Seeheimer Kreis unterstützt Gabriels Thesen

Der konservative Seeheimer Kreis der SPD hat sich hinter die Forderung des designierten Parteichefs Sigmar Gabriel nach einer Überprüfung der eigenen Parteistrukturen gestellt. Es sei richtig, insbesondere die Kommunikation innerhalb der SPD zu hinterfragen, sagte der Sprecher des Seeheimer Kreises, Klaas Hübner.
Marcus Pindur: Führungslos, orientierungslos, kraftlos – der Zustand der einstigen Volkspartei SPD erscheint vielen derzeit bemitleidenswert. In der Opposition will sie sich berappeln – aber wie? Der designierte neue Vorsitzende Sigmar Gabriel will die Genossen wieder richtig aufstellen und aufbauen. Von unten nach oben müsse die Meinungsbildung wieder gehen, so Gabriel in einem Brief an die Mitglieder. Die Parteispitze habe die Mitglieder in der Vergangenheit zu wenig einbezogen. Wir wollen jetzt mit Klaas Hübner reden, er ist einer der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD. Guten Morgen, Herr Hübner!

Klaas Hübner: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Sigmar Gabriel will dem abhelfen mit einer Strukturreform. Das hört sich nach Organisationsreform an. Ist das das wichtigste Problem der SPD?

Hübner: Ich glaube, es ist schon ein Problem der SPD, dass sie einmal eine ehrliche Analyse machen muss, wie wir in Regierungszeiten aufgestellt waren, und wir müssen fairerweise zugeben, dass man sich in Oppositionszeiten auch anders aufstellen muss. Und zum Teil ist schon der Eindruck entstanden, dass wir in den Regierungszeiten zunehmend eine Funktionärspartei gewesen sind, wo vor allem die Funktionäre auf Parteitagen, die Linie mitbestimmt haben und weniger vor Ort von Kommunalpolitikern, von den Erfahrungen profitiert hat, die unsere Kommunalpolitiker vor Ort machen. Wir müssen ja auch feststellen, dass wir auch in den Kommunen dort ja an Stimmen verloren haben. Deswegen ist, glaube ich, der Weg richtig, zu überlegen, ob die Kommunikation in der SPD so momentan noch richtig sein kann, denn die Ergebnisse der Vergangenheit sprechen ja nicht unbedingt dafür.

Pindur: Funktionäre geben in allen Parteien den Ton an. Die Klage, es gebe zu wenig Meinungsbildung von unten nach oben, ist das nicht ein bisschen wohlfeil?

Hübner: Nein, man muss ja wirklich ehrlich sagen, dass wir in Regierungszeiten, wo Sie sehr viel offensiv von oben nach unten machen müssen, weil Sie ja als regierende Partei natürlich auch in der Handlungssituation, im Handlungsdruck sind, eine andere Ausgangsposition haben als in einer Opposition. Und es macht uns schon Sorgen, dass wir gerade auch in der Vergangenheit in den Kommunen sehr, sehr stark verloren haben. Das heißt, wir haben offensichtlich nicht mehr diese Bindung an unsere Wähler, die wir früher gehabt haben. Wenn dann Sigmar Gabriel versucht, einen Prozess anzustoßen, um darüber nachzudenken, woran das dann liegt – und zwar ist das mal relativ wertfrei und ideologiefrei, was die Flügel anbelangt –, dann finde ich das erst einmal richtig.

Pindur: Hat denn die Parteiführung in der Vergangenheit zu wenig für die eigenen Positionen geworben in der Mitgliedschaft, insbesondere in Bezug auf die Agenda 2010?

Hübner: Nein, ich glaube schon, dass die Parteiführung dafür sehr stark geworben hat, aber wir müssen auch konstatieren, dass die Agenda 2010 nicht von allen Parteiteilen wirklich angenommen worden ist. Das ist eins unserer großen Probleme gewesen in der Kommunikation, dass wir sie nicht einheitlich vertreten haben nach außen. Und das kann man sich in Oppositionszeiten gar nicht erlauben. Da muss man sich ja wirklich von unten wieder neu berappeln, da müssen wir uns in einem möglichst breiten Konsens darstellen, das braucht dann aber auch einen breiten Dialog mit der Basis.

