Schygulla: Der deutsche Film wird wieder politisch

Hanna Schygulla im Gespräch mit Joachim Scholl · 11.02.2010
Die Schauspielerin Hanna Schygulla, die in Deutschland vor allem durch die Filme von Rainer Werner Fassbinder bekannt wurde, widersprach der Ansicht, der gegenwärtige deutsche Film sei unpolitisch. Nur der Tonfall habe sich im Vergleich zum früheren politischen Kino geändert.
Joachim Scholl: Als Effi Briest, Lili Marleen und Maria Braun ist sie weltberühmt geworden, sie galt als die Muse des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder. Mit ihm zusammen hat sie Kinogeschichte geschrieben: Hanna Schygulla. Viele Jahre war es still um die Schauspielerin, 2007 sah man sie wieder in glänzender Form in Fatih Akins Film "Auf der anderen Seite". Im vergangenen Jahr war Hanna Schygulla auf Tournee mit einem Programm von Chansons, in denen sie ihr Leben in Liedern erzählt. Und auf der 60. Berlinale, die heute beginnt, wird Hanna Schygulla für ihr Lebenswerk mit dem Goldenen Ehrenbär ausgezeichnet. Die Schauspielerin lebt schon lange in Paris, dort erreichen wir sie, bevor sie nach Berlin aufbricht, guten Morgen, Frau Schygulla!

Hanna Schygulla: Guten Morgen!

Scholl: Welche Empfindungen und Gedanken verbinden Sie denn mit der Berlinale, dem größten deutschen Filmfest?

Schygulla: Die Berlinale war damals für Fassbinder erst mal eine sehr schmerzhafte Erfahrung, da war ich aber nicht mit dabei, wie er den ersten Film dort gezeigt hat, "Liebe ist kälter als der Tod", aber dann schon für "Katzelmacher" gab es eine Auszeichnung und war damit schon der Einstieg, überhaupt weiter Filme machen zu können. Das kann ich noch gut erinnern.

Scholl: Welche Erinnerung haben Sie an die Berlinale, an frühere Berlinalen?

Schygulla: Ja, speziell eben an diesen ersten Anfang, das war für uns ganz euphorisch natürlich. Wir waren ja damals Underground noch und das war wichtig, so anerkannt zu werden.

Scholl: Sie wurden und sind es immer noch, ein deutscher Weltstar, waren auf vielen internationalen Festivals zu Gast in Ihrer Karriere, wurden als Star gefeiert, aber man weiß, dass sie eigentlich gar keiner sein möchten. Sie haben sich selbst mal sogar als Antistar bezeichnet. Mögen Sie überhaupt den Rummel solcher Festivals?

Schygulla: Ja, aber ich mag natürlich die Ruhe nachher auch wieder. Eine freudige Anstrengung.

Scholl: Es werden ja etliche Schygulla-Filme zu sehen sein auf der Berlinale, wie schauen Sie eigentlich auf diese alten Filme, wenn Sie sich überhaupt noch anschauen?

Schygulla: Ja, ich schaue sie ab und zu an, wenn ich nachher mit dem Publikum reden soll. Sonst schaue ich mir lieber Filme an, sowieso immer schon, in denen ich nicht vorkomme, natürlich auch die Filme von heute.

Scholl: Wie geht es Ihnen denn, wenn Sie diese alten Fassbinder-Filme sehen, in denen Sie auch die Rollen spielten, denken Sie, ach ja, damals?

Schygulla: Ja, ich denke, ach ja, damals, natürlich. Schon alleine, wenn man sich selber um so viel jünger sieht, denkt man, ach ja, damals. Aber ich denke auch, wie wahrscheinlich so mancher im Publikum, dass die immer noch lebendig sind, also dass die immer noch heute auch was zu sagen haben.

Scholl: Sie haben mit den bedeutendsten deutschen und europäischen Regisseuren gearbeitet, mit Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, Wim Wenders, mit Godard, Carlos Saura und Andrzej Wajda. Auf ewig verknüpft wird Ihr Ruhm jedoch mit Rainer Werner Fassbinder sein und bleiben. Was ist das für Sie eigentlich, Frau Schygulla, eher eine Auszeichnung oder ja vielleicht auch ein bisschen ein Fluch, weil Ihr beider Name immer in einem Atemzug genannt wird?

