentesten ungarischen Fotografinnen. Peter Nadas:

"Zum Teil haben die Frauen in einem Atelier angefangen zu lernen. Zum Beispiel Eva Besnyö ... in dem Atelier von Jozsef Pecsi - das war ein Handwerk und dieses Handwerk ist wie im 19. Jahrhundert ausgebildet worden, war von Person zu Person gegangen - eine sehr persönliche Sache."

Von der sie sich ernähren konnten - sofern sie nicht als Juden oder Linke verfolgt wurden. Koto Schugar beispielsweise verbrannte alle ihre Negative und nahm sich 1943, 33-jährig, das Leben, einige der ungarischen Fotografen flohen zu Beginn der 30er Jahre vor der faschistischen Diktatur. Etliche blieben eine Weile in Berlin und mussten schließlich weiter fliehen. In Holland, Frankreich oder den USA wurden einige von ihnen bekannt durch ihre Foto-Reportagen oder auch experimentelle Aufnahmen. Seelenverwandt fühlt sich Nadas mit den bedeutenden Fotografen durch seinen sensiblen Blick auf Menschen und Dinge. Er ergänzt die Arbeiten der ungarischen Fotografen auf jeder Ausstellungswand durch eigene Aufnahmen. Zwar war er nicht - wie Balogh, Kertész oder Capa - direkt an der Front, aber er hat mit der Kamera die Nähe zu Menschen an anderen Orten gesucht. Das Foto eines Paares in der Geisterbahn - sie ängstlich, er neugierig, aufgeregt und in der Geste des Beschützers - hängt in der Nähe einer Aufnahme vom fliegenden Karussel, wie Capa es aus der Froschperspektive festhielt. Peter Nadas arbeitete nach seiner Ausbildung zum Fotografen und Journalisten in den 60er Jahren für eine ungarische Illustrierte mit den damals üblichen Einschränkungen. Das Bild einer traurigen Familienszene - ein schmutziges, halbnacktes Kind vor einem Haus - ein Mann und eine Frau stehen ernst in der Tür - hat er zum Beispiel nie veröffentlichen können.

"Weil so ein Elend durfte im Sozialismus nicht herrschen. die Bilder mussten eigentlich nicht gemacht sondern inszeniert werden. Ich schaffte nicht, aus einer Realität eine andere zu machen und ich dachte, ich bin untalentiert und ich muss aufhören und ich habe aufgehört."

Acht Jahre hatte Peter Nadas Publikationsverbot - als Fotograf und als Autor. Aber er hat das Fotografieren nie aufgegeben. Heute beschreibt er sich so:

"Ich bin ein Schriftsteller, der fotografiert. Ich bin kein Fotograf, ich bin fotografisch ausgebildet, ich habe all Dinge, was zu lernen ist, gelernt, aber ich bin ein Schriftsteller."

Als Kurator dieser Ausstellung zeigt Nadas, was für ihn gute Fotografie bedeutet. Ob es Menschen sind oder eine marode Hauswand, oder ein Baum, es geht um ein Empfinden dem Motiv gegenüber:

"Es bleibt eine Art, wie Matisse sagt, dass ein Baum so gemalt werden kann wie in der schule und kann mit Gefühl gemalt werden. - Was in dieser Art von Fotografien da ist, das ist immer mit Gefühl gemacht. "

Der Baum: ein Motiv des großen Meisters Rudolf Balogh. Und eines für Peter Nadas: über ein Jahr lang hat er aus immer derselben Perspektive die prächtige Wildbirne in seinem Garten außerhalb von Budapest aufgenommen. Einen ganzen Raum bespielt Nadas mit dem Ergebnis aus dem Jahr 2001. Einige klassische Schwarz-Weiß-Fotos hängen der mehrteiligen Arbeit aus über 500 farbigen Polaroids gegenüber. Nadas’ malerische Aufnahmen von nackten Ästen bis hin zur üppigen, schweren Baumkrone, die bis ans grüne Gras reicht, ist eine poetische Metapher über Leben und Sterben, ganz im Stil des Literaten Peter Nadas.

Service:
Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 29. August im Martin Gropius-Bau.
Das Begleitbuch zur Ausstellung ist bei nicolai erschienen und kostet 14,90 Euro.