Science-Kitchen

Wie uns die Physik beim Kochen und Genießen hilft

David Marx von der Science Kitchen Berlin mit seinem Eis
David Marx von der Science Kitchen Berlin mit seinem Eis © Deutschlandradio / Elmar Krämer
Von Elmar Krämer · 13.04.2017
Wie wollen wir essen, wie kochen? Immer wieder gibt es Trends, die uns neue Wege zeigen: Molekularküche, Modern und Minimal Cuisine, die Physik des Kochens. Wir haben David Marx, Gründer der Science-Kitchen in Berlin, getroffen.
"Unser Food Lab beschäftigt sich eigentlich mit allem, was mit Essen in Zukunft zu tun hat. Wir kommen auch aus der Molekularküche, heute nennt man das minimal Couisine oder Avantgarde Couisine. Und das ist auch sehr wichtig, weil die Molekular Küche hat eine neue Komponente mit in die Küche gebracht, und das ist die Optik. Das heißt, wir können jetzt auch als Designer, der ich ja auch bin, ein Food Designer, können wir jetzt Essen ganz anders inszenieren, und das hilft uns auch, neue Produkte zu erfinden."
Zum Beispiel Eis. Kyl21 nennt David Marx das Aushängeschild seiner Science-Kitchen, ein Eis am Stiel, das schon durch seine Form aus dem Rahmen fällt. Das Eis aus dem Food-Lab in Berlin hat eine pyramidenförmige Grundstruktur und ist sehr geometrisch aufgebaut.
"Da haben wir fünf Jahre daran gearbeitet. Das ist wirklich so, als würde man das Rad neu erfinden müssen. Und da war mir ganz schnell klar, nachdem ich das Design festgelegt hatte, wieder typisch Designer, das habe ich wieder zuerst gemacht, und dann hab ich erst festgestellt, jetzt wird’s wirklich schwer, weil ich konnte mit den bestehenden Rezepturen, die es auf dem Markt gab, die seit 100 Jahren gebraucht werden, überhaupt nichts anfangen."

Wenig Fett und Zucker, viel natürlicher Geschmack

Um ein Milcheis am Stiel im normalen Einfrierprozess cremig zu halten, wird Sahne, Ei und Zucker in die Rohmasse gemischt – aber genau das wollte David Marx nicht, er wollte wenig Fett, wenig Zucker und dafür viel natürlicheren Geschmack.
"Ich wollte auch die Qualität am Stiel haben. Und da war mir schnell klar, wo jetzt hol dir mal einen Nahrungswissenschaftler an Bord, der dir hilft, den Prozess besser zu verstehen, alleine den Prozess des Gefrierens in dem Fall."
Die Eismasse wird in der Science-Kitchen mit flüssigem Stickstoff schock-gefroren. So bleibt das Eis auch ohne viel Fett und Zucker cremig und auch die natürlichen Aromen z.B. aus Früchten kommen besser zur Geltung.
Der Einsatz von flüssigem Stickstoff ist in der sogenannten Molekularküche weit verbreitet. Er bietet auch interessante Möglichkeiten, Früchte als gestalterisches Element einzusetzen. Brombeeren zum Beispiel:
"Die Brombeeren werden in flüssigem Stickstoff getaucht - gefrieren dort so schnell, dass das Wasser, und das ist das Entscheidende, in der Zelle erst gar keine Möglichkeit bekommt, sich auszudehnen und vor allem auch dabei die Zelle zu zerstören. Und auch die Zellwände zu zerstören. Und dann ist die Brombeere so tiefgefroren bei minus 196 Grad. Dann kann man die relativ einfach zerdrücken, und dann hat man diese einzelnen Facetten einer Brombeere gelöst voneinander und kann die jetzt wieder neu inszenieren. Man kann sie direkt auf den Teller legen, oder man rührt sie zum Beispiel in Joghurts ein, die man später serviert und dann hat man die Einzelnen wie so schwebende blaue Elemente im Joghurt, aber ohne dass man sie zerquetscht hat."

