Schwesig will Lagerwahlkampf gegen Merkels "Schlafwagenpolitik"

Manuela Schwesig im Gespräch mit Hanns Ostermann · 21.01.2013
Als Lehre aus dem Wahlsieg in Niedersachsen müssten die Sozialdemokraten auch bei der Bundestagswahl auf einen Lagerwahlkampf setzen, forderte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig.
Hanns Ostermann: Es gibt Tage, da fällt das Aufstehen leicht. Ohne das Klingeln des Weckers abzuwarten, springt man aus dem Bett und freut sich auf den Tag. Ja, und dann gibt es Situationen, da würde man am liebsten weglaufen und die Decke über den Kopf ziehen. Ich bin ziemlich sicher, Sozialdemokraten dürften heute den Tag fröhlich angehen, hat es doch in Hannover, wenn auch denkbar knapp, mit dem Machtwechsel geklappt. Manuela Schwesig ist Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende Vorsitzende der SPD. Guten Morgen, Frau Schwesig!

Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Ich bin sicher, Sie freuen sich trotzdem. Was wäre die SPD ohne die starken Bündnis-Grünen?

Schwesig: Wir freuen uns natürlich, dass es am Ende für die SPD, für Rot-Grün knapp gereicht hat in Niedersachsen, und zunächst gilt natürlich mein Glückwunsch Stephan Weil und seiner SPD vor Ort. Ich war selbst in mehreren Wahlkampfeinsätzen vor Ort und habe eine ganz kampfesstarke SPD erlebt. Und es zeigt sich, dass es sich wirklich lohnt, um jede Stimme zu kämpfen, denn es war am Ende denkbar knapp, aber es reicht für einen Politikwechsel in Niedersachsen. Und das ist vor allem gut für die Menschen in Niedersachsen, denn ich bin sicher, Stephan Weil wird ein guter Ministerpräsident.

Ostermann: Und was wäre Ihre Partei ohne die starken Bündnis-Grünen. Die insbesondere haben gepunktet.

Schwesig: Beide Parteien haben gepunktet.

Ostermann: Aber die Grünen mehr.

Schwesig: Ja, wenn man von kleineren%en kommt, dann ist es leichter, mehr Prozent zuzulegen. Rot-Grün zusammen haben fünf Prozent zugelegt, Schwarz-Gelb hat fünf Prozent verloren und Schwarz-Gelb ist zum wiederholten Mal in einer Landtagswahl abgewählt worden, und das ist natürlich für uns auch Rückenwind für die Bundestagswahl.

Ostermann: Hat Ihre Partei jetzt trotz oder wegen des Kanzlerkandidaten zugelegt?

Schwesig: Wir haben gemeinsam gekämpft vor Ort. Peer Steinbrück war auch selbst in vielen Wahlkampfeinsätzen, und da, wo wir vor Ort waren, gab es auch immer viel Zustimmung und die Säle waren voll. Wir haben aber in dieser Zeit auch natürlich eine sehr, sehr kritische Berichterstattung bundesweit erlebt, über Peer Steinbrück, über die SPD. Und die Wahl in Niedersachsen zeigt, dass, wenn man den Rücken gerade macht, wenn die SPD geschlossen ist und wenn die SPD vor allem dann trotzdem auf ihre Themen setzt, vor allem die Themen der sozialen Gerechtigkeit, dann kann man auch mal durch so einen Sturm durch und die Wahl trotzdem gewinnen.

Ostermann: Also sind die Medien schuld und nicht ein Kanzlerkandidat, der mächtig aufs eigene Tor schießt und dem man Eigentore nachweisen kann?

Schwesig: Die Schuldfrage stellt sich für mich gar nicht. Das ist sowieso so ein Schwarz-Weiß-Denken in Deutschland, was ich ein bisschen schräg finde. Peer Steinbrück hatte gestern selbst die Verantwortung dafür übernommen, dass es aus Berlin nicht den nötigen Rückenwind gegeben hat. Aber trotzdem finde ich, dass auch teilweise die kritische Berichterstattung sehr überzogen war. Fakt ist, das wird es immer mal geben, und die SPD kann aus Niedersachsen lernen. Die SPD kann von Niedersachsen lernen, dass es eben wichtig ist, dass man trotzdem geschlossen bleibt und dass man vor allem auf seine Themen setzt. Themen wie bessere Bildung, Mindestlohn, mehr soziale Gerechtigkeit, aber vor allem auch gute Familienpolitik. Und dass es sich auch lohnt, bis zur letzten Minute zu kämpfen.

Ostermann: Es zeigt sich doch aber auch, dass dieser Lagerwahlkampf nur schwer zu Mehrheiten führt. Wie wollen Sie so im Bund die CDU mit einer alles überragenden Angela Merkel aus dem Kanzleramt holen?

