Sebastião Salgado

Sozial engagierte Fotografie

Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado vor einem seiner Bilder - hier bei einer Ausstellung in Barcelona
Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado vor einem seiner Bilder © dpa / picture alliance / Andreu Dalmau
Von Aishe Malekshahi · 16.04.2015
Sebastião Salgado zählt zu den besten Fotografen. Nun kommt seine Ausstellung "Genesis" nach Berlin. Zu sehen sind 250 Fotografien von unberührten Naturlandschaften sowie vom Leben der Nomaden und der indigenen Völker.
Hinter einer strahlendblauen Ladenfront in einem vornehmen Altbau befindet sich Sebastião Salgados Studio Amazonas Images, idyllisch am Kanal Saint Martin gelegen. An den Wänden des ebenerdigen, großzügigen Studios hängen unzählige Fotografien und Plakate von vergangenen Projekten und Ausstellungen. Und jetzt also "Genesis".
Auf einem Buchständer liegt die sogenannte "Sumo"- Größe des jüngsten Fotobandes, 46,8 mal 70 Zentimeter. Die aufgeschlagene, riesige Doppelseite zeigt das Profil eines alten Mannes, der zu den brasilianischen Ureinwohnern vom Stamm der Zo'é zählt. Sein Haupt schmückt ein Tierfell, auf seiner Schulter hockt ein kleiner Affe.
Salgado: "Ich hatte den Wunsch, diese Gruppen zu besuchen, die manch einer als primitiv bezeichnet - was sie aber nicht sind. Sie sind pur und noch nicht korrumpiert durch die westliche Gesellschaft, und sie zu treffen, das war der leichteste Part in meiner Arbeit. Die Menschen, die ich da fotografiert habe - unterscheidet nichts von den Menschen, die vor 10.000 Jahren bereits gelebt haben. Sie sind wie ich, sie sind genauso klug wie ich!"
Seine jüngste Foto-Serie hat Sebastião Salgado nach dem ersten Buch der Bibel benannt, Genesis – die Schöpfung. Erstaunlich für jemanden, der kein gläubiger Mensch ist:
"Ich bin kein gläubiger Mensch. Aber Genesis ist für mich ein Begriff mit einer großen Bedeutung. Die Religion hat ihn benutzt, um etwas zu benennen und auch ich benutze dieses Wort, um etwas genau zu benennen.
Für mich war es genau der richtige Begriff, um aller Anfang zu erfassen. den Beginn der Natur zu verstehen und die Zerstörung dieser Landschaften durch die Menschheit. Aber es gibt noch die unberührte Natur! 46 Prozent auf unserem Planeten zählen noch zu diesen Landschaften, die genauso aussehen wie zu Beginn der Schöpfung."
Sein Genesis-Projekt als "Therapie"
Genesis stellt eine Zäsur im Werk von Sebastião Salgado dar: Fast 40 Jahre lang hat der brasilianische Fotograf Kriege, Hungerkatastrophen ebenso fotografiert wie die weltweite Ausbeutung von Arbeitern oder die Wanderbewegungen von Migranten. Legendär sind seine Aufnahmen aus Serra Pelada: Wie Ameisen bevölkern brasilianische Goldsucher eine Mine, steigen an fragilen Strickleitern den Berg hinab.
Halbnackte Männer in Shorts, die ihre Säcke geschultert haben und sich auf jeden ihrer einzelnen Schritte konzentrieren. Seine Bild-Reportagen in Zeitschriften wie Stern oder GEO haben Generationen geprägt, nicht nur Fotografen. Doch dann folgte - Mitte der 1990er-Jahre - ein physischer und psychischer Zusammenbruch:
"Ich habe mein ganzes Leben lang nur ein Tier fotografiert, uns selbst. Dann wurde ich - im Herzen von Europa, im früheren Jugoslawien und in Afrika, in Ruanda mit einer Gewalt konfrontiert, die so unglaublich grausam, so gewalttätig war – dass ich von diesen Ereignissen schwer erschüttert wurde."
Man könnte das Genesis-Projekt als Salgados "Therapie" bezeichnen durch das er wieder Kraft fand. Er fotografiert in seinem ganz bewährten Stil: Durchkomponierte Naturaufnahmen, klassische Bildaufteilung, feine Grauabstufungen, das Licht ist meisterhaft gesetzt. Natürlich hat er Kritiker, die seine Bilder zu schön, zu ästhetisch finden, unabhängig davon, ob er das Leid von Flüchtlingsfrauen zeigt oder beeindruckende Berglandschaften.
Am Küchentisch des Pariser Studios sagt Sebastião Salgado:
"Diese Diskussionen um meine Kompositionen, um mein Licht –ich kann nur sagen, ich kann nicht anders arbeiten. Das ist meine Art zu fotografieren. Ich komme aus einer Gegend da gibt es genau dieses Licht, dass sich so oft in meinen Aufnahmen findet.
Ich wuchs in einer Gegend von Brasilien auf, in der - während der Regenzeit - man diesen wahnsinnigen Himmel, dieses Licht beobachten konnte. In Minas Gerais, wo ich her komme, wo auch die Goldminen sind und diese Berge, das ist eine sehr barock-geprägte Gegend, geprägt vom Erbe der Portugiesen. Dies hat mich sehr beeinflusst und auch meine Fotografie. Ja, sie ist in gewisser Weise barock!"
Manche Fotografien aus der Serie "Genesis" sind allerdings durchaus kritisch zu betrachten. Zum Beispiel Sebastião Salgados Sicht auf die indigenen Völker. Das Porträt einer halbnackten, sich räkelnden Himba-Frau, die die Rinderherde des Stammes hütet. Ist es hier der Blick eines weißen, älteren Mannes auf eine junge, wunderschöne Afrikanerin? Ist es Kitsch, Sexismus oder Exotik?!
Vielleicht. Dennoch finden sich auch hier Meisterwerke wie die Fotografie, die einen barfüßigen Äthiopier zeigt, der gestützt auf seinen Stab einen Weg entlanggeht. Im Hintergrund – nur in Tücher gehüllt, drei weitere Personen. Biblische Gestalten. Es ist Sebastião Salgados Reise – wie er es selbst nennt - durch das Alte Testament.

Die Ausstellung "Genesis" ist im Museum C/O Berlin – im früheren Amerikahaus – zu sehen. Sie wird bis zum 16. August gezeigt.