Sea Shepherd in Ostsee unterwegs

Zahme Meeresschützer retten Schweinswale

Die Sea-Shepherd-Besatzung zerschneidet illegal ausgelegte Netze.
Die Sea-Shepherd-Besatzung zerschneidet illegal ausgelegte Netze. © Deutschlandradio / Nicole Graaf
Von Marko Pauli |
Die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd ist bei ihren Aktionen nie zimperlich vorgegangen: Seit ihrer Gründung wurden diverse Walfangschiffe gejagt und sogar versenkt. Derzeit sind die Tierschützer zur Rettung von Schweinswalen unterwegs - und das ungewohnt friedlich.
Im Yachthafen von Maasholm, gut 50 Km von Flensburg entfernt: Junge Männer und Frauen klettern vom Holzsteg auf die gut elf Meter lange Emanuel Bronner, das neue Ostsee-Patrouillenboot der Schutzorganisation Sea Shepherd - grau, schwer, stabil sieht es aus.
"Ja, wir sind startklar. Los, rauf!"
Schiffskapitän Borris Plautz, athletisch, groß, die Einsteigenden locker um einen Kopf überragend erklärt, dass es raus zu einem Schiffswrack gehe. Könnte sein, dass sich da Schweinswale auf der Jagd nach Dorschen aufhalten, außerdem lasse sich dort das Beobachtungsinstrument des Schiffes testen.
"Steuerbord und Backbord hast du große Scanner, die den Untergrund dreidimensional darstellen können. Das ist ne ziemlich coole Geschichte, ist dieses Jahr erst auf den Markt gekommen."
Als die Bronner die im Hafen liegenden Yachten passiert, schauen die dort gerade Frühstückenden neugierig auf, sie sehen die einheitliche schwarze Kleidung der zwölfköpfigen Crew und das überall präsente Sea Shepherd-Totenkopf-Logo. Was haben die wohl vor? scheinen sie sich zu fragen.
ARCHIV - Ein Schweinswal schwimmt am 31.07.2004 im Fjord-Belt-Sealand im dänischen Kerteminde. Rund 250 000 Schweinswale leben in der Nordsee, und mit etwas Glück lassen sich demnächst viele Tiere an der Küste bei Wilhelmshaven beobachten.
Ein Schweinswal im Fjord-Belt-Sealand in Dänemark© Ingo Wagner/dpa
Nicht lange dauert es - der Hafen von Maasholm ist noch zu sehen – da stoppt Borris Plautz den Motor. Einer hat was gesehen - Schweinswale! Gespanntes Verharren auf der Stelle, alle halten Ausschau.
"Wie weit denn weg? 15 Meter, 20 Meter". "Sind da Jungtiere bei?"
Ab und zu zeigt sich für einen kurzen Moment tatsächlich eines der Tiere.
"Da war wieder einer!" "Wo?" "Auf ein Uhr"
In gekrümmter Haltung ist glänzend der gleich wieder abtauchende Körper zu sehen. Wie ein kleiner Delphin sieht der Schweinswal aus, etwa 1,50m groß. Ein faszinierender Moment, dieses Tier zu sehen, den einzigen Wal, der vor deutschen Küsten lebt.
"Gut. Gemeldet."
Wo ist das jetzt gemeldet?
"Bei Ostsee-Tiere-App. Das ist für so’n Institut in Rostock, die verarbeiten die Routen der Tiere und wieviele." "Dann wolln wir die auch in Ruhe jagen lassen."

Hat der Fischer einen Schweinswal im Netz?