Schygulla: Ja, Sie haben es schon formuliert, es ist aber auch dadurch, dass er mich ja sozusagen zum Leben erweckt hat auf der Leinwand, eine Gelegenheit, dass er eben auch immer wieder durch mich neu erwähnt wird.

Scholl: Also wenn Ihr Name fällt, wird er auch wieder erwähnt?

Schygulla: Ja.

Scholl: Sie haben sich nach Fassbinders Tod allmählich zurückgezogen aus dem Filmgeschäft, das hatte auch den privaten Grund, weil Sie sich um ihre kranken Eltern kümmern wollten und sie beide, Vater wie Mutter, bis zum Tod gepflegt haben. War diese Zeit auch für Sie wichtig, sich von der übergroßen Figur von Fassbinder zu lösen, sich abzunabeln?

Schygulla: Auch, aber es war vor allem wichtig, ich meine Fassbinder ist ja dann auch gestorben, das ist ja die brutalste Abnabelung eigentlich. Das Wichtigste daran war eigentlich, mich von meinem großen Ego selber abzulösen, also für jemand anderen da zu sein in der Zeit, selber zurückzutreten, das ist eine ganz wichtige Erfahrung.

Scholl: Die 13 Jahre, die Sie mit Fassbinder zusammengearbeitet haben, die fielen ja in eine Zeit, in der Film ein ausgesprochen politisches Medium war, eine Zeit, in der die Regisseure auch die Welt, das Leben der Menschen verändern wollten und die Schauspieler waren engagiert dabei. Wie blicken Sie heute eigentlich auf diese Epoche, Frau Schygulla, und vermissen Sie sie manchmal?

Schygulla: Ich glaube, dass die Filme jetzt, der deutsche Film auch wieder politisch wird. Nur eben ist der Tonfall ein anderer, der Fatih-Akin-Film ist auch ein politischer Film, nicht nur, aber auch.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Hanna Schygulla, sie erhält auf der diesjährigen Berlinale den Goldenen Ehrenbär für ihr Lebenswerk. Was muss denn ein Drehbuch haben, Frau Schygulla, das Sie zum Mitmachen reizt?

Schygulla: Es muss einen besonderen Tonfall haben, es muss eine Rolle haben, in der ich Lust habe, einzusteigen. Es sollte eine Verbindung haben von etwas Geheimnisvollem, verbunden mit Realität. Ja, eine Verbindung auch von Tragödie und Komödie, das Schwerwiegende im Leben, aber auch mit einer Note von Leichtigkeit.

Scholl: Gab es, gibt es einen Film, der Ihr Leben verändert hat?

Schygulla: Mmh ... Sie merken schon, wenn ich so lang nachdenken muss - auf jeden Fall "Maria Braun" war ja der Film, der über die Landesgrenzen hinausging und überall die Türen aufgestoßen hat. "Lili Marleen" war dann noch der größere Publikumserfolg. Der Film von Marco Ferreri, in dem ich in Cannes die Goldene Palme bekommen habe, war deshalb auch so wichtig, weil es genau ein Jahr nach Fassbinders Tod war und ich dachte, also jetzt geht es trotzdem weiter. Außerdem war die Rolle irgendwie so ein … das Gegenteil von dem, was Maria Braun war. Also Maria Braun war so eine Figur, die hat alles für später aufgehoben, wenn dann das richtige Leben einmal endlich beginnt. Und in "Storia di Piera" war das eine Frau, die bis an die Grenzen von Verrücktheit sich dem Augenblick hingegeben hat. Vielleicht auch noch der Film von Wajda, "Eine Liebe in Deutschland", weil das war ein Film, wo ich so viel Dokumentarmaterial über Deutschlands Vergangenheit gesehen habe.

Scholl: Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat Sie einmal mit einem Seidentuch verglichen, das man in die Luft wirft, damit man darauf Bilder projizieren kann. Das ist ein schönes poetisches Gleichnis, fühlen Sie sich damit gut charakterisiert?

Schygulla: Man könnte das vielleicht überhaupt für Schauspieler sagen.

Scholl: Nicht alle Schauspieler sind Seidentücher.

