Schwindende politikberatende Russlandkompetenz in Deutschland
Ende 2000 schloss die damalige Bundesregierung das "Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien" in Köln, das als Oberste Bundesbehörde dem Bundesinnenministerium zugeordnet war und den Auftrag der Politikberatung für das Auswärtige Amt, das Bundeskanzleramt, das Verteidigungsministerium sowie für andere Ministerien und den Deutschen Bundestag hatte. Seine 25 Wissenschaftler untersuchten fast alle Bereiche der Innen-, Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik der Sowjetunion und später Russlands sowie einiger Länder der GUS und Mittelosteuropas.
Mit seinen jährlich 50 Studien, ebenso vielen kürzeren "Aktuellen Analysen" sowie deutsch- und englischsprachigen Buchreihen war dieses in Europa einmalige Institut ein wichtiges Informations- und Analysezentrum nicht nur für Regierung und Parlament, sondern auch für Universitäten und Journalisten, deren Zeitungen nicht selten die "Aktuellen Analysen" nachdruckten.
Die Bibliothek enthielt wertvolle Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchbestände, die von Wissenschaftlern aus aller Welt für ihre Forschungsarbeit genutzt wurden. Zu den Raritäten gehörten z. B. die vollständige Ausgabe der Zeitung "Iskra", die 1900 von Lenin gegründet worden war. Aufgrund empirischen Eliteanalysen konnte im Dezember 1981 - elf Monate vor dem Tod des sowjetischen Parteichefs Leonid Breschnew - prognostiziert werden, dass KGB-Chef Jurij Andropow sein Nachfolger werden würde, sowie auf dessen Nachfolger Konstantin Tschernenko und dann Michail Gorbatschow hingewiesen werden. Im Herbst 1994 wurde der Autor dieser Zeilen – damals im Bundesinstitut - von Moskau gebeten, bei der Namensgebung und der Programmausarbeitung einer "Partei der Macht" zu helfen sowie ein Wahlkampfkonzept für sie zu entwerfen. Die Partei konnte sich aber nicht entwickeln, weil deren Vorsitzender, der vormalige Vordenker Gorbatschows, Alexander Jakowlew, den inzwischen ausgebrochenen Tschetschenienkrieg Jelzins kritisierte.
Wie ging es weiter? Die Bibliotheksbestände des aufgelösten Bundesinstituts wurden im Bundesarchiv begraben. Viele Kölner Wissenschaftler gingen – zum Teil vorzeitig – in Pension und elf von ihnen Anfang 2001 nach Berlin zur politikberatenden "Stiftung Wissenschaft und Politik", die aus dem Haushalt des Bundeskanzleramtes finanziert wird. Von diesen ist inzwischen die Hälfte ebenfalls pensioniert worden. Von den verbliebenen aktiven Wissenschaftlern wurden einige in andere Forschungsbereiche versetzt, sodass das Thema Russland in der Stiftung nur noch von drei Spezialisten bearbeitet wird, wobei der Außenpolitikexperte demnächst in Pension geht. Es verbleiben dann ein Ökonom, der sich mit Energiepolitik beschäftigt, und ein Historiker, der gesellschaftspolitische Probleme erforscht. Ein Nachfolger für den inzwischen ebenfalls pensionieren Experten für russische Innenpolitik wurde nicht eingestellt.
Damit wird das Manko der deutschen politikberatenden Russlandkompetenz deutlich. Bei der Eingliederung der personellen "Restbestände" des Kölner Bundesinstituts in die Stiftung, welche die ganze Welt im Auge haben muss, wurde "Russland" zu einem Thema neben anderen relativiert. Hinzu kam, dass sich der Forschungsauftrag der Stiftung auf die Außen- und Sicherheitspolitik erstreckt und die Untersuchung innenpolitischer Ereignisse und Entwicklungen nur in dem Maße zugelassen wurde, als sie zur Analyse der Außen- und Sicherheitspolitik erforderlich ist.