Weiter geht die Fahrt, bis auf offener See das Wrack erreicht ist. Obwohl schon stark versandet, arbeiten die neuen Scanner so gut, dass die Umrisse des vor langer Zeit gesunkenen Schiffes klar auf dem Bildschirm zu erkennen sind.
"Der scannt sogar ein bisschen in den Sand rein, siehste die Metallteile. Wir testen das jetzt einfach, damit wir später an den Netzen noch besser arbeiten können."
Laut der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover leben in der westlichen Ostsee noch etwa 40.000 Schweinswale, die Organisation Sea Shepherd geht dagegen von nur noch zehn- bis zwölftausend Tieren aus. Lärmbelästigung, Umweltverschmutzung und vor allem die Stellnetzfischerei gelten als Gründe für die schwindende Population. Deshalb will die Organisation Sea Shepherd möglichst häufig direkt an den Netzen sein und wenn nötig eingreifen.
"Wir würden gucken, bewegt sich das Tier. Wenn ja, würden wir nen Taucher hinschicken und das Tier rausschneiden. Da wär mir die Sachbeschädigung egal. Das Leben von dem Tier geht vor allem anderen."
Wirtschaftlicher Schaden wird offenbar im Zweifel in Kauf genommen, ansonsten spricht sich die Organisation ausdrücklich gegen Gewalt aus. Doch die Chancen, eines der Tiere aus einem Netz zu retten sind ohnehin gering. Wenn sich der Wal verfängt und nicht mehr zum Atmen an die Oberfläche kommen kann, würde er binnen kurzer Zeit verenden. Dass das tatsächlich häufig vorkommen könnte, wird kurze Zeit später klar, als alle beobachten, wie ein Fischer sein Stellnetz in der Nähe des Wracks ins Wasser lässt. Beim anschließenden Abmessen mit der Bronner ergibt sich eine Länge von 600 Metern feinmaschigem Netz.
"An Bord haben die meistens sechs Kilometer Netz. In Maasholm liegen glaub ich sechs aktive Fischer, da kommen schon ein paar Km zusammen."
Sollte ein Fischer einen verendeten Schweinswal im Netz haben, ist er eigentlich dazu verpflichtet, das den Behörden zu melden, das geht sogar anonym. Doch es wurden schon einige Tiere an Land gespült, die Anzeichen aufwiesen, dass sie einfach über Bord geworfen wurden. Die Dunkelziffer ist hoch. Deshalb will Borris Plautz morgen früh wieder vor Ort sein und selber schauen, ob der Fischer einen Schweinswal im Netz hat.
"Ich denke mal, wenn wir da sind und das sehen, wird er das Ding nicht über Bord werfen, beschweren oder Löcher in den Körper reinschlitzen, damit er abtaucht . Das wird er bestimmt nicht tun, weil dann hat er richtig Shitstorm am Hintern. Das passiert. Das machen die halt, um die nicht mit an Land nehmen zu müssen. Das ist halt’n Aufwand für die. Es viel natürlich viel einfacher, Tampen rum, ab ins Wasser, tschüß."
Mit an Bord ist der 22-jährige Raphael Cortes, er war schon bei weltweiten Sea Shepherd-Kampagnen dabei, zuletzt vor Westafrika, wo die Organisation gegen illegale Thunfisch-Fischerei vorgegangen ist.

Keine Erholung der Population wegen Fischfang

"Auch der Beifang ist höher. Wir hatten Walhaie, Wale, Delphine, Schildkröten, Haie. Gerade bei den geschützten Walhaien konnten wir die Netze zerschneiden und die Tiere daraus befreien. Eins dieser Schiffe, die das Netz mehrmals am Tag auswerfen - die hatten von einmal Auswerfen nen Beifang von über 100 Haien, alle tot natürlich."
Während Sea Shepherd früher ohne großes Zögern Walfangschiffe beschädigte oder gar versenkte, versucht die Organisation heute eher in Zusammenarbeit mit Behörden und Regierungen ihre Ziele zu erreichen, so wie z.B. vor Gabun. Wie die anderen Sea Shepherd-Aktiven ist auch Raphael Cortes unentgeltlich dabei, zieht mit den immer wieder wechselnden Freiwilligen von einem Ostsee-Caravan-Camp zum nächsten. Seine Motivation:
"Allgemein weil ich finde, dass es wichtig ist, Arten und Tiere in unserer Umwelt so zu erhalten, dass auch die Nachwelt noch das erleben kann, was wir heut erleben. Wenn wir in Afrika nen Walhai aus dem Netz schneiden wird sich die Welt dadurch nicht verändern, aber für den Walhai wird sie sich in dem Moment verändern. Und allein das reicht mir schon, um zu sagen, ich will dahin gehen und dafür was machen."
Auf der Ostsee sucht die Emanuel Bronner gerade einen Küstenstreifen ab, den Kapitän Borris Plautz noch aus Kindheitstagen kennt. So viele Schweinswale seien hier herum geschwommen, heute findet sich hier kein einziger mehr. Es müsse endlich ein Umdenken unter den Fischern stattfinden, ist seine Forderung. Wenn die Bestände sich erholen würden, könnten sie z.B. Whale-Watching-Touren anbieten, dafür müsste aber erstmal ein radikaler Schnitt gemacht werden.
"Im Grunde genommen fünf Jahre komplett Fischfang verbieten, das die Population sich erholen kann. Dann sollen die Fischer für die Zeit ne Ausgleichszahlung bekommen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann kannste die Uhr nach stellen, dass das irgendwann leer ist."
Mehr zum Thema