Schwesig: Diese Einschätzung teile ich nicht. Ich finde, dass gerade die Wahl in Niedersachsen zeigt, dass es auf den Lagerwahlkampf ankommt: Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb. So war auch der Wahlkampf in Niedersachsen. Es wurde ganz stark auf den Wechsel gesetzt, und die Wahl hat ja gezeigt, dass beide Lager gleich auf Augenhöhe sind, dass wir am Ende aber auch die Nase vorn hatten. Wie gesagt, jetzt in mehreren Landeswahlen hintereinander. Und deshalb wird die Bundestagswahl im September sehr spannend. Und die Bürgerinnen und Bürger können an der Wahl in Niedersachsen sehen, es kommt auf jede Stimme an. Sie können wirklich etwas mit ihrer Stimme bewegen. Und deshalb werden wir auch auf diesen Lagerwahlkampf setzen. Wir werden setzen auf soziale Gerechtigkeit gegen die Schlafwagenpolitik von Frau Merkel.

Ostermann: Aber im Bund gibt es eine stärkere Linkspartei, es gibt möglicherweise auch die Piraten. Also warum erteilt sich die SPD ein Denkverbot, um für klarere politische Verhältnisse zu sorgen. Möglich ist doch eine Tolerierung durch die Linkspartei, es ist auch eine Ampel möglich. Also warum wird darüber nicht öffentlich diskutiert?

Schwesig: Weil wir wissen, dass wir die richtigen Themen, die wichtigen Themen nur mit Rot-Grün klar durchsetzen können. Es geht ja auch darum, dass man dann auch wirklich das, was man für die Menschen ankündigt, dass man dafür auch eine Mehrheit hat, mit der das machbar ist. Nehmen Sie das Beispiel flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro. Dass Menschen, die arbeiten, eben nicht in Armut rutschen. Das geht nur mit Rot-Grün. Nehmen Sie die Energiewende, auch das geht nur mit SPD und Grünen zusammen. Nehmen Sie die Bürgerversicherung, auch das geht nur mit SPD und Grünen zusammen.

Es bringt ja nichts, auf Koalitionen zu setzen, wo man weiß, zum Beispiel mit der Linkspartei, die sind gar nicht regierungsfähig, und dass die auf dem absteigenden Ast sind, hat man ja auch gestern wieder gesehen. Und es bringt auch nichts, auf eine Koalition mit der FDP zu setzen, wo man weiß, dass ja solche Themen mit denen gar nicht durchsetzbar sind. Wir wissen, dass wir mit den Grünen die größten Schnittmengen haben, um die Themen, die vor allem – das hat die Wahl wieder gezeigt – den Menschen ja auch wichtig sind, Mindestlohn, Familienpolitik, Bildungspolitik, dass wir das eben wirklich mit den Grünen gut durchsetzen können. Und deswegen machen wir da eine klare Ansage und sagen, wir setzen auf Rot-Grün im Bund.

Ostermann: In diesen Punkten widerspreche ich Ihnen gar nicht. Aber es könnte eine Situation eintreten, in der Sie in der Tat auf die Tolerierung der Linkspartei angewiesen sind, um ihre Schwerpunkte im sozialen Bereich durchzusetzen. Also die natürlich hypothetische Frage, würde sich Steinbrück mit den Stimmen der Linken zum Kanzler wählen lassen?

Schwesig: Die SPD ist immer schlecht, wenn sie über ungelegte Eier sich den Kopf zerbricht. Wir müssen doch den Menschen sagen, auf was wir setzen und für welche Stimmen wir kämpfen. Auch das hat Niedersachsen gezeigt, da wurden auch diese ganzen Spekulationen angestellt. Am Ende hat es gereicht für Rot-Grün. Wie in Nordrhein-Westfalen, wie in Schleswig-Holstein. Und deshalb, das waren ja die letzten Wahlen und deswegen machen wir da eigentlich einen klaren Blick auf Rot-Grün. Und auch wenn Sie natürlich versuchen, da nachzubohren, was ich verstehe, aber wir werden uns von diesen Fragen nicht ablenken lassen.

Ostermann: Natürlich werden Sie sich nicht ablenken lassen. Ich mache einen letzten Versuch: Meinen Sie nicht auch, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, über die Denkfrabriken der Parteizentralen informiert zu werden und durchaus Anteil an den Spekulationen nehmen wollen? Denn klar ist doch auch, dass in Berlin durchaus über andere Konstellationen geredet wird?

Schwesig: Also ich kann die Bürgerinnen und Bürger gerne an diesen Denkfabriken teilhaben lassen. Fakt ist, dass wir derzeit darüber nachdenken, wie wir noch stärker die Themen, die wir nachher umsetzen wollen, auch sozusagen öffentlich machen. Noch stärker über Mindestlohn reden, noch stärker sagen, wir stehen für einen Kita-Ausbau anstatt Betreuungsgeld. Wir wollen Gesundheit und Pflege verbessern und vor allem bezahlbar für alle machen. Das ist wirklich das, was uns gerade bewegt, und da hat uns Niedersachsen gestern unheimlich motiviert. Wenn die SPD geschlossen ist, wenn wir kämpfen bis zum Umfallen und wenn wir auf die Themen, vor allem soziale Gerechtigkeit setzen, dann haben wir supergute Chancen und dann kann es im September für Rot-Grün reichen. Ein Signal gab es gestern: Das Rennen zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb ist offen und CDU und FDP müssen sich warm anziehen.

Ostermann: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Ich sprach mit Manuela Schwesig, Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Vorsitzende. Danke für das Gespräch, Frau Schwesig.

Schwesig: Einen schönen Tag, Herr Ostermann. Tschüss.

Ostermann: Ihnen auch.

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