Schwere Last

Zu Gast: Johannes Hebebrand und Sylvia Baeck · 29.08.2009
Wir Deutschen sind zu dick: Rund 37 Millionen Erwachsene und bereits zwei Millionen Jugendliche bringen zu viel auf die Waage. Einer Studie des Robert-Koch-Instituts zufolge sind bereits 15 Prozent der Kinder zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig, sechs Prozent sogar adipös, also fettleibig.
Und weil Dicksein verpönt ist, stürzen sich immer mehr Menschen in Diäten. Mehr als 90 Millionen Euro werden hierzulande für Schlankheitsmittel ausgegeben. Allein die Weight Watchers machten 2007 einen Umsatz von einer Milliarde Euro.

Fakten wie diese finden sich in dem Buch "Irrtum Übergewicht", das der Mediziner und Gewichtsforscher Prof. Dr. Johannes Hebebrand gemeinsam mit dem Journalisten Claus Peter Simon geschrieben hat. Johannes Hebebrand, der Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an den Kliniken der Universität Duisburg-Essen, kennt die Gründe für das grassierende Übergewicht:

"Unsere moderne Umwelt trägt eindeutig dazu bei: Die Einschränkung der Bewegung, die Verfügbarkeit von hochkalorischer und billiger Nahrung haben zur Zunahme von Adipositas geführt. Dann der sehr viel höhere Medienkonsum: Fernsehen, Computer, Videospiele. Darin nähern wir uns amerikanischen Verhältnissen."

Eine wichtige Rolle spielen aber auch die Erbanlagen, rund die Hälfte des Gewichts werde durch die Gene bestimmt. Von Diäten hält der Gewichtsforscher gar nichts.

"Weil sie nicht funktionieren. 95 Prozent der Übergewichtigen, die Diäten machen, haben nach fünf Jahren mindestens ihr Ausgangsgewicht wieder. Nur fünf Prozent schaffen es dauerhaft, ihr Gewicht zu halten."

Wer ein niedriges Gewicht behalten wolle, müsse sich lebenslang darum bemühen. Wichtig sei letztlich die Energiebilanz: Wer viel esse, müsse sich auch viel bewegen.

Auch Sylvia Baeck hat tagtäglich mit Essgestörten zu tun. 1985 gründete sie die Beratungsstelle "Dick & Dünn" in Berlin, zu einer Zeit als Gewichtsprobleme noch reine "Frauenprobleme" waren. Mittlerweile sind 15 Prozent ihrer Klienten Männer – Tendenz steigend. Die Hälfte der Ratsuchenden ist übergewichtig, 35 Prozent leiden unter Bulimie, 15 Prozent an Magersucht. Hauptsächlich sind es Jugendliche, die auf der Suche nach Identität sind und nicht mit ihrer Entwicklung klar kommen.

"Die Ursachenforschung ist mühsam, sie ist auch nicht unsere Aufgabe. Nur, wenn es dann zu einer Therapie kommt, dann merken wir schnell, dass es eben immer wieder die Fragen sind: Wer bin ich? Was für eine Frau will ich sein? Was für ein Schönheitsideal habe ich überhaupt?"

Eine immer wichtigere Rolle spielen nach ihrer Erfahrung dabei die neuen Medien und das Internet.

"Da wird viel verbreitet über YouTube, schlimme Bilder von Magersüchtigen. Da wird verbreitet, dass Magersucht toll ist, Scharlatane stellen Wundermittel zur Verfügung, Diätpillen werden verkauft, die rezeptpflichtig sind."

Was hält sie von Diäten?

"Nix. Auch nichts von restriktivem Essverhalten, weil ich dabei den Spaß verliere und mich nur noch kontrolliere. Keine strikten Verbote, das ist Gift. Jeder muss herausfinden, was sein Weg ist."

Genau dies sei aber oft das Problem in Familien, gerade Mütter traktierten ihre Kinder oft mit Geboten und Verboten in Sachen Essen – das sei der falsche Weg.

"Schwere Last - Die Wahrheit über Dicksein und Diäten"? Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Sylvia Baeck und Prof. Dr. Johannes Hebebrand. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/2254–2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.


Informationen im Internet:
Sylvia Baeck - Dick und Dünn
Prof. Dr. Johannes Hebebrand

Literaturhinweise:
Johannes Hebebrand, Claus Peter Simon: "Irrtum Übergewicht", Zabert-Sandmann Verlag 2008
Sylvia Baeck, "Essstörungen - Was Eltern und Lehrer tun können",
BALANCE buch + medien verlag 2007