Zum Essen gehört auch Design

Für den Designer David Marx gehören zum Essen nicht nur gute Zutaten, sondern auch die ausgeklügeltsten Zubereitungsmethoden, um den bestmöglichen Geschmack und ungewöhnliche Verbindungen von Aromen in den Mund und zuvor, so ansehnlich wie möglich, auf den Teller zu bringen. "Und so bin ich auch als Designer daran gekommen, dass ich optisch was verändern wollte und nicht wusste wie."
In der Science Kitchen arbeitet David Marx zusammen mit Nahrungswissenschaftlern, Food-Artists und Köchen wie Juan Amador. Gemeinsam wird an neuen Ideen und Rezepten gefeilt – besonders cremige Nachtische, fest schaumige Soßen, reizvolle Texturen – alles für den Geschmack und das Gefühl auf der Zunge.
"Das geht nur, weil man sich den Prozessen zugewandt hat, mit Hilfe der Nahrungswissenschaftler oder eben solchen Leuten wie dem Professor Vilgis und verstanden hat, das geht auch ganz anders, weil man einfach verstanden hat, was auf der molekularen Ebene passiert."
Thomas Vilgis ist Professor für theoretische Physik und Leiter einer Arbeitsgruppe für "Soft Matter Food Physics" am Max-Plank-Institut für Polymerforschung in Mainz. Hier wird Grundlagenforschung betrieben und auch genau analysiert, wie sich Strukturen und Texturen von Lebensmitteln in der Zubereitung verändern.
Thomas Vilgis ist weltweit anerkannt als einer der Experten, wenn es darum geht, physikalische Prozesse in der Küche zu nutzen. In mehreren Kochbüchern erklärt er auch für den Laien verständlich, wie die Wissenschaft in der Küche helfen kann.

Kein schuhsolenartiges Fleisch, kein lappiges Gemüse

Schuhsolenartiges Fleisch, lappiges Gemüse und fade Soßen - das gibt es bei ihm nicht. Es gibt viele Möglichkeiten in der Küche, die Strukturen von Lebensmittel zielführend zu verändern, sagt der Professor.
"Ich kann das über Temperaturen kontrollieren, ich kann das über den Wassergehalt, sprich über das Trocknen kontrollieren, ich kann’s über die Art, wie führe ich zum Beispiel Wärme zu, also all diese Geschichten, die wir in der Küche haben, kann man dann gezielt einsetzen, um bestimmte Texturveränderungen zu bekommen, um dann wieder indirekt eine andere Geschmacksfreigabe zu haben."
Molekularküche: Kirschschaum mit Banane und Spinat
Molekularküche: Kirschschaum mit Banane und Spinat© picture alliance / dpa / PAP / Wojciech Pacewicz
Auch das Auffangen von Aromen ist ein Bereich, der Professor Viligs in der Küche umtreibt.
"Wenn Sie zum Beispiel Lauch garen, dann können Sie diesen Lauf einfach komplett mit Butter überdecken und Sie lassen ihn bei so 80, 85 maximal 90 Grad garen in dieser warmen Butter. Dann ist das eine riesige Buttermenge (...). Sie ziehen den aus der Butter, die Butter ist noch flüssig und Sie lassen sie da einfach fest werden und haben hinterher wunderbare Lauchbutter. Da können Sie Hähnchen drin garen, Sie können Gemüse abschwenken und Sie haben dann immer diesen wunderschönen Lauch-Unterton. Das heißt, Sie haben dann einfach eine ganze Kaskade von Koch-Prozessen, wo sie immer das Gahrmittel sozusagen wiederverwenden und neu einsetzen für neue Aromakompositionen."
Bei dieser Methode wird die Hitze kontrolliert zugeführt, die Butter wird flüssig, die Fettmoleküle lösen die Aromen des Lauchs und binden sie. Durch das anschließende Abkühlen wird die Butter wieder fest und der Lauchgeschmack sozusagen konserviert.

Butter, die nach Lauch schmeckt

Eine Butter, die nicht nach Lauch aussieht, aber so schmeckt – das ist ein Beispiel für das, was in der Molekularküche als Food-Pairing bezeichnet wird. So können durch das Wissen um physikalisch/ chemische Vorgänge Speisen entstehen, die den Konsumenten überraschen und vielleicht auch bewusster essen lassen – das macht für Professor Vilgis, ebenso wie für David Marx aus der Science-Kitchen, auch einen Reiz aus.
"Und dann bekommt man als berühmtes Beispiel vielleicht einmal eine Suppe serviert in Form von Buchstaben, die sich auflösen. Und innen drin ist dann die Essenz einer Tomatensuppe, die geklärt worden ist, das heißt mit Aktivkohle oder anderen Algen-basierten Filtern. Da hat man die Suppe nicht mehr rot, sondern fast klar und trübweiß gemacht. Und dann erlebt man plötzlich eine Suppe, die neu inszeniert wurde, aber trotzdem Suppe ist, trotzdem keine Chemie ist, trotzdem noch aus der Tomate gemacht worden ist. Warum nicht auch diese spielerische Komponente?"
So gehen Küche und Wissenschaft Hand in Hand, und auch wenn durch das Verstehen von molekularen Strukturen schon einige Neuerungen in die Küche gelangt sind – Professor Thomas Vilgis ist sicher: Da wird noch einiges mehr kommen.
"Ich denke, das ist erst am Anfang, das kommt jetzt erst in letzter Zeit und ich denke, das ist etwas, was in Zukunft eine große Rolle spielen wird."
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