Pindur: Wenn Sie sich neue Zielgruppen auch erschließen wollen, möglicherweise auch neue Mitglieder, wo wollen Sie denn dann hinsteuern? Wollen Sie die der Linken abspenstig machen oder wollen Sie die links im Zentrum suchen?

Hübner: Ich persönlich glaube, dass die Bindung der Wähler auf die einzelnen Parteien und politischen Strömungen bei Weitem nicht mehr so hoch ist wie früher, es ist deutlich volatiler geworden. Deswegen muss es für uns gar nicht die Frage sein, in welchem politischen Spektrum wir fischen wollen. Wir haben in allen Spektren verloren, das heißt, wir müssen versuchen, insgesamt wieder interessanter zu werden als Partei. Die Menschen entscheiden sich heute viel spontaner und viel unterschiedlicher auch, welche Partei sie bei welcher Wahl wählen wollen, deswegen gibt es nicht eine einzige Zielrichtung, die Erfolg versprechend sein kann. Wir haben in alle Richtungen verloren, müssen auch in allen Richtungen wieder zurückgewinnen.

Pindur: Aber aus vielen Ecken der Partei erschallt der Ruf nach der Demontage der Agenda 2010. Ist das der richtige Weg?

Hübner: Nein, das halte ich für grundfalsch. Man kann nicht einfach nur die Schilder wieder abmontieren, die man selber mal gesetzt hat. In meinen Augen ist die Agenda sehr erfolgreich gewesen, wir haben nicht den Mut gehabt in der Vergangenheit, das entsprechend zu kommunizieren. Auf der anderen Seite, will ich selbstkritisch einräumen, dass nicht alles auch nur hundertprozentig richtig war – es gab auch sicherlich Details, die man hätte besser korrigieren können, denken Sie an das Schonvermögen bei Hartz IV. Insofern muss man sich da auch selbstkritisch dann in einigen Details stellen, aber im Grundsatz war die Agenda 2010 richtig. Jetzt davon Abstand zu nehmen, würde die Menschen noch weiter verwirren, glaube ich.

Pindur: Ist Sigmar Gabriel der Richtige, um an der Basis zu werben, denn er gehörte nun lange Zeit auch zum Establishment der Sozialdemokraten?

Hübner: Zumindest ist Sigmar Gabriel jemand, der eine sehr klare Sprache spricht, der durchaus auch provozieren kann, wie Sie an diesem Brief gemerkt haben, damit auch in der Lage ist, Diskussionsprozesse überhaupt erst mal in Gang zu bringen. Ich glaube, dass das eine ganz erfrischende Art ist, die er dort hat, und insofern kann ich mir gut vorstellen, dass der ein guter Parteivorsitzender für uns ist.

Pindur: Die Erwartungshaltung vieler SPD-Mitglieder ist ja sehr strukturkonservativ, sozialkonservativ, sie wollen keine sozialen Einschnitte, der Umbau des Sozialstaates stellt für sie ein großes Problem dar. Zahlt die SPD heute vielleicht die Rechnung für die in den 70er-Jahren ins fast Unermessliche gestiegenen Erwartungen an den Sozialstaat?

Hübner: Ich glaube, da sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an. Wir haben in der Mitgliedschaft, die in den 70er-Jahren eingetreten ist, wo wir die Hochzeit hatten der SPD-Mitgliedschaft, haben wir heute noch viele Menschen, die nicht verstehen, dass die Rezepte der 70er-Jahre heute nicht mehr greifen können. Das ist in der Tat wahr. Und ich stelle aber fest bei jüngeren Mitgliedern, die da durchaus sehr viel offener sind, die durchaus wissen, dass wir unsere Sozialsysteme anders strukturell finanzieren müssen, auch im Sinne einer Generationengerechtigkeit. Das ist ein Konflikt, den wir austragen müssen in der Partei, denn die Antworten der 70er-Jahre können nicht mehr die Antworten von heute sein. Das ist ein schmerzlicher Prozess auch für die Partei, aber wir müssen ihn führen, um ihn auch dann nachher gemeinsam nach außen vertreten zu können.
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