Wenn deutsche Russlandpolitik nicht nur pragmatisch sein will, braucht sie eine konzeptionelle Grundlage. Diese sollte nicht nur für einen kurzen, sondern einen mittelfristigen Zeitraum angelegt sein und über verschiedene ausgearbeitete Alternativen verfügen. Und sie sollte sich auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen, die von Experten angefertigt werden, die sich auf jahrzehntelange Erfahrung stützen können und welche die innenpolitischen Hintergründe der Außenpolitik nicht vernachlässigen. Es ist dringend erforderlich, die deutsche wissenschaftliche politikberatende Russlandkompetenz personell aufzustocken.
Eberhard Schneider, Russlandexperte, bis 2006 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin. Mitglied im Vorstand des EU-Russland-Zentrums Brüssel.
Die Bibliothek enthielt wertvolle Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchbestände, die von Wissenschaftlern aus aller Welt für ihre Forschungsarbeit genutzt wurden. Zu den Raritäten gehörten z. B. die vollständige Ausgabe der Zeitung "Iskra", die 1900 von Lenin gegründet worden war. Aufgrund empirischen Eliteanalysen konnte im Dezember 1981 - elf Monate vor dem Tod des sowjetischen Parteichefs Leonid Breschnew - prognostiziert werden, dass KGB-Chef Jurij Andropow sein Nachfolger werden würde, sowie auf dessen Nachfolger Konstantin Tschernenko und dann Michail Gorbatschow hingewiesen werden. Im Herbst 1994 wurde der Autor dieser Zeilen – damals im Bundesinstitut - von Moskau gebeten, bei der Namensgebung und der Programmausarbeitung einer "Partei der Macht" zu helfen sowie ein Wahlkampfkonzept für sie zu entwerfen. Die Partei konnte sich aber nicht entwickeln, weil deren Vorsitzender, der vormalige Vordenker Gorbatschows, Alexander Jakowlew, den inzwischen ausgebrochenen Tschetschenienkrieg Jelzins kritisierte.
Wie ging es weiter? Die Bibliotheksbestände des aufgelösten Bundesinstituts wurden im Bundesarchiv begraben. Viele Kölner Wissenschaftler gingen – zum Teil vorzeitig – in Pension und elf von ihnen Anfang 2001 nach Berlin zur politikberatenden "Stiftung Wissenschaft und Politik", die aus dem Haushalt des Bundeskanzleramtes finanziert wird. Von diesen ist inzwischen die Hälfte ebenfalls pensioniert worden. Von den verbliebenen aktiven Wissenschaftlern wurden einige in andere Forschungsbereiche versetzt, sodass das Thema Russland in der Stiftung nur noch von drei Spezialisten bearbeitet wird, wobei der Außenpolitikexperte demnächst in Pension geht. Es verbleiben dann ein Ökonom, der sich mit Energiepolitik beschäftigt, und ein Historiker, der gesellschaftspolitische Probleme erforscht. Ein Nachfolger für den inzwischen ebenfalls pensionieren Experten für russische Innenpolitik wurde nicht eingestellt.
Damit wird das Manko der deutschen politikberatenden Russlandkompetenz deutlich. Bei der Eingliederung der personellen "Restbestände" des Kölner Bundesinstituts in die Stiftung, welche die ganze Welt im Auge haben muss, wurde "Russland" zu einem Thema neben anderen relativiert. Hinzu kam, dass sich der Forschungsauftrag der Stiftung auf die Außen- und Sicherheitspolitik erstreckt und die Untersuchung innenpolitischer Ereignisse und Entwicklungen nur in dem Maße zugelassen wurde, als sie zur Analyse der Außen- und Sicherheitspolitik erforderlich ist.
Wenn deutsche Russlandpolitik nicht nur pragmatisch sein will, braucht sie eine konzeptionelle Grundlage. Diese sollte nicht nur für einen kurzen, sondern einen mittelfristigen Zeitraum angelegt sein und über verschiedene ausgearbeitete Alternativen verfügen. Und sie sollte sich auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen, die von Experten angefertigt werden, die sich auf jahrzehntelange Erfahrung stützen können und welche die innenpolitischen Hintergründe der Außenpolitik nicht vernachlässigen. Es ist dringend erforderlich, die deutsche wissenschaftliche politikberatende Russlandkompetenz personell aufzustocken.
Eberhard Schneider, Russlandexperte, bis 2006 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin. Mitglied im Vorstand des EU-Russland-Zentrums Brüssel.