SED gegen Kirche

Von Ralf Geißler |
Vierzig Jahre SED-Herrschaft haben Ostdeutschland weitgehend entchristianisiert. Nur sehr wenig Jugendliche beteiligen sich in diesen Tagen wieder an Firmung und Konfirmation. Bei der Jugendweihe ist die Nachfrage hingegen ungebrochen. Sehr zum Ärger der Kirchen. Heute vor 50 Jahren fand die erste DDR-Jugendweihe statt.
Sprecher: "Liebe junge Freunde! Seid Ihr bereit, als junge Bürger unserer Deutschen Demokratischen Republik mit uns gemeinsam getreu der Verfassung für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen? So antwortet: Ja, das geloben wir."
Jugendliche: "Ja, das geloben wir. "
Jugendweihe-Gelöbnis in der DDR: Auf der Bühne kratzte der viel zu große Anzug aus Polyester. In der ersten Reihe applaudierte der strenge Staatsbürgerkunde-Lehrer. Und dahinter im Saal saß Papa und knipste mit der EXA. Man versprach der DDR seine Treue, erhielt Geschenke und war plötzlich erwachsen. Der Ritus gehörte jahrzehntelang zum ostdeutschen Alltag. Doch er war keineswegs eine Erfindung der DDR. Die Jugendweihe entstand bereits vor mehr als 150 Jahren als Alternative zu Konfirmation und Firmung.

Wolfgang Ratzmann: "Und es gab zunächst die ersten Jugendweihen in kirchlichem Rahmen in einem dann stärker freireligiösen Rahmen als eine Art freireligiöse Handlung. "

Wolfgang Ratzmann, Theologie-Professor aus Leipzig.

Ratzmann: "Und nun kommt eine zweite Entwicklungsphase hinzu. Die Sozialdemokratie, die Arbeiterbewegung - unter denen gab es dann zunehmend gegen Ende des 19. Jahrhunderts Personen, die sich dem kirchlichen Ritual wegen ihrer wachsenden ideologischen Gegnerschaft entziehen wollten. Und die dann die Jugendweihe zu einem sozialistischen, proletarischen Ritual ausgeformt haben. "

Die SED berief sich auf diese Tradition, als sie vor fünfzig Jahren die erste Jugendweihe der DDR veranstaltete. Die Idee dazu kam den DDR-Oberen nach dem Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953. Man suchte ein Mittel, die Jugend auf Loyalität einzuschwören. Außerdem wollte die SED den Einfluss der Kirchen zurückdrängen.

Otto Grotewohl: "Unsere Regierung gehört zur Jugend. Und unsere Jugend gehört zur Regierung. "

So sah es Ministerpräsident Otto Grotewohl. Dank SED-Propaganda und staatlicher Förderung stiegen die Teilnehmerzahlen der Jugendweihe schnell. Bereits Mitte der sechziger Jahre nahmen fast 90 Prozent der Achtklässler daran teil. Die Kirche bekam Nachwuchs-Sorgen. Das lag allerdings auch an ihr selbst. Die meisten Landeskirchen verlangten von allen Jugendlichen eine klare Entscheidung: entweder atheistische Jugendweihe oder Konfirmation. Das Problem: Auf die Jugendweihe konnte man als DDR-Schüler nur mit viel Zivilcourage verzichten.

Ratzmann: "Also wer nicht zur Jugendweihe ging, musste damit rechnen, dass er nicht zur Oberschule kommt. Wer nicht zur Erweiterten Oberschule gehen konnte, für den war das Studium dann weithin ausgeschlossen. Und es konnte auch bestimmte Repressalien geben gegen Eltern in Betrieben, die an irgendeiner verantwortlichen Stelle saßen. "

Umso erstaunter waren vor allem Kirchenvertreter, als nach der Wiedervereinigung die Jugendweihe weiterlebte. Noch heute nehmen mehr als 60 Prozent aller ostdeutschen Achtklässler daran teil.

Theres Waldbauer: "Also, ich habe ein richtiges Jugendweihekleid gehabt, das man auch wirklich nur noch zu Hochzeiten anziehen kann. Ansonsten kann man das nicht anziehen, weil es wirklich zu festlich ist. "

Theres Waldbauer aus Leipzig erinnert sich an ihre Jugendweihe vor einem Jahr. Frühmorgens traf sie sich mit ihren Klassenkameraden in einem großen Festsaal. Es gab für alle eine rote Rose, ein Buch und ein Kulturprogramm.

Waldbauer: "Also das Programm war ein bisschen fragwürdig, also das war nicht so toll. Da haben halt Leute getanzt und so ein Typ hat eine Rede gehalten und die war na ja. Ich verstehe mal die Jugend - so war die gemacht. "

Aus Theres’ Klasse haben vergangenes Jahr fast alle Mitschüler an der Jugendweihe teilgenommen. Nur ein einziger hat sich für die Konfirmation entschieden. Da verwundert es kaum, dass die Kirche die Jugendweihe immer noch kritisch sieht.

Christian Wolff: "Jugendweihe ist mit Verlaub gesagt nichts weiter als die Weihe der Belanglosigkeit. "

Christian Wolff, Pfarrer der Leipziger Thomaskirche.

Wolff: "Also ich empfinde es als peinlich, dass man letztlich die Jugendlichen nicht ernst nimmt. Allein schon wie das ganze gestaltet wird: Für 97 Euro vier Eintrittskarten für die ganze Familie. Das ist im Grunde genommen lächerlich. "

Organisiert werden die Jugendweihen von den Landesverbänden des Vereins Jugendweihe Deutschland. Auch für dieses Frühjahr haben sie zahlreiche Festsäle gemietet. Nächste Woche beginnen die ersten Veranstaltungen. Bereits jetzt finden freiwillige Kurse statt. Sie sollen auf das Leben als Erwachsener vorbereiten. Ute Hohlfeld ist Leipziger Regionalbeauftragte des Jugendweihe-Verbandes. Sie erzählt, das größte Interesse gebe es dieses Jahr am Knigge-Kurs: ein praktischer Lehrgang mit Drei-Gänge-Menü.

Ute Hohlfeld: "Die Frau Lehmann von der Koch- und Knigge-Schule erzählt dann den Jugendlichen, wie man sich zunächst an den Tisch setzt, wie man die Serviette legt, wie man die Serviette benutzt, wie man Besteck benutzt, wie man bestimmte Dinge isst, wie man das Glas anfasst und so weiter. Was sie dann natürlich auch bei der Jugendweihe verwenden können. "

Bei der Jugendweihe kann jeder mitmachen - egal, welcher Religion er angehört. Bei der Kirche ist das immer noch anders. Die meisten Pfarrer schließen eine gleichzeitige Jugendweihe mit der Konfirmation nach wie vor aus. An dieser strengen Haltung gibt es innerhalb der Kirche durchaus Kritik. Denn im Osten ist die Jugendweihe zur Tradition geworden. Die meisten Ostdeutschen sehen in der Veranstaltung nicht das sozialistische Ritual aus DDR-Zeiten, sondern schlicht eine Familienfeier mit Kulturprogramm.