Schwungvolle Musik mit politischer Botschaft

Von Hartwig Tegeler |
Von Anfang an stand das politische Engagement beim Chor Neue Töne aus dem ostfriesischen Aurich im Vordergrund. Südafrikanische Lieder aus dem Befreiungskampf des ANC bildeten zunächst das Repertoire. In den Folgejahren wurde das Programm vielfältiger. Der Chor singt vor allem Lieder mit dem Ruf nach einem menschenwürdigen Leben.
Doris Scharker singt nicht.

Doris Scharker liest Anfang von Heines "Wintermärchen":
"Im traurigen Monat November war’s. Die Tage wurden trüber."

Nein, sie liest. Und Schuld ist Heinrich Heine.

Doris Scharker liest Anfang von Heines "Wintermärchen":

"[...] der Wind riss von den Bäumen das Laub, / da reist´ ich nach Deutschland hinüber. / Und als ich an die Grenz kam, / da fühlt´ ich ein stärkeres Klopfen in meiner Brust, / ich glaube sogar, / die Augen begunnen zu tropfen."

Heines "Deutschland - Ein Wintermärchen". Seit 2008 arbeitet Aurichs Chor Neue Töne an einem Heine-Programm. Zwölf Stücke sind auftrittsreif, weitere sollen folgen. Und dann kommen die Konzerte. Doch zunächst warten die Mühen der Ebene. Denn wenn von den etwas mehr als 30 Sängerinnen und Sängern, die zum Probenabend [...]
"Einstimmen": "[...] im Musikraum des Auricher Ulricianum-Gymnasiums zusammen gekommen sind [...]"

"Einstimmen": "[...] auch eine nicht geringe Anzahl selber Lehrer sind: Die Hausaufgaben-Disziplin ist keineswegs vorbildlich."
Heinrich Herlyn: "Jetzt beginnt die eigentliche Arbeitsphase, wir singen jetzt ein Stück, an dem wir schon längere Zeit proben und was eigentlich die meisten Chormitglieder auswendig singen sollten. Jetzt! Das war die Hausaufgabe."

Dann wird eben mit den Notenblättern in der Hand gesungen. Beziehungsweise Chorleiter Herlyn geht in Vorlage. Bei dem Teil, der neu ist.

Heinrich Herlyn: "Ich mach mal vor: Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht. Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht ... Hier werdet ihr nichts entdecken ... – Hier werdet ihr nichts entdecken."

Jetzt noch einmal mit Gesang.

Gesang: "Ihr Toren, die ihr ..."

Herlyn: "Bis dahin ja. Sopran."

Gesang: "Das ‚hier’ ruhig noch einmal mehr betonen."

Heinrich Herlyn: "Die Stimmung haben wir gut gehalten. Denn es ist sehr schwer ohne Klavier, also a capella, zu singen. Und dabei nicht abzusacken. Das ist ein altes Problem von A-Capella-Chören. Das haben wir auch nicht immer im Griff. Aber jetzt war es gut."

Musiklehrer Heinrich Herlyn komponiert die Hälfte der Lieder, die der Chor Neue Töne singt, selbst, die andere Hälfte ist, ja, von überall her.

Heinrich Herlyn: "[...] romantische Komponisten ... alle mögliche."

Inklusive einiger Verschmitztheiten, die der Chorleiter, Komponist und Arrangeur gern einbaut. Wenn denn beispielsweise in Heines Text der Komponist der Deutschlandliedes genannt wird.
Heine / von Fallersleben: "Weiter! ... "

Herlyn: "Ihr dürft jetzt raten, warum bei dem Namen Fallersleben diese Melodie vorkommt. Okay, noch mal der Sopran. Und ..."

Die Geschichte vom Chor Neue Töne begann mit freedom-Songs aus der südafrikanischen Anti-Apartheids-Bewegung, die Heinrich Herlyn bei einem anderen Chor in Bremen hörte. 22 Jahre ist das her.

Heinrich Herlyn: "Und dieses Konzept hat mich so begeistert, schwungvolle Musik mit Engagement zu verbinden, das führ ich fort."

Auf die Südafrika-Lieder folgten eine Tucholsky-Revue, ein Programm mit südamerikanischen Liedern oder eine Kompilation von Brecht- oder jiddischen Liedern.

Der Chor Neue Töne versteht sich als ein politischer Chor, beim dem Engagement und Schwung eine unauflösbare Ehe eingehen. Dorothea Thekemeyer – seit zehn Jahren im Chor.

Dorothea Thekemeyer: "Ich bin aktive Gewerkschafterin, und ich könnte mir nicht vorstellen, in einem, sage ich jetzt mal so, in so einem Larifari-Chor zu singen. Sondern mir ist die Verbindung zwischen guter Musik, zwischen sympathischen Menschen und zwischen einer Aussage, zwischen einer dezidiert politischen Aussage ganz wichtig."

Sabine von Reumont: "Auch dass man sich mit Themen auseinandersetzt und nicht einfach nur etwas mechanisch nachsingt."

Fügt Sängerin-Kollegin Sabine von Reumont hinzu.

Das Heine-Programm soll im Frühjahr nächsten Jahres im Konzert aufgeführt werden. Beispielsweise auf Norderney, wo der Dichter seinen Gedichtzyklus Die Nordsee verfasste. Das ist schon mal etwas. Aber, der große Traum?! Chorleiter Heinrich Herlyn schmunzelt, ja, etwas sehnsüchtig, und denkt, immerhin war der Chor ja auch schon in Israel, denkt an des deutschen Dichters Exilstadt:

Heinrich Herlyn: "Utopie ist es vielleicht: Wir wollen auch einmal gerne in Paris singen."

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.