Schygulla: Ja, Seidentücher, die dann auf ihre Gesichter vielleicht fallen und die Konturen, wie der Mensch drunter ist, wiedergeben, aber in einer anderen Form.

Scholl: Was bedeutet nun dieser Goldene Ehrenbär für Sie, Hanna Schygulla? Man könnte ja auch sagen, so eine Auszeichnung für das Lebenswerk hat so ein wenig den Beigeschmack, als sei alles vorbei.

Schygulla: Ja, aber gleichzeitig ist es ja so, dass man in dem Moment eine ganz neue Präsenz wieder bekommt. Ich hoffe ja doch, dass das im Gegenteil noch mal Türen aufmacht für Zukünftiges.

Scholl: Welche Türen sollten das denn sein?

Schygulla: Ja, für Regisseure, die dran denken, dass es mich gibt und wie es mich gibt und mich dann besetzen.

Scholl: Heißt das, Sie bekommen gar keine Angebote? Kann ich mir nicht vorstellen.

Schygulla: Das heißt nicht, dass ich gar keine bekomme, aber es könnten mehr sein.

Scholl: Und es sind nicht die richtigen, meinen Sie?

Schygulla: Ja, manches habe ich keine Lust zu machen. Also es könnten mehr sein, ja.

Scholl: Was haben Sie denn demnächst so vor, gibt es Pläne, Projekte, werden wir Sie wieder auf der Leinwand sehen?

Schygulla: Also es ist ein Drehbuch auf dem Weg von einem Regisseur, der "Die syrische Braut" gemacht hat und "Le Limonier" – "Der Zitronenbaum". Ich weiß nicht, ob die Filme in Deutschland so bekannt geworden sind wie in Frankreich. Beide Filme haben mir sehr gut gefallen.

Scholl: Auf was, Hanna Schygulla, freuen Sie sich am meisten, wenn Sie jetzt zur Berlinale fahren?

Schygulla: Manch einen wiederzusehen.

Scholl: Wen denn?

Schygulla: Zum Beispiel kommen, ich bin mal mit 30 – etwas verspätet – durch Amerika getrampt, und da habe ich unterwegs eine Navaho-Frau kennengelernt in New Mexico, die Kuratorin jetzt ist im Navaho-Museum und die mir gemailt hat, sie käme auch. Aber natürlich auch aus, ja, aus dem neuen deutschen Film, der inzwischen ja der alte deutsche Film ist, es gibt ja eine neue deutsche Filmwelle. Aber auch eben neue Regisseure kennenzulernen, wie Petzold oder Dani Levy oder Hans-Christian Schmid, Heisenberg, also diese neue Generation. Und worauf ich mich freue, ist auch die Laudatio von Fatih Akin.

Scholl: Der für Sie laudieren wird zum Goldenen Ehrenbär.

Schygulla: So ist es.

Scholl: Was man nicht unterschlagen sollte, Frau Schygulla, dass Sie ja auch immer wieder selbst Regie geführt haben. Auf der Berlinale wird jetzt ein Film zu sehen sein, den Sie über ihre kubanische Freundin Alicia Bustamante gedreht haben, wird man da vielleicht bei der Aufführung Sie vorfinden, werden Sie hingehen?

Schygulla: Ja natürlich, also ich zeige ein paar Kurzfilme von mir und eben dieses Porträt meiner langjährigen Weggefährtin, die auch alle meine Soloprogramme inszeniert hat und die mich überhaupt dazu gebracht hat, dass ich angefangen habe zu singen, die ich kennengelernt habe 1991 schon, damals, als ich auf Kuba in zwei Zyklen von García-Márquez-Verfilmungen dabei war und in einem die Hauptrolle gespielt hab. Ja, natürlich ist es mir da ein besonderes Vergnügen, da zu sein.

Scholl: Das ist ein schöner Tipp für alle Filmfans, die dann Hanna Schygulla mal erleben wollen, der Film über Alicia Bustamante. Sie erhält den Goldenen Ehrenbär auf der Berlinale, Hanna Schygulla. Wir haben sie noch vor der Abreise in ihrer Wahlheimat Paris erwischt. Frau Schygulla, herzlichen Dank für das Gespräch und eine schöne Zeit in Berlin!

Schygulla: Ja, gern geschehen, danke!
Mehr